Das britische Nationalarchiv hat im Internet fünf Millionen Luftbilder der Royal Air Force aus dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht, die neben der Landung der US-Truppen am „Omaha-Beach“ auch Nazi-Gräuel zeigen (s. Nachricht). In der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung wird der Militärhistoriker Professor Gerd Krumeich (Düsseldorf) zu den digitalisierten Luftaufnahmen aus dem 2. Weltkrieg befragt.
SZ: Herr Krumeich, haben Sie sich die Fotos im Internet angesehen?
Gerd Krumeich : Der Server ist völlig überlastet, man hat keinen Zugriff. Ich habe aber einige Bilder in der „Kulturzeit“-Sendung auf 3Sat gesehen, also einen Eindruck davon.
SZ : Teilen Sie die Auffassung des „Guardian“, der schrieb, dass diese Bilder, die auch ein brennendes Massengrab in Auschwitz zeigen, Hunderttausende von Menschenleben hätten retten können, wären sie noch im Krieg veröffentlicht worden?
Krumeich : So einfach ist das nicht. Sehen Sie, man darf den Diskurs von heute nicht einfach so mit dem von damals vermischen. Wir wissen heute so viel über das, was „die Alliierten“ damals hätte interessieren sollen und was sie auch interessiert hätte, wenn sie es genauer gewusst hätten. Natürlich kann man heute sagen, dass es seit 1943 präzise Informationen über Massenvernichtungen gab. Die Frage ist nur, was man von diesen Informationen hat glauben können und glauben wollen. Nach dem, was ich im Fernsehen gesehen habe, sind die Auschwitz-Bilder keineswegs so scharf, dass man ohne weiteres sagen kann: Da brennen Leichenhaufen! Sie sind nicht eindeutig.
SZ : Man sieht aber sehr deutlich ein KZ, Menschen, die herumlaufen und, in der oberen Ecke, weißen Qualm.
Krumeich : Ja. Aber wenn jemand gesagt hätte: Da werden Tierkadaver verbrannt. Wer hätte das entscheiden können? In der 3Sat-Sendung wurde behauptet, man hätte trotz der Luftbildaufnahmen, die eine sehr kleine Zahl britischer Intelligence-Offiziere auszuwerten hatten, „weggeschaut“. Aber nein! Sie haben nicht weggeschaut! Die Alliierten hatten ein Ziel: „knock out Germany“. Was sie interessierte, waren detaillierte Bilder von den IG-Farben-Werken acht Kilometer von Auschwitz entfernt. Natürlich fragt man sich, warum sie nicht trotzdem auch Bomben auf die Gleise von Auschwitz geworfen haben. Allerdings bin ich überzeugt, dass man sich anders verhalten hätte, hätte man präzise Informationen über Auschwitz gehabt.
SZ : Also sahen die Intelligence-Offiziere damals, so wie wir heute, auf den Bildern nur das, was sie schon wussten?
Krumeich : Allerdings. Das ist das Grundproblem der Imagologie: Erkenntnis und Interesse. Wir sind an bestimmten Inhalten interessiert und den Rest nehmen wir nicht unbedingt wahr. Marc Bloch hat einmal gesagt, die Todsünde des Historikers sei der Anachronismus. Etwas nicht aus seiner Zeit heraus zu beurteilen. Hegel vorzuwerfen, Marx nicht gelesen zu haben. Wir können den Offizieren von damals nicht vorwerfen, was sie auf den Bildern nicht gesehen haben.
SZ : Und was bedeuten die Aufnahmen heute für die Geschichtswissenschaft?
Krumeich : Es gibt detaillierte Aufnahmen von der Vorbereitung der von den Deutschen so genannten „Invasion“ in der Normandie. Wahrscheinlich ließe sich die Geschichte dieser Invasion anhand der Bilder bald neu schreiben. Da sind jetzt neue Quellen auf dem Tisch!
SZ : Wäre eine digitale Veröffentlichung von Luftaufnahmen aus dem Weltkrieg auch in Deutschland denkbar? Hier liegen sie verstreut in Bildarchiven und verschiedenen Ämtern.
Krumeich : Eine Sammlung deutscher Luftbilder wäre sicher nicht uninteressant. Doch muss man genau wissen, was man will. Bilder sprechen nicht selber. Bilder antworten auf Fragen.
Interview: Julia Encke
Quelle: SZ, 22.1.2004
Admont: Stiftsbibliothek wird generalrestauriert
Die Admonter Stiftsbibliothek soll bis zum Jahr 2008 generalsaniert werden. Ein Teil der kostbaren Bücher, aber auch die gesamte innenarchitektonische Anlage samt Dekor – von den barocken Fresken über die Skulpturen bis hin zu den Fenstern und Fehlstellen im Marmorboden -, sollen im Zuge des Restaurierungsprojektes fachgemäß aufpoliert werden. Rund fünf Mio. Euro netto soll das Gesamtprojekt kosten, das Land Steiermark und die EU beteiligen sich an der Finanzierung, hieß es auf Anfrage der Austria Presse Agentur von Seiten des Stiftsbaumeisters und Projektleiters Lambert Gabauer.
Finanzierungszusage. Dieser Tage ist die erste finanzielle Entscheidung für das Admonter Großprojekt gefallen: Für die Restaurierung des Buchbestandes hat die Steiermärkische Landesregierung eine Finanzierungszusage von 300.000 Euro gemacht, ebenso viel steuert die EU bei. „Die Renovierung nur der Buchbestände schätzen wir zurzeit auf rund 1,5 Mio. Euro“, so Gerald Unterberger, der den Projektteil „Bücher“ koordiniert. Rund 200.000 Bücher umfasst die Bibliothek, darunter 1.400 Handschriften und rund 900 Inkunabeln.
„Die Handschriften sind in gutem Erhaltungszustand, die wurden auch immer wieder restauriert“, so der Admonter Bibliotheksleiter und Archivar Johann Tomaschek. Nun will man sich vor allen Dingen die Druckwerke des 16. bis 19. Jahrhunderts vornehmen: „Es gibt Schäden bei den Einbänden, teils fehlen Schließen, die Buchstöcke haben sich gelockert und teils sind die Blätter verschmutzt“, umreißt Tomaschek das Schadensausmaß, das laut dem Bibliothekar „auf natürliche Alterserscheinungen“ zurückzuführen ist.
Innenausstattung. Die Maßnahmen zur Erhaltung der Bücher machen aber nur einen kleinen Teil der geschätzten Gesamtrenovierungskosten des weltweit größten klösterlichen Bibliothekssaales und des Inventars aus, so Stiftsbaumeister Gabauer. Die berühmten Deckenfresken von Bartholomeo Altomonte, die Skulpturengruppe des Admonter Barockbildhauers Joseph Stammel, Reliefs, Geländer und Marmorboden des Prunksaales sollen generalüberholt werden.
Ansuchen um Förderungen. Das Stift erhofft sich von Seiten des Landes für die nächsten vier Jahre eine weitere finanzielle Zuwendung in der Höhe von zwei Mio. Euro aus dem Tourismusbudget. Zusätzlich will man auch beim Bund vorstellig werden. Der Eigentümer kalkuliert einen Eigenmittelanteil von 1,4 Mio. Euro. Für den im Sommer letzten Jahres abgeschlossenen Stiftsmuseumsum- und -ausbau wurden in den vergangenen vier Jahren – ebenfalls unter Beteiligung des Landes – rund 13 Mio. Euro investiert.
Kontakt:
Benediktinerstift Admont
Kulturressort
A-8911 Admont 1
Tel.: +43(0)3613-2312-601
Fax: +43(0)3613-2312-610
kultur@stiftadmont.at
Quelle: Kleine Zeitung, 21.1.2004
Von wegen Paragraphenreiter
In zweieinhalb Wochen, am 8. Februar, wählt Braunsbach seinen neuen Bürgermeister. Beworben hat sich auch der Künzelsauer Stadtarchivar Stefan Kraut (Link). HZ-Redakteurin Barbara Griesinger hat sich mit ihm über seine Ambitionen auf den Bürgermeistersessel in der Nachbarschaft unterhalten.
Ist der Wahlkampf stressig, haben Sie viele Termine jetzt und macht's Spaß?
Kraut: Stress – was ist das? Im Ernst: Wenn mich das stresste, dürfte ich das Amt des Bürgermeisters gar nicht ausüben. Ich habe sieben eigene Vorstellungsgespräche, eine offizielle Kandidatenvorstellung und das HT-Forum. Dazu kommen Besuche bei den Firmen, unzählige Gespräche mit Bürgern. Insgesamt: Es macht Spaß und ist eine große persönliche Bereicherung.
Archivaren wird nachgesagt, dass sie eher zurückhaltende menschenscheue Wesen sind, die am liebsten mit ihren Folianten alleine sind. Bürgermeister dagegen stehen zwangsläufig mitten in der Öffentlichkeit. Gegensätzlicher geht es kaum. Sind Sie also eher ein untypischer Archivar oder werden Sie ein untypischer Bürgermeister?
Kraut: Kennen Sie mich als menschenscheu? Sicher bin ich nicht auf dem Stand vor 18 Jahren stehen geblieben. Ein untypischer Bürgermeister werde ich sicher, denn ich werde mich nicht in die Reihe der Paragraphenreiter und Bedenkenträger einreihen lassen. Gerade in unseren Tagen müssen wieder Visionen entwickelt werden.
Sie sind den Künzelsauern als Stadthistoriker und Stadtarchivar bekannt. Haben Sie jetzt genug von der Künzelsauer Stadtgeschichte?
Kraut: Bei der Stadtverwaltung Künzelsau habe ich eine große Vielfalt von Aufgaben bekleidet, dank meiner äußerst flexiblen Einsatzfähigkeit. Und das letzte wäre, nicht über den Tellerrand der jeweiligen Gemeinde sehen zu können. Wenn Sie schon die Geschichte ansprechen: Sie lehrt uns, dass Künzelsau nie isoliert da lag, sondern stets mit seiner Nachbarschaft ein gemeinsames Schicksal hat. Genau das ist ja die Botschaft, die die Initiative Pro Regio entwickelt hat. Übrigens hat Braunsbach unheimlich viel historische Parallelen zu Künzelsau.
Welche Aufgabenbereiche haben Sie in der Stadtverwaltung und was ist Ihr Haupttätigkeitsbereich?
Kraut: Mein derzeitiger Schwerpunkt ist Veranstaltungsmanagement, Kultur und Städtepartnerschaft.
Was sind für Sie Ihre größten Erfolge während Ihrer Tätigkeit für die Stadt Künzelsau ?
Kraut: Die Erfolge waren immer damit verbunden, dass man seinen Mitmenschen helfen konnte. Das konnte dann auch was ganz kleines sein, dass jemand beispielsweise eine Rente bekommt. Oder dass ich Menschen zusammenführen konnte. Oder dass ein Fest gut gelungen war. Was immer ich den Menschen Gutes tun konnte, empfand ich als einen Riesenerfolg. Auch das Jubiläumsjahr 1998 etwas Besonderes.
1997 haben Sie bereits bei der Bürgermeisterwahl in Weikersheim Ihren Hut in den Ring geworfen. Was reizt den gelernten Historiker an einem Bürgermeistersessel?
Kraut: Mich reizt die verantwortungsvolle Aufgabe, eine Gemeinde zu führen, Zukunftsperspektiven zu entwickeln, der die vielfältigen Aufgaben energisch anzugehen und eine ausgesprochen reizvolle Gemeinde mit ihren Ortsteilen weiter voranzubringen.
Und wo sehen Sie die Perspektiven für Braunsbach?
Kraut: Da möchte ich mit Stichworten antworten: Fortsetzung der laufenden Hochwasserschutzmaßnahmen, Förderung des Fremdenverkehrs, Hilfe bei der Umstrukturierung der Landwirtschaft, Umnutzung leer stehender Gebäude, Förderung der Vereinsarbeit, und so vieles andere mehr.
Sie sind kein gelernter Verwaltungsmann. Ist man nach einen Studium der Geschichte, Germanistik und Philosophie fit genug, um die Zukunft einer Kommune zu gestalten?
Kraut: Meine Ausbildung, meine berufliche Entwicklung haben mir Einblicke ins System vermittelt und erheblich an Rüstzeug mitgegeben. Daher fühle ich mich absolut fit. Zumal mir bekannte Bürgermeister meine Qualifikation für das Amt bestätigt haben.
So ein Wahlkampf kostet auch Geld? Finanzieren Sie Ihren Wahlkampf selbst oder haben Sie die Unterstützung einer Partei?
Kraut: Bis heute habe ich alles aus eigener Tasche bezahlt. Ich bin parteilos. Als unabhängiger Bewerber um den Braunsbacher Bürgermeisterposten werde ich allen Braunsbacher Bürgerinnen und Bürgern, allen politischen Gruppierungen sowie den zahlreichen Vereinen offen begegnen.
Quelle: Stimme.de, 21.1.2004
Fall Sieburg: Warum die NS-Mitgliederkartei zweifelhaft ist
Die Frage bewegt seit Wochen historisch interessierte Gemüter: Konnte man Mitglied der NSDAP werden, ohne davon Kenntnis zu haben? Walter Jens, wortgewaltiger Intellektueller der alten Bundesrepublik, nimmt dies für sich in Anspruch. Michael Buddrus, Mitarbeiter des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, schließt dies hingegen aus, weil ein persönlich unterzeichneter Aufnahmeantrag zwingend erforderlich gewesen sei (F.A.Z. vom 25. November 2003). Zwar sind von verschiedener Seite inzwischen Bedenken gegen diese Einschätzung geäußert worden. Aber bislang konnte noch niemand beweisen, daß es Einzel- oder gar Sammelaufnahmen ohne das Wissen der Betroffenen gegeben hat.
Bislang unbekannte Dokumente zur NSDAP-Mitgliedschaft des Publizisten Friedrich Sieburg zeigen jetzt, wie groß mitunter die Schwierigkeiten sein können, wenn man auf dem Gebiet der Parteimitgliedschaften in der NS-Zeit zu sicheren Ergebnissen gelangen will. Sieburg (1893 bis 1964) war bis 1939 Auslandskorrespondent der „Frankfurter Zeitung“ und danach bis Ende 1942 als Botschaftsrat unter Otto Abetz in Paris tätig. Im Jahr 1956 übernahm er die Leitung des Literaturteils dieser Zeitung, er galt als führender Literaturkritiker der Adenauer-Ära.
Aufnahmeantrag abgelehnt
Das Sieburg betreffende Material nährt Zweifel an der Zuverlässigkeit der Angaben in der NSDAP-Mitgliederkartei. Folgt man den dort gemachten Einträgen, so hat der damalige Botschaftsrat Sieburg sich am 9. April 1941 um die Aufnahme in die NSDAP beworben. Zum 1. September 1941 wurde seinem Antrag stattgegeben, und er erhielt die Mitgliedsnummer 8537221. In Sieburgs Nachlaß im Deutschen Literaturarchiv Marbach befindet sich jedoch ein diesen Angaben widersprechender maschinenschriftlicher Brief vom November 1942, den das „Amt für Beamte“ in der NSDAP-Auslandsorganisation an ihn richtete.
Der Inhalt des Schreibens lautet: „Berlin-Wilmersdorf 1, den 28. 11. 1942. Persönlich! Herrn Botschaftsrat Friedrich Sieburg, Paris/Frankreich, Deutsche Botschaft über Landesgruppe der AO der NSDAP in Frankreich – Der Leiter der Auslands-Organisation der NSDAP hat Ihr Gesuch vom 9. 4. 1942 um Aufnahme in die Partei abgelehnt. Eine Mitteilung der Ablehnungsgründe kann bestimmungsgemäß nicht erfolgen. Heil Hitler! Schenk.“
Vielleicht nur ein Datierungsfehler?
Wie paßt das zusammen? Warum sollte Sieburg im April 1942 einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP gestellt haben, wenn er ihr doch schon seit einem halben Jahr angehörte? Ist es denkbar, daß er von dieser Mitgliedschaft nie erfahren hat? Warum ist man bei der Bearbeitung seines Aufnahmegesuchs aus dem Jahr 1942 nicht auf die Mitgliedsnummer gestoßen? Jedenfalls muß man annehmen, daß Sieburg wahrheitsgemäß zu antworten glaubte, als er nach Kriegsende im Fragebogen der französischen Militärregierung eine Mitgliedschaft in der NSDAP verneinte.
Welche anderen Erklärungsmöglichkeiten gibt es? Liegt vielleicht nur ein Datierungsfehler vor? Dafür spricht, daß es sowohl 1941 als auch 1942 gleichermaßen der 9. April gewesen sein soll, an dem Sieburg angeblich einen Aufnahmeantrag gestellt hat – eine auffällige, um nicht zu sagen: äußerst unwahrscheinliche Koinzidenz. Doch welche Daten wären dann zu korrigieren: die in der Mitgliederkartei oder die im Schreiben der NSDAP-Auslandsorganisation? Die Mitgliedsnummer gibt allenfalls einen groben Anhaltspunkt für eine zeitliche Einordnung. Für die auf den ersten Blick keiner Logik gehorchende Reihenfolge der Nummern gibt der auf den Internetseiten des Bundesarchivs verbreitete Aufsatz „Personenbezogene Unterlagen aus der Zeit des Nationalsozialismus“ eine Begründung. Danach wurden Mitgliedsnummern unmittelbar nach dem Eingang eines Aufnahmeantrags bei der Reichsleitung der NSDAP vergeben. Ist dieser abgelehnt oder zurückgezogen worden, hat man die Nummer einem anderen Antragsteller zugewiesen. Diese Erklärung basiert auf den Aussagen, die Anton Lingg, der Leiter des Mitgliedsamtes, im Januar 1947 bei einer Befragung im Internierungslager Regensburg gemacht hat. Ob sie jemals überprüft wurden, geht aus dem Aufsatz, der auch in einer gedruckten Fassung vorliegt, leider nicht hervor (Herold-Jahrbuch. Neue Folge. Verlag Degener & Co., Neustadt a. d. Aisch 2000. Hier die Seiten 147-186).
Sieburgs Rolle im „Dritten Reich“
Nehmen wir aber an, Sieburg habe nur einen Antrag gestellt, und zwar am 9. April 1941. Nehmen wir weiter an, der Verfasser des Schreibens der NSDAP-Auslandsorganisation habe seinen Bescheid tatsächlich erst eineinhalb Jahre später geschrieben, sich dabei vertippt und irrtümlich 1942 statt 1941 als Jahr der Antragstellung angegeben. Wie erklärt man dann, daß Sieburg laut NSDAP-Zentralkartei zum 1. September 1941 in die Partei aufgenommen wurde? Und vor allem: Warum wurde er dort trotz der ihm im November 1942 mitgeteilten Ablehnung seines Aufnahmegesuchs bis Kriegsende weiterhin als Mitglied geführt? Der Vorgang ist dubios. Alle Bemühungen, ihn aufzuklären, blieben bislang erfolglos.
Von der Lösung dieses Problems hängt die Bewertung von Sieburgs Rolle im „Dritten Reich“ indes nicht ab. Um zu ermessen, wie schillernd sein Verhalten war, reicht das Studium seines beruflichen Werdegangs und seiner Veröffentlichungen. Nach dem Beginn der journalistischen Laufbahn auf seiten der politischen Linken (er war unter anderem Mitarbeiter der radikaldemokratischen „Weltbühne“) bewegte er sich Ende der 1920er Jahre zunehmend nach rechts, pflegte Kontakte zum „Tat-Kreis“ um Hans Zehrer und befürwortete die Politik des 1934 beim sogenannten Röhm-Putsch ermordeten Generals Kurt von Schleicher. Sein Buch „Es werde Deutschland“, das 1932 geschrieben wurde, aber wegen erheblicher politischer Bedenken im Frankfurter Societäts-Verlag erst nach der „Machtergreifung“ erscheinen konnte, war ein flammendes Plädoyer für eine nationale Erneuerung, enthielt allerdings auch eine scharfe Kritik am Antisemitismus der Nationalsozialisten. Manche glaubten, unter ihnen Harry Graf Kessler und Kurt Tucholsky, das Buch sei eine Apologie Hitlers und seiner Politik. Doch die Partei las es genauer und zog es 1936 aus dem Verkehr. Sieburgs 1935 erschienene Biographie „Robespierre“ ist ebenfalls ein Zeugnis politisch nonkonformer Literatur im „Dritten Reich“, denn das Werk legt nahe, die deutsche mit der französischen Schreckensherrschaft zu vergleichen. Der nach Frankreich emigrierte Publizist Wolf Franck schrieb damals in einer Rezension für die Exilzeitschrift „Das Tage-Buch“: „Das kann Historie sein, – es gibt dennoch kaum eine Seite, auf der der Leser nicht hundertfünfzig Jahre weiter und neunhundert Kilometer abseits gelenkt wird. Dies ist zumindest der Effekt des Buches. Es hieße, einen Autor unterschätzen, wollte man ihm zutrauen, daß ein so starker Effekt unabsichtlich entstanden sei. Ganz unmißverständlich war es Sieburgs Absicht, an Dinge unserer Gegenwart zu rühren, – und es möglichst unmißverständlich zu tun.“
Politisches Bekenntnis bleibt interpretationsbedürftig
Betrachtet man Sieburgs weiteres Verhalten bis 1945, so folgte er offensichtlich einer Maxime, die er in seinem 1929 veröffentlichten Buch „Gott in Frankreich?“ zum besten gab: „Der Realist gibt dem Teufel den kleinen Finger in der Hoffnung, dann wenigstens die andere Hand frei zu haben.“ Sein vor moralischen Skrupeln nicht gerade strotzender Pragmatismus brachte es im März 1941 mit sich, daß er in einer „France d'hier et de demain“ überschriebenen Rede vor der „Group Collaboration“ in Paris erklärte, er sei durch das Leben in Frankreich „zum Kämpfer und Nationalsozialisten“ erzogen worden.
Es gibt also anders als bei Walter Jens nicht den geringsten Anlaß, an Sieburgs politischem Konformismus und seiner Absicht zu zweifeln, Anfang der 1940er Jahre Mitglied der NSDAP werden zu wollen. Daß man sie ihm schließlich verwehrte, erscheint angesichts seiner politischen Haltung in der Weimarer Republik wenig erstaunlich. So eindeutig Sieburgs politisches Bekenntnis kurz vor Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg aber auch war, so interpretationsbedürftig bleibt es. Nicht ein bislang bekanntgewordenes Dokument spricht etwa für die Annahme, er habe Verbrechen des NS-Regimes gutgeheißen. Doch wie gesagt: Zu einem differenzierten Gesamtbild trägt der Beweis oder die Widerlegung einer NSDAP-Mitgliedschaft nichts Entscheidendes bei.
Noch viel zu tun
Vor dem Hintergrund der jüngsten Debatten um die politischen Jugendsünden deutscher Gelehrter gewinnt die Auseinandersetzung mit diesem Fall jedoch eine andere Bedeutung. Denn die widersprüchlichen Dokumente über Sieburgs Parteimitgliedschaft geben Anlaß, über die unumstößliche Beweiskraft der Einträge in der NSDAP-Zentralkartei weiter nachzudenken. Vor allem erscheint es dringend geboten, daß sich Historiker über die zahlreichen noch unerschlossenen Quellen beugen. So soll es, wie von der „Stuttgarter Zeitung“ unlängst gemeldet wurde, bei den Entnazifizierungsverfahren in der schwäbischen Landeshauptstadt eine Reihe von Fällen gegeben haben, bei denen Angeklagte unwissentlich Parteimitglied gewesen seien. Zu prüfen wäre daher, ob in den erhaltenen Akten lediglich die meist wenig bis gar nichts beweisenden Erinnerungsprotokolle und Zeugenaussagen zu finden sind oder auch aussagekräftige amtliche Dokumente aus der Zeit vor 1945. Zu suchen wäre besonders nach offiziellen, beispielsweise städtischen Schreiben, in denen ausdrücklich auf eine nicht vorhandene oder wie bei Sieburg abgelehnte Parteimitgliedschaft Bezug genommen wurde, obwohl die NSDAP-Zentrale die Betroffenen als Mitglied geführt hat. Fünfhunderttausend Faszikel mit den Stuttgarter Spruchkammerakten, die etwa tausend Regalmeter füllen, lagern bis heute unaufgearbeitet im Staatsarchiv Ludwigsburg. Auch von den zu achtzig Prozent überlieferten Parteiakten ist kaum mehr als ein Prozent ausgewertet worden. Mit anderen Worten: Es gibt noch sehr viel zu tun.
Info:
Der Verfasser Gunther Nickel ist Mitherausgeber des „Geheimreports“ von Carl Zuckmayer. Er arbeitet beim Deutschen Literaturfond und lehrt Neuere deutsche Literaturgeschichte in Mainz.
Quelle: FAZ, 21.1.2004, Nr. 17, S. 33
LWL-Medienzentrum erschliest historische Bildersammlung
So sah es aus zu Großvaters Zeiten in Brakel und Bad Driburg, in Steinheim und Hoexter, in Warburg und Willebadessen oder anderenorts in der Region zwischen Egge und Weser. Ueber 3.000 historische Fotos, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) jetzt digitalisiert in das Bildarchiv seines Westfaelischen Landesmedienzentrum eingestellt hat, dokumentieren, wie die Orte der Region Hoexter/Warburg vor 30, 40 oder 50 Jahren aussahen. 'Viele Aufnahmen stammen sogar aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg', erklaert Kerstin Burg, die die Fotos in zweijaehriger Arbeit inhaltlich erschlossen, per Computer betextet und mit Schlagworten versehen hat, damit beispielsweise interessierte Heimatforscher und Buchautoren ein gesuchtes Motiv schneller finden koennen.
Der Hauptteil der Sammlung entstand in den 1950er bis 1970er Jahren. In den zwei Jahrzehnten nach 1949 vollzogen sich rasante Veraenderungen in den Doerfern und Staedten. 'Die Fotografen des LWL haben den Wandel vieler Ortsbilder und Landstriche ueber die Jahre mit der Kamera festgehalten. Und so koennen die Historiker und Geographen von heute, Heimatvereine, Schulen oder interessierte Buerger Einblick nehmen in die Gegenwart' von damals', so Burg. Die Bildersammlung Hoexter/Warburg ist nur eine von vielen Sammlungen, die das Archiv des LWL-Landesmedienzentrums seit seiner Gruendung 1986 erhalten hat – aus oeffentlichen und privaten Quellen und aus dem Schaffen vieler Fotografen: Ueber 300.000 historische und aktuelle Bilder darunter auch Luftaufnahmen aus allen Regionen Westfalens lagern im Archivsaal des Westfaelischen Landesmedienzentrums in Muenster. 'Und jaehrlich waechst der Bestand', so die Dokumentarin: 'Denn haeufig muessen Kommunen ihre Bildarchive aufgeben oder Fotografen hinterlassen ein Lebenswerk mit ungesichertem Verbleib – in solchen Faellen sind wir Ansprechpartner und Auffangstation.'
Und was geschieht mit diesen Bilderbergen? 'Zunaechst sichern wir die Bilder archivarisch, um sie vor dem Verfall zu bewahren. Anschließend digitalisieren wir die Sammlungen Bild fuer Bild, analysieren und dokumentieren jedes einzelne Foto und stellen das wertvolle Kulturgut so schnell wie moeglich zur oeffentlichen Nutzung bereit', erklaert Burg. Inzwischen koennen Interessierte mehr als 33.000 Bilder am Bildschirm sichten und auf Wunsch per Mail uebermittelt oder digital reproduziert bekommen. Im LWL-Bildarchiv finden sich Fotos zu den Themen Siedlung und Landschaft, Kunst, Kultur, Architektur, Wirtschaft, Landesgeschichte und Alltagsleben in Westfalen. 'Es war wichtig, zunaechst einen repraesentativen Querschnitt durch saemtliche Lebensraeume und Wirtschaftsregionen Westfalens zu archivieren – in allen Facetten zwischen Kaisers Zeiten und Solarkraftwerk', erlaeutert die Geographin und Soziologin. 'Die Nachfrage sowohl nach aktuellen wie nach historischen Fotos wird immer groeßer: fuer Publikationen, Ausstellungen oder andere Anschauungszwecke.
Als zusaetzlichen Service stellen wir das Bildarchiv im Laufe dieses Jahres ins Internet. Dann kann man bei der Recherche und Bildsichtung am Schreibtisch virtuell von Rahden bis Siegen, von Bocholt bis Blomberg – durch 150 Jahre westfaelische Geschichte reisen', so Burg. Schon jetzt erhalten Interessierte erste Einblicke in das Bildangebot des LWL-Bildarchivs unter:
www.westfaelisches-landesmedienzentrum.de.
Kontakt:
Westfälisches Landesmedienzentrum
Warendorfer Straße 24
48145 Münster
Briefadresse: 48133 Münster
Tel.: 0251 / 591-3902
Fax: 0251 / 591-3982
medienzentrum@lwl.org
Quelle: „LWL-Pressestelle“, <presse@lwl.org>, 20.1.2004
Internet-Archiv des Zweiten Weltkriegs
Brennende Leichen im KZ, Kampfszenen in der Normandie, zerbombte deutsche Städte: Das britische Nationalarchiv veröffentlicht fünf Millionen Luftbilder aus dem Zweiten Weltkrieg im Internet – Dokumente des Schreckens, in ihrer Schärfe von beklemmender Wirkung.
Es war der 23. August 1944, als der Pilot an Bord der britischen Aufklärungsmaschine die deutschen Baracken in Polen überflog und der Auslöser seiner Kamera wie ein Maschinengewehr zu rattern begann. Es sollte fast 60 Jahre dauern, ehe die Bedeutung der Bilder erkannt wurde.
Eines der Fotos zeigt das Konzentrationslager von Auschwitz auf dem Höhepunkt des Vernichtungswahns. Auf dem Bild wälzt sich eine weiße Wolke über das Land. Sie stammt nach Angaben des Nationalarchivs aus einem Massengrab und nicht aus dem Schornstein eines Krematoriums. 1943 und 1944 wurden rund 430.000 ungarische Juden in Auschwitz ermordet – zu viele, um in den Verbrennungsöfen des Vernichtungslagers eingeäschert zu werden. Auf dem gestochen scharfen Foto sind sogar Häftlinge beim Zählappell zu erkennen.
Einzelne Menschen auf Luftbildern zu erkennen
„Die Bilder haben mich sehr bewegt“, sagt Allan Williams von den britischen Aerial Reconnaissance Archives an der Keele University. „Meines Wissens gibt es sonst keine Aufklärungsfotos von Auschwitz aus dieser Zeit.“ Warum das Foto erst jetzt entdeckt wurde, kann Williams nur vermuten. „Die Analysten achteten damals vielleicht zu einseitig auf militärisch Verwertbares.“
Williams führt ein Projekt an, das weltweit seinesgleichen sucht: Das britische Nationalarchiv stellt ab dem heutigen Montag auf einer eigens eingerichteten Internetseite fünf Millionen Luftaufnahmen vom Europa unter deutscher Besetzung bereit. Die Bilder zeigen neben Nazi-Gräueln auch die Landung der US-Truppen an der französischen Atlantikküste im Juni 1944 – so detailreich, dass im Wasser treibende Leichen zu erkennen sind.
Ein weiteres Bild zeigt das deutsche Schlachtschiff „Bismarck“, wie es sich im Mai 1941 in einem norwegischen Fjord versteckt – sieben Tage vor seiner Versenkung durch britische Streitkräfte. Auch die Zerstörung deutscher Städte wurde ausführlich dokumentiert, wie ein Foto von Köln zeigt, auf dem die durch alliierte Bomben völlig zerstörte Stadt am 18. Juni 1945 zu sehen ist.
Der Andrang auf die Webseite war so groß, dass sie auch am zweiten Tag nach dem Start praktisch nicht zu erreichen war. „Die Bilder erlauben uns, den wirklichen Krieg aus erster Hand zu begreifen“, sagt Williams. Die Fotos erzählen dramatische Geschichten und sind nicht selten auf ebenso dramatische Weise entstanden. Die Piloten überflogen in meist unbewaffneten Maschinen ihre Ziele allein und in geringer Höhe, um möglichst scharfe Bilder zu bekommen. Der britische Pilot Michael Suckling etwa überlebte sein für die Versenkung der „Bismarck“ entscheidendes Foto nur um einen Monat.
Schlüsselrolle für Spionagepiloten
Historiker Williams und seine Kollegen räumen den Aufklärungspiloten und den Foto-Analysten für den Ausgang des Kriegs eine ähnliche Bedeutung zu wie den Codeknackern von Bletchley Park, denen Anfang 1943 die Entschlüsselung der deutschen „Enigma“-Kodiermaschine und damit das Abhören des deutschen Funkverkehrs gelang. „Keine Offensive, weder ein Luftangriff, die Landung einiger Soldaten an einem Strand oder die Invasion einer ganzen Armee“ seien ohne die Auswertung des Bildmaterials möglich gewesen.
Ob das Auschwitz-Foto, wie die britische Zeitung „The Guardian“ schreibt, durch seine Veröffentlichung Hunderttausende von Leben hätte retten können, dürfte indes fraglich sein. London und Washington wussten nicht nur durch die entschlüsselte „Enigma“-Maschine schon seit Anfang 1943, was in Auschwitz geschah. Die Alliierten waren, wie der Freiburger Historiker Gerd Ueberschär 1999 belegen konnte, spätestens seit Februar 1943 durch den Ex-Diplomaten Jan Karski über den Massenmord an den Juden informiert.
In fünf Jahren 40 Millionen Bilder
Dennoch dürfte die Datenbank für Historiker allein wegen ihrer schieren Größe von unschätzbarem Wert sein. Auch für die Suche nach Blindgängern in Deutschland werden noch heute die Luftbilder der Alliierten benutzt, die kurz nach Bombenangriffen entstanden sind. „Die Bilder wurden schon vor Jahren freigegeben“, erklärt Williams. „Aber es dauerte Tage, um ein einzelnes Bild zu finden. Jetzt braucht man nur noch Sekunden.“
Künftig soll das Internet-Archiv weit mehr als die derzeit verfügbaren fünf Millionen Bilder enthalten. „Nach den Fotos des besetzten Westeuropas werden wir über zweieinhalb Millionen Bilder katalogisieren, die die deutsche Luftwaffe über Osteuropa geschossen hat“, betont Williams. In den nächsten fünf Jahren soll die Webseite Zugang zu mehr als 40 Millionen Luftbildern aus aller Welt seit 1938 bieten. „Am Ende werden Luftaufnahmen aller britischen Feldzüge von der Suezkrise über den Korea- und den Falklandkrieg bis hin zu den Golfkriegen der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.“
Link: http://www.evidenceincamera.co.uk/
Kontakt:
The National Archives (PRO)
Kew, Richmond, Surrey,
TW9 4DU
United Kingdom
telephone: 020 8876 3444
enquiry@nationalarchives.gov.uk
www.nationalarchives.gov.uk
Quelle: SPIEGEL Online, 19.1.2004
Neuer Leiter des Archivs der Brüder-Unität
Der promovierte Germanist und Historiker Rüdiger Kröger hat im „Archivum Unitatis Fratrum“, dem zentralen Archiv der Herrnhuter Brüder-Unität, die Nachfolge von Dr. Paul Peuker angetreten.
Als er zum ersten Mal die Stellenausschreibung las, sei es ihm wie vielen Kollegen gegangen, die erst einmal misstrauisch fragten: „Herrnhut – ja wo ist das denn?“ Doch im Gegensatz zu denen, die nach einem Blick auf die Landkarte wussten, dass sie hier auf keinen Fall hingehen würden, entschied sich der 37-jährige gebürtige Hannoveraner Rüdiger Kröger anders.
„Ich sah darin eine echte Herausforderung“, sagt er. Er habe noch nie ein Archiv kennen gelernt, in dem Güter und Exponate aus so unterschiedlichen Regionen der Erde und zu so unterschiedlichen Themenbereichen – natürlich alles aus historischer Sicht – aufbewahrt und aufgearbeitet werden. Vor allem freue er sich auf die Besucher aus aller Herren Länder, die hier zu den verschiedensten Wissenschaftszweigen ihre Studien und Forschungen betreiben. Mit seinem neuen Amt hat Rüdiger Kröger als bisheriger Wissenschaftler praktisch die Fronten gewechselt. Bisher beschäftigte er sich mehr mit der Auswertung, nun mit der Verwaltung von Büchern, Dokumenten, Karten, Gemälden usw.
Und Rüdiger Kröger erklärt den Anspruch an seine Arbeit: „Früher haben die Archivare eifersüchtig über ihrem Zeug gehockt wie die Glucke auf dem Nest. Besucher störten da nur. Doch in Wirklichkeit müssen diese Dinge doch unter die Menschen und von diesen genutzt werden. In Herrnhut habe ich bereits in den ersten Tagen gemerkt, dass man hier im Umgang mit Gästen sehr offen ist. Das gefällt mir.“
Bereits mit 13, 14 Jahren hatte der junge Rüdiger Kröger begonnen, sich etwas intensiver mit der Geschichte seiner eigenen Familie zu beschäftigen. Dabei war er sehr schnell an die Grenzen der Kirchenbücher als zuverlässige Quellen gestoßen. So besuchte er mit 15 zum ersten Mal das Staatsarchiv Hannover. Das zog ihn so magisch an, dass er hier anschließend gleich ein Schulpraktikum absolvierte. Nach dem Studium arbeitete er bereits in verschiedenen Archiven und Sammlungen in kirchlicher Trägerschaft. Lehraufträgen in seiner Heimatstadt und in Oldenburg folgten verschiedene Forschungsprojekte, so zur Geschichte der Juden in Niedersachsen, ein zweijähriges Referendariat für den Archivdienst in Hessen sowie Erschließungsprojekte in Stuttgart und Ludwigsburg.
„Weit reichende Konsequenzen brachte meine Entscheidung für Herrnhut auch für die Familie“, stellt Dr. Kröger fest. Die wohnt zurzeit noch in Springe bei Hannover. Die älteste Tochter wird auf Grund ihrer Ausbildung auch da bleiben. Mit den anderen drei Sprösslingen zieht seine Frau in den Sommerferien her.
Kontakt:
Archiv der Brüder-Unität
Zittauer Str. 24
D – 02747 Herrnhut
Tel.: 035873 / 487-31
Fax: 035873 / 487-66
email: archiv@ebu.de
Dr. Rüdiger Kröger (035873 / 487-31)
Quelle: SZ Online, 20.1.2004
Zeitdokument schlummerte in der Schublade
„Am 11. kamen die Amerikaner nach Westick“, erzählt Erna Plaßwich in ihrem Tagebuch. Die Kladde mit den Aufzeichnungen der Westickerin über den April 1945 und die Nachkriegswirren der Jahre 1945 bis 1947 geriet durch Zufall in die Hände von Marc Woller, dem neuer Kaiserauer Ortsheimatpfleger.
Der Ehemann durch die Amerikaner verhaftet, ein Sohn lange vermisst und dann für Tod erklärt. Erna Plaßwich, geborene Heiner hat Krieg und Nachkriegszeit mit all ihren Schrecken erlebt. An der Mühlenstraße in Westick lebte sie und schrieb dort auf, was in diesen turbulenten Monaten passierte. 1969 starb sie, die Kladde mit ihren Aufzeichnungen schlummerte danach über viele Jahre vergessen in irgendeiner Schublade. Vor einiger Zeit dann fielen die Aufzeichnungen in die Hände von Marc Woller.
Den ehemaligen Dortmunder verschlug es inzwischen ebenfalls nach Westick, an die Mühlenstraße. Familienkontakte und nicht zuletzt Ortsheimatpfleger Ulrich Neumann weckten sein Interesse für die Methleraner und Kaiserauer Geschichte. Inzwischen hat er eigene Recherchen angestellt, manch Erinnerungsstück an örtliche Geschichte im Internet ersteigert, alte Fotos am Heim-PC gescannt und sich geschichtliche Kenntnisse angelesen. Künftig will er sich als Ortsheimatpfleger um die Kaiserauer Ortsgeschichte kümmern.
Faszinierend ist für ihn gerade hautnah erlebte Geschichte, Traditionen der Nachbarschaft, Erzählungen von Zeitzeugen. Das Tagebuch aus und über Westick ließ ihm daher keine Ruhe. Geschrieben aber war es in Sütterlin, auf den ersten Blick nicht zu enträtseln. Stadtarchivar Jürgen Kistner half mit einer Einführung in die heute ungewohnten Schriftzeichen, ältere Nachbarn und verwandte entzifferten schwierige Textstellen. Von Seite zu Seite wurde das Lesen einfacher. Inzwischen hat Marc Woller das gesamte Werk „übersetzt“.
Weiter schlummern lassen wollte er das ganz nicht. Die Kladde will er dem Stadtarchiv überlassen, den Inhalt aber Westickern und anderen Interessenten offen legen. Ab Februar wird die WR in einer Serie Auszüge drucken, zum Teil ergänzt um Informationen aus dem Stadtarchiv.
Kleine und große Geschichte(n) tauchen darin auf, Weltereignisse und ganz persönliches Hoffen und Leiden. Die Potsdamer Nachkriegskonferenz aus Westicker Sicht wird hier erzählt, der Hunger bei 100 g Fleisch die Woche und einem Pfund Butter pro Pro Person. Es geht um Hamsterfahrten, um Entnazifizierung, aber auch um das ganz persönliche Leben in Westick am Ende eines Weltkrieges wird geschildert. Vom Kampf gegen Kartoffelkäfer und die Beseitigung von Bombentrichtern und Hausschäden berichtet Erna Plaßwich.
Ein seltenes Dokument hat er dort entdeckt, so weiß Marc Woller. Die Berichte der Westickerin liefern Momentaufnahmen aus dem Stadtteil, Blicke nach Kamen und Empfindungen, die in Stadt und Region wohl ähnlich empfunden wurden.
Kontakt:
Stadtarchiv Kamen
Bahnhofstr. 21
D-59174 Kamen
Telefon: 02307-5534-12 /-13
Telefax: 02307-553414
E-mail: rathaus@stadt-kamen.de
Quelle: Westfälische Rundschau, 20.1.2004
Stadt Schwetzingen hat erstmals einen hauptamtlichen Archivar
„Nur derjenige kann die Zukunft meistern, der auch die Vergangenheit kennt“, meinte gestern Oberbürgermeister Bernd Kappenstein vor Journalisten im Rathaus von Schwetzingen. Das Stadtarchiv ist für die über 1230 Jahre alte Stadt Schwetzingen, ihre Kurfürstenzeit und ihre 200 Jahr als Amtsstadt von großer Bedeutung und so wurde im Januar im Kultur- und Sportamt Joachim Kresin als erster hauptamtlicher Archivar eingestellt.
Seit 1987 gibt es das Landesarchivgesetz, dass jede Stadt dazu verpflichtet, ein Archiv zu führen. Solch ein Archiv kann auch bei verwaltungstechnischen Dingen oder als denkmalrechtliche Grundlage dienen. „Das Archiv soll vor allem aber ein Dokumentationszentrum für die Stadtgeschichte sein“, betonte der OB. Und es solle auch für die Bevölkerung zur Verfügung stehen.
Bereits in den 1950er Jahren hat der ehemalige Stadtkämmerer und spätere Beigeordnete Wilhelm Heuss als Nebenamt das Archiv geführt. Nach seinem Ruhestand in den 90ern hatte er diese Aufgabe bis 2002 weiterhin ehrenamtlich inne. „Als waschechter Schwetzinger Bub war er ein wandelndes Lexikon“, hob Kappenstein Heuss' Leistung hervor. Ein weiteres Lob bekam Iris Hartung, die das Stadtarchiv als Teilzeitkraft von 1990 bis 2003 ebenfalls vorbildlich geführt habe.
Nun steht der ehemalige Leiter des Mannheimer Stadtarchivs, Dr. Jörg Schadt, dem Archiv als ehrenamtlicher Berater. Er wählte auch gemeinsam mit der Stadt aus den insgesamt 35 Bewerbern für die ausgeschriebene Stelle Joachim Kresin aus. „Kresin hatte die besten Voraussetzungen und auch eine Bindung zur Stadt und der Umgebung“, erläuterte der OB. Kresin ist 37 Jahre alt, ledig und lernte ursprünglich Industriekaufmann. Nach zehn Jahren in diesem Beruf begann er das Studium der Archivwissenschaft. Seine erste Festanstellung hatte er im Zentralarchiv der evangelischen Kirchen der Pfalz in Speyer. Es folgten zwei Jahre im Stadtarchiv seiner Heimat in Herrenberg bei Böblingen. Neben Lesen und Arbeiten am Computer, fährt Kresin Inlineskates und liebt das Schwimmen. Seine große Leidenschaft gehört aber dem Tanzen.
„Ich bin ein Glückspilz, dass ich diese Stelle bekommen habe“, freute sich der 37-Jährige. Sein Ziel ist es, die Öffentlichkeitsarbeit zu intensivieren. Projekte wie Ausstellungen, Führungen und Vorträge sollen kommen und eine enge Zusammenarbeit mit den übrigen kulturellen Einrichtungen der Stadt und auch mit staatlichen Einrichtungen. Eine fruchtbare Kooperation soll es zudem mit Verbänden, Parteien und Kirchen geben. Die Archivierung der Zeitungsausschnitte will der neue Archivar verbessern, eine Archivbibliothek soll entstehen. „Die Archivregistratur muss neu geordnet und die inhaltliche Erschließung von Sammelgut vorangetrieben werden“, betonte Kresin, der auch die EDV dafür einsetzt. Der OB könne sich auf Dauer zudem vorstellen, dass Kresin mit seinem fachlichen Wissen auch die Archive in Ketsch und Brühl unterstützt, die sich keine Ganztageskraft leisten können.
„In der heutigen Zeit müsse man betriebswirtschaftlich denken“, meinte Schadt. Als gelernter Industriekaufmann könne Kresin das durchaus. Schwetzingen sei zwar kleiner als Mannheim und Heidelberg, doch gehörte es schon immer zum Kerngebiet der Kurpfalz, war schon im 18. Jahrhundert Nebenresidenz. Er freue sich bei der Pflege der lokalen Stadtgeschichte zu helfen und sieht es als Aufgabe, die vielen großen Persönlichkeiten der Stadt dadurch zu würdigen.
Das Archiv ist unterhalb des Sitzungssaals im westlichen Rathaus untergebracht. „Der Sitzungssaal und das Archiv sind einer Großen Kreisstadt nicht würdig“, so der OB. Im Moment sei es finanziell nicht möglich, doch in ein paar Jahren sollen die entsprechenden Umbauten in Angriff genommen werden.
Kontakt:
Stadtarchiv Schwetzingen
Hebelstraße 1
D-68723 Schwetzingen
Tel: +49 (6202) 87 136
Fax: +49 (6202) 87 111
Quelle: RNZ Online, 20.1.2004
Neubau für das Bundesarchiv in Berlin
Zehn Jahre nach der provisorischen Zusammenführung der Archivbestände der zentralen Institutionen der DDR und des Deutschen Reiches durch das Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde stellte Kulturstaatsministerin Weiss am 20. Januar die Planungen für die endgültige Unterbringung der Berliner Dienstelle des Bundesarchivs vor.
Ziel der Baumaßnahmen ist es, die schwierigen Arbeitsbedingungen zu verbessern und optimale Lagerungsbedingungen für die in der Berliner Dienststelle des Bundesarchivs verwahrten Archivalien herzustellen.
Neben der Sanierung und dem Umbau der denkmalgeschützten Gebäude auf dem ehemaligen Kasernengelände in Berlin-Lichterfelde sehen die Planungen deshalb den Neubau eines Magazins vor, in dem zukünftig rund 110.000 laufende Meter Akten und Bücher untergebracht werden können. In enger Verbindung zu den Öffentlichkeits- und Funktionsbereichen des Archivs, die in den ehemaligen Gebäuden der preußischen Hauptkadettenanstalt und der „SS-Leibstandarte Adolf Hitler“ untergebracht sind, wird das Magazin auch gestalterisch neue Akzente setzen. Architekt Stephan Braunfels, der mit der Neukonzeption beauftragt wurde, sieht für das Gebäude einen auskragenden, geschlossenen Kubus mit einem transparenten Eingangsbereich vor. Die Neubau- und Umbauarbeiten, für die rund 40,5 Millionen Euro veranschlagt werden, sollen bis 2009 abgeschlossen sein.
In der Berliner Dienststelle des Bundesarchivs wurden zahlreiche nach der Wiedervereinigung übernommene Archive und Bestände aus dem Berliner Raum zusammengeführt. Dazu gehören das Zentrale Staatsarchiv der DDR mit dem damaligen Filmarchiv, das frühere Institut für Marxismus-Leninismus der SED, das Berlin Document Center sowie die Zentralbibliothek der Gewerkschaften der DDR. Wie das Archivgut des Deutschen Reiches, das ebenfalls in Berlin-Lichterfelde untergebracht ist, sind dort auch diese Unterlagen ohne Sperrfristen, aber unter Berücksichtigung persönlicher Schutzrechte, öffentlich zugänglich.
Das Bundesarchiv, das 1952 gegründet wurde, ist heute eine obere Bundesbehörde im Geschäftsbereich der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Verteilt auf 12 Dienststellen an 9 Orten in Deutschland, widmet es sich der Aufgabe, die Überlieferung zentraler Organe der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik, des Deutschen Reiches und des Deutschen Bundes zu sichern und sie nicht nur für die wissenschaftliche Forschung und die Bundesverwaltung sondern auch für eine interessierte Öffentlichkeit sachgerecht zu erschließen.
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Quelle: RegierungOnline, 20.1.2004