Einfach haben sie es nicht, die Hobbyhistoriker und Heimatforscher. Von studierten Historikern werden sie verspottet, hin und wieder sogar zu Recht als rechthaberisch bezeichnet, von Nachbarn, Freunden und Bekannten oft belächelt. Warum beschäftigt man sich in seiner Freizeit mit dem historischen Verlauf des Kaitzbaches oder der Geschichte des Pferdes bei der Dresdner Feuerwehr? Gibt es nichts Wichtigeres als wochenlanges Rumhocken in Bibliotheken und Archiven? Dazu kommt, dass alles aus eigener Tasche bezahlt werden muss und ein geeignetes Forum, um Ergebnisse zu dokumentieren, in den meisten Fällen fehlt. Auch an hoffnungsvollem, begeisterungsfähigem Nachwuchs mangelt es. Und doch ist der Enthusiasmus der meist schon grauhaarigen Geschichtsfreunde nicht zu stoppen.
Unter dem Motto „Dresdner Stadtteilgeschichte“ lud das Stadtmuseum am Wochenende zum neunten Mal interessierte Laien und Wissenschaftler ein, um Dresdner Geschichte und Geschichten zu erzählen und zu diskutieren (Bericht). Während das Stadtmuseum bis 2006 umgebaut wird und dann in altem Glanz mit neuer Ausstellung erstrahlen soll, fand man für die Diskussion im Stadtarchiv Platz. Zum ersten Mal konnte dort auf Initiative von Museum, Archiv und dem Bürgerverein Trachau auch der Dresdner Markt der Geschichte und Geschichten eröffnet werden. Über 50 Vereine und Privatpersonen stellten sich und ihre Arbeitsergebnisse vor. Fachvorträge, Diskussionen, Filmvorführungen und Internetpräsentation rundeten das Programm bis Sonntagmittag ab. Wer suchte, fand Informationen zu Sächsischer Postgeschichte ebenso wie zur alten Elbfähre in Laubegast, zum Freimaurertum in Elbflorenz oder zum Projekt ehrgeiziger Studenten der TU, die das mittelalterliche Dresden in multimedialer Form aufleben lassen wollen.
Der Schwerpunkt lag dieses Mal aber eben bei der Geschichte einzelner Stadtteile. Ob Cotta, Striesen oder Hellerau – in der Anonymität der Großstadt identifiziert man sich gern über die eigene Wohngegend. Und dabei gilt wie bei gutem Wein: je älter, desto besser. Beste Karten also für Klotzsche oder Leuben, deren Geschichte gut bis ins Mittelalter zurückzuverfolgen ist. Pech nur, wenn, wie in Zschertnitz, von der Geschichte des Ortes kaum noch etwas zu sehen ist. Und so arbeiten viele Vereine daran, vorhandene Bauwerke oder historische Dorfkerne zu restaurieren, für Besucher attraktiver zu machen.
Das neueste Projekt des Kaditzer Vereins zur Ortsgeschichte ist beispielsweise die Wiedererrichtung einer jahrhundertealten Hochwassersäule, die bisher ein kaum beachtetes Dasein als Zaunspfosten führte. Zum nächsten Tag des Denkmals soll es soweit sein. Wohl dem, der bei seinen Bemühungen von einem ganzen Verein unterstützt wird. Andere kämpfen allein. Wie die Familie Boden, die sich für den Erhalt eines familieneigenen denkmalgeschützten, aber verfallenen Bürgerhauses in Friedrichstadt einsetzt. Immerhin begann in einer Gartenlaube auf diesem Grundstück die Erfolgsgeschichte von „Odol“. Carl August Lingner machte hier seine ersten Versuche mit dem Mundwasser.
Mit dem Treffen im Stadtarchiv gab es nun fern von bierseligen Stadtteilfesten die Möglichkeit, diese Geschichten und Schicksale einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen, Kontakte zu knüpfen, Ideen und Gedanken auszutauschen. Und dass dieses Angebot dankbar angenommen wird, zeigten die gut 500 interessierten, zumeist älteren Besucher, die allein am Sonnabend die engen Gänge des Stadtarchives verstopften. Ein guter Start, auch wenn an der Präsentation gearbeitet werden muss. Geschichte ist spannend. Zumindest wenn sie gut erzählt und mit eindrucksvollen Bildern dargestellt werden kann. Ein Zugeständnis, das wohl an die Mediengesellschaft gemacht werden muss. Vielleicht sieht man dann auch wieder mehr junge Leute in Museen oder eben auf dem Dresdner Geschichtsmarkt.
Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass ohne die engagierte Arbeit der Heimatforscher viel Wissenswertes, auch manch liebenswertes Überflüssige längst in Vergessenheit geraten wäre. Der Erfolg des Treffens bestätigt die Organisatoren in ihrer Idee, ein gemeinsames Geschichtsforum zu schaffen. Nach dem gelungenen Test scheint eine Fortsetzung des Dresdner Geschichtsmarktes im nächsten Jahr und in größerem Rahmen möglich.
Kontakt:
Stadtarchiv Dresden
Elisabeth-Boer-Straße 1
01099 Dresden
www.dresden.de
Quelle: Sächsische Zeitung, 26.1.2004
Stadtarchiv Lünen: Recherche am heimischen PC
Was tun, wenn man in der Geschichte seiner Stadt stöbern und forschen will? Man geht auch in Lünen ins Stadtarchiv. Aber: Recherche ist vor Ort oftmals mühsam und zeitintensiv, denn eine umfangreiche Menge an Akten- und Urkundenmaterial erwartet den Besucher. Das geht jetzt einfacher. Recherchieren vom heimischen PC! Denn der Leiter des Stadtarchivs Lünen Fredy Niklowitz stellte den Archivbestand mit Hilfe der Sendener Software-Firma „Augias-Data“ nun ins Internet.
Allein seit 1945 liegen 10.000 städtische Verwaltungsakten vor. Die älteste Urkunde des Archivs datiert aus Jahr 1320. Dazu etliches Schriftgut aus den Gemeinden oder von Parteien, Vereinen und Verbänden aus der Neuzeit. Auch ist Material von Privatleuten und Adelsfamilien zur Verfügung gestellt worden. Firmenarchive und die Bestände von Sammlungen und Bibliotheken komplettieren das Angebot. All das verzeichnen die Mitarbeiter des Stadtarchivs fein säuberlich in sogenannten „Findbüchern“ auf Papier.
„Wir haben durch „Augias“ und ihr Angebot „findbuch.net“ die Möglichkeit genutzt, das Lüner Stadtarchiv elektronisch zu erfassen“, so Fredy Niklowitz. Das Ergebnis: Der Bestand kann nun auch über das Internet eingesehen werden. „Das erleichtert die Recherche ungemein“, weiß der Archivar Niklowitz, der sich in anderen deutschen Archiven oftmals erst vor Ort mit dem „Wust der Findbücher“ rumschlagen muss, bis er an die gewünschten schriftlichen Quellen kommt. „Unser Internetauftritt erleichtert es allen historisch Interessierten, schon von zu Hause eine Vor-Recherche ohne Zeitdruck zu unternehmen.“
Das „Internet-Findbuch“ ist einfach zu erreichen: Erst www.luenen.de, über die Pfade Kultur & Bildung/ Stadtarchiv/ Archivbestände, dann entweder über die einzelnen Bestände oder Findbuch.net.
Über Unterverzeichnisse und Kategorien erfolgt eine systematische Gliederung in Themenbereiche der 88 Archivbestände. Dieses System erscheint nur auf den ersten Blick nicht ganz so einfach – ist aber für alle, die ein wenig mit dem PC umgehen können, unkompliziert zu bedienen. Mit Hilfe eines „Begriff-Such-Systems“ kann schnell auf einzelne Akten- und Urkundenstücke zugegriffen werden. Natürlich sind die Texte der Akten und Urkunden selbst dort nicht einzusehen, wohl aber Inhaltsangaben und Signaturnummer.
Wer dann mit diesem Vorwissen ins Stadtarchiv kommt, kann sich die gewünschten Akten vom Personal schnell aushändigen lassen und spart Zeit. Auch eine Vorbestellung ist möglich.
„Das Software-Produkt „Findbuch.net“ findet in Deutschland immer mehr Anklang“, so Karl-Theo Heil und Christian Haps von der Firma „Augias-Data„. „Allerdings ist das Stadtarchiv Lünen neben denen in Marl und Hagen ein Vorreiter auf dem Gebiet, den Archivbestand in einem solch großen Detaillierungsgrad per Internet auszuweisen. „Uns ist es nun möglich, die inhaltlichen Angaben unseres digitalen Findbuchs von Zeit zu Zeit weiter zu aktualisieren“, so Niklowitz. Denn so manche Akte ist aus Datenschutzgründen gesperrt oder leider einfach noch nicht näher verzeichnet.
Kontakt:
Stadtarchiv Lünen
Willy-Brandt-Platz 1
44532 Lünen
Tel.: (02306) 104 – 1531
Fax: (02306) 104 – 1460
Fredy.Niklowitz.85@luenen.de
Quelle: WAZ, 23.1.2004
Hitlers Befehl zum Judenmord
„Der Führer hat Anweisung gegeben, daß die Juden und sonstigen Feinde in Frankreich verhaftet und abtransportiert werden.“ Hitlers persönliche Anweisung zur Ermordung der französischen Juden wurde jetzt im amerikanischen Nationalarchiv gefunden, wie die FAZ heute berichtet.
An der Verantwortung Adolf Hitlers für die Vernichtung der europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs besteht kein Zweifel. Doch rätseln die Historiker schon lange, wann genau der Diktator die Anweisung gab. Das jetzt im Nationalarchiv gefundene Schriftstück, das sich seit 1945 in amerikanischem Besitz befindet, ist eines der ganz wenigen Dokumente, die Hitler in direktem Zusammenhang mit einer Deportation und Ermordung größeren Umfangs nennen.
In dem neuen Dokument mit Datum vom 10. Dezember 1942 schreibt Heinrich Himmler, wie eingangs zitiert, den Inhalt eines Gesprächs mit dem „Führer“ nieder, das er mit Hitler über Sicherheitsprobleme in dem von Deutschland besetzten Frankreich führte.
Zur Einordnung der hier präsentierten Quelle in den Forschungskontext machte Michael Wildt in der NZZ vom 28.1.2004 einige Ausführungen.
Quelle: FAZ, 24.1.2004, 33.
Die Birthler-Behörde von Bagdad
Hunderttausende Seiten Dokumente der entmachteten irakischen Regierung stapeln sich in den frisch bezogenen Räumen der Iraq Memory Foundation in Bagdad. Als Organisation von Exil-Irakern aus den USA soll das Archiv als eine Art Birthler-Behörde von Bagdad Vergangenheitsbewältigung betreiben.
Da noch nicht geklärt ist, wie die Dokumente sinnvoll archiviert werden können und welche rechtlichen Grundlagen den Zugang zu den brisanten Informationen regeln könnten, suchen die Iraker praktische Tipps vor allem in Deutschland. Denn seit mehr als 13 Jahren werden in Berlin die Akten der DDR-Staatssicherheit ausgewertet. Am Donnerstag sahen sich der Gründer der Iraq Memory Foundation, Kanan Makiya, und sein Mitarbeiter Hassan Mneimneh, bei der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, um.
Makiya regte ein Austausch-Programm mit der Birthler-Behörde an, um ein funktionierende Archivwesen im Irak aufzubauen. Birthler sicherte zu, bei der Suche nach Partnern für ein solches Programm zu helfen.
Wie ihr Berliner Vorbild will auch die Iraq Memory Foundation der Bevölkerung und Forschern Einblick in die Akten gewähren und so einen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte leisten. Ins Leben gerufen wurde die Organisation von Exil-Irakern um den Harvard-Professor Makiya. Seit Jahren befasst sich der 1968 in die USA ausgewanderte Wissenschaftler mit irakischen Akten. Er leitete ein Forschungsprojekt auf der Grundlage von Dokumenten, die nach dem Golfkrieg von 1991 von Oppositionsgruppen in Nordirak sichergestellt worden waren.
Damals gab es dafür neben zahlreichen privaten Spenden auch Gelder aus der US-Staatskasse. Doch als nach dem Sturz von Saddam Hussein rund 300 Millionen Seiten Dokumente ans Licht kamen und eine Aufarbeitung der 35 Jahre Herrschaft der Baath-Regierung erst richtig beginnen konnte, blieb Unterstützung aus Washington aus.
Für Birthler ist finanzielle Unterstützung aus Deutschland denkbar, etwa durch die politischen Stiftungen. Sie selbst stehe weiterhin für den Austausch mit den Irakern bereit. Im Gegensatz zur Birthler-Behörde steht die Iraq Memory Foundation noch ganz am Anfang. „Wir kratzen gerade erst an der Oberfläche“, sagt Makiya. Während in den Birthler-Archiven in Berlin-Lichtenberg 180 Kilometer Akten lagern, kommen die Dokumente der Memory Foundation auf gerade einmal 2,5 Kilometer.
Nur ein Prozent des gesamten Aktenbestandes aus der Saddam-Ära liegt in den Archiven der Iraq Memory Foundation, während rund 80 Prozent in den Händen der Koalitionstruppen sind. Etwa zehn Prozent werden von irakischen Parteien wie dem Obersten Rat der Islamischen Revolution (SCIRI) oder dem Irakischen Nationalkongress (INC) gehütet.
Aber die Quantität sage nicht unbedingt etwas über den Wert der Dokumente aus, ist Mneinmeh überzeugt. Die Iraq Memory Foundation verfüge über Dokumente der Baath-Partei, die von großer Bedeutung seien. Dagegen sei der Großteil der Akten in US-Besitz unbedeutend.
Unter der Vielzahl von Aktenhütern sei die Iraq Memory Foundation die einzige unabhängige Organisation, sagt Mneimneh. Interesse an einer gemeinsamen Archivierung und damit an einer gemeinsamen Aufarbeitung der Vergangenheit komme weder von den Parteien, noch von den Besatzern. Die Akten würden „nicht für die nationale Versöhnung“ benutzt, sondern „für politische Spiele“, klagt der Archivar. „Wir verhandeln mit den Parteien und den Koalitionstruppen über eine Zusammenarbeit“, sagt er. Dabei würde es seiner Stiftung zunächst genügen, wenn lediglich der Inhalt der Akten übermittelt würden. Gelingt die Einrichtung eines Archivs mit Dokumenten aus der Baath-Ära, wäre dies bislang einzigartig in der arabischen Welt. „Wir können es uns nicht leisten, zu scheitern“, sagt Makiya.
Derzeit arbeiten die Exil-Iraker an einem Gesetzentwurf und hoffen, dass damit bald eine Rechtsgrundlage für die Archivierung und den Zugang zu den sensiblen Dokumenten geschaffen wird. Deutschland dürfe jetzt nicht einfach zuschauen, fordert Makiya. Berlin müsse finanzielle und praktische Hilfe vor Ort leisten. Die Differenzen zwischen Berlin und Washington über den Irakkrieg hätten mit dem Wiederaufbau Iraks nichts zu tun. „Warten Sie nicht, bis die Vereinten Nationen nach Irak kommen“, fordert Makiya. „Kommen Sie jetzt!“
Link: http://www.iraqmemory.org/
Quelle: SZ, 23.1.2004
Zeitzeugen zum Stader Bunker „Sokrates“ gesucht
Dieter-Theodor Bohlmann ist Stader Ratsherr, Vorsitzender mehrerer Vereine, ehrenamtlicher Museumsdirektor in Jork und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Museen im Landkreis Stade, darüber hinaus pensionierter Lehrer und Autor mehrerer Bücher. Für ein neues Projekt benötigt er die Unterstützung von den Stadern. Es geht um den Bunker „Sokrates“, der im Zweiten Weltkrieg auf dem Schwarzen Berg in Stade gestanden hat.
Es handelte sich dabei um den Teil eines Abwehrsystems gegen die alliierten Luftangriffe. Das System wurde – so Bohlmann – ab 1940 aufgebaut. Ein Großgefechtsstand befand sich ab 1. Februar 1942 auf dem Schwarzen Berg in Stade, arbeitete zunächst in einem großen Backsteingebäude an der Bremervörder Straße. Genau dort, wo sich heute der Parkplatz des Stader Krankenhauses befindet.
Ab Ende 1943 gab es einen großen Bunker am Südosthang des Schwarzen Berges oberhalb des Heisterbusches. Um ihn herum war ein Barackenlager für bis zu 1.000 Luftwaffensoldaten angesiedelt. Er bestand – die Tarnbezeichnung lautete „Sokrates“ – bis zum 19. April 1945. Die Baracken waren nach Kriegsende Lager für entlassene russische und polnische Gefangene. Der Bunker war Lagerraum, ab 1947 auch für einige Zeit Sitz der Schuhfabrik Filatzek. Am 1. November 1948 wurde der Bunker auf Befehl der britischen Militärbehörde gesprengt, Trümmer sollen noch bis 1955 beseitigt worden sein. Die Baracken verschwanden erst in den 60er-Jahren, damals wurde dann an dieser Stelle das Stader Krankenhaus gebaut.
Dieter-Theodor Bohlmann möchte nicht nur alte Akten für sein Buch verwerten. Er hofft auf den Kontakt zu Zeitzeugen und deren Berichte. Einige zivile „Nachnutzer“ und Angehörige des Bunkerpersonals dürften noch im Stader Raum ansässig sein. Bohlmann hofft, dass sie ihm auch Dokumente und Fotografien leihweise zur Verfügung stellen werden.
Kontakt:
Dieter-Theodor Bohlmann
Telefon 04141/8 33 50
oder über das
Stadtarchiv Stade
Johannisstraße 5,
21682 Stade
Tel. 04141/401-461
Juergen.Bohmbach@stadt-stade.de
Leitung: Herr Dr. Bohmbach
Quelle: Hamburger Abendblatt, 23.1.2004
Historisches Archiv in St. Petersburg wird geschlossen
Aleksandr Lavrov berichtet heute in der FAZ, dass das Historische Archiv in Petersburg, das zentrale Akten zur Geschichte Russlands im 19. Jahrhundert beherbergt, geschlossen wird, weil die Russische Föderation scharf ist auf seine Gebäude.
Die Bestände des Russischen Staatlichen Historischen Archivs in St. Petersburg haben eine durch die starke Zentralisierung des russischen Archivsystems bedingte einzigartige Bedeutung für die Erforschung der russischen Geschichte vom Anfang des 19. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Hier befinden sich die Archive des Senats, des Heiligen Synods, der die Russische Orthodoxe Kirche verwaltete, und der Ministerien des Zarenreichs.
Besondere Bedeutung hat das Archiv für die neue Geschichte der Russischen Orthodoxen Kirche, weil hier die wichtigsten Quellen der Kirchengeschichte von 1721 bis 1918 liegen, d.h. von der petrinischen Kirchenreform bis zur Wiedereinführung des Amtes des Patriarchen.
Im Januar 2004 bekamen die Besucher des Lesesaals nur noch Akten ausgehändigt, die sie im Dezember bestellt hatten. Neue Bestellungen werden nicht mehr angenommen.
Die Mitarbeiter des Archivs kämpfen gemeinsam mit Vertretern der Öffentlichkeit auf zwei Websites gegen die Schließung: http://rgia.narod.ru und http://www.rgia-sos.narod.ru
Quelle: FAZ, 23.1.2004, 35
Eröffnung des „Hauses der Stadtgeschichte“ in Offenbach
Nach einer Vorbereitungszeit von mehreren Jahren wird am Wochenende das neue Stadtmuseum in Offenbach eröffnet. Neues Domizil des Museums ist das unter Denkmalschutz stehende Gebäude der ehemaligen Schnupftabakfabrik „Gebrüder Bernard“ in der Herrnstraße 61, die Offenbachs erste Fabrik war. Die Stadt nutzte den Umzug aus der ehemaligen Villa im Dreieich-Park in den 1896 errichteten sogenannten Bernardbau, um das Museum neu zu gestalten. Dabei arbeitete Museumsleiter Jürgen Eichenauer mit der Hochschule für Gestaltung (HfG) zusammen. Bereits vor einiger Zeit war das Stadtmuseum mit dem Stadtarchiv zum „Haus der Stadtgeschichte“ vereinigt worden.
Das von Hans-Georg Ruppel geleitete Archiv ist seit mehr als einem Jahrzehnt im Bernardbau untergebracht. Nach Angaben des Kulturdezernenten Stephan Wildhirt (SPD) hat der in Zusammenarbeit mit einem Bauunternehmen aus Regensburg ausgeführte Umbau des Gebäudes zirka 1,2 Millionen Euro gekostet; für den Umzug habe die Stadt 40.000 Euro ausgegeben.
Im Bernardbau verfügt das Stadtmuseum über eine 576 Quadratmeter große Fläche, fast 170 Quadratmeter mehr als bislang. Das Museum erstreckt sich auf zwei Ebenen, wie Eichenauer erläuterte. Die Grundidee sei, die „Stränge der Stadtgeschichte bis in die Gegenwart zu führen“. So wird im Erdgeschoß die Geschichte Offenbachs chronologisch dargestellt: von der Vor- und Frühgeschichte über das Fischerdorf zur Industriestadt bis zur Gegenwart mit dem Wandel zum Dienstleistungszentrum.
Mit der „Industriehalle“ ist ein Raum vorhanden, der für Wechselausstellungen und Veranstaltungen genutzt werden soll. Im ersten Stockwerk wurde eine Gemäldegalerie untergebracht, die bislang nicht gezeigte Werke aus dem Museumsbesitz präsentiert, zum Beispiel Arbeiten von Georg Oswald May und Georg Heinrich Hergenröder. Der größte Teil des Raumes wird von einem „Thementableau“ gefüllt, das den Blick auf „verlorene Geschichten“ und „vergessene Orte“ lenken soll: Goethes Besuche in Offenbach, die Schriftstellerin Sophie von La Roche, den Sport in der Stadt, das jüdische Leben, das Wirken der Hugenotten. Eichenauer zufolge sollen die auf Stelen angebrachten Texttafeln dem Besucher eine „Erstinformation“ vermitteln. Wer mehr zu einem Thema wissen will, kann am Bildschirmterminal im ersten Stockwerk weitere Informationen aus dem Computer abrufen.
Offiziell eröffnet wird das „Haus der Stadtgeschichte“ am Sonntag. Zwischen 17 und 22 Uhr können die Besucher bei freiem Eintritt das Museum besichtigen. Mitarbeiter erläutern jede halbe Stunde bei Führungen die Gestaltung des Museums.
Kontakt:
Stadtmuseum Offenbach
Herrnstraße 61
Offenbach
Telefon: 069 / 80 65 24 46
Fax: 069 / 80 65 24 69
Quelle: FAZ, 22.1.2004
Neue Einblicke in das Schicksal der Juden Wesselings
Unzählige Stunden hat Wolfgang Drösser vom Verein für Orts- und Heimatkunde in verschiedenen Archiven verbracht, um zahllose Unterlagen zu sichten, die ein ebenso interessantes wie wichtiges Kapitel der Wesselinger Geschichte dokumentieren. Die Ergebnisse der intensiven Forschungsarbeit werden ab kommenden Sonntag in Form einer Ausstellung im Rathaus präsentiert.
„Vom Leben der Juden in Wesseling – eine Dokumentation über 600 Jahre Geschichte“ lautet der Titel der Präsentation, die Bürgermeister Günter Ditgens und die Vereinsvorsitzende Ilse Schellschmidt gemeinsam eröffneten. „Ich bin sehr froh, dass man sich dieses Themas fachkundig angenommen hat“, lobt Ditgens das Engagement der Lokalhistoriker.
Auf mehr als 40 Tafeln werden Briefe, Fotos und andere Dokumente einen Einblick in die Situation der Wesselinger Juden vom Beginn des 16. Jahrhunderts bis zum Holocaust im Dritten Reich dargestellt. „Ich lehne den Begriff der Kollektivschuld ab, aber wir haben eine besondere Verantwortung, die wir immer deutlich machen müssen“, begründete Drösser den Grundgedanken der Ausstellung. Bei der Vorbereitung hat der Historiker viele bislang unbekannte Quellen bearbeitet und eine ganze Reihe interessanter Aspekte zu Tage fördern können, denn immerhin war die jüdische Gemeinde Wesseling mit zeitweise bis zu 100 Mitgliedern eine der größten im heutigen Kreisgebiet.
So belegt ein Brief aus dem Jahr 1502, den Drösser im Kölner Stadtarchiv fand, dass bereits damals Juden in Wesseling lebten. Im 19. Jahrhundert gründeten die Juden eine Synagogengemeinde, die ihr Gotteshaus Am Markt errichtete. Drösser begab sich auch vor Ort auf Spurensuche, um herauszufinden, wo die jüdischen Mitbürger früher gewohnt haben. Vor allem in dem Bereich Nordstraße, Kölner Straße und den umliegenden Straßen waren jüdische Familien ansässig.
Wie sehr sie in das gesellschaftliche Leben integriert waren, zeigt eine kleine Anekdote, die Drösser zu berichten weiß. So hätten Juden früher anlässlich der katholischen Fronleichnamsprozession ebenfalls ein Altärchen am Wegesrand aufgebaut. Auch fand er Belege dafür, dass Juden aus Wesseling Mitglieder im Kölner Dombauverein waren.
Beendet wurde das freundschaftliche Miteinander durch die Nationalsozialisten. In der so genannten „Kristallnacht“, die in Wesseling nicht am 9., sondern am 10. November 1938 stattfand, wurden die Synagoge und die Häuser der Juden zerstört. Drössers Untersuchungen ergaben ferner, dass mindestens 21 jüdische Bürger, die 1938 in Wesseling lebten, von den Nationalsozialisten ermordet wurden.
Friedhof blieb
einziger Überrest
Gleichzeitig dokumentiert Drösser, dass es zur damaligen Zeit in Urfeld eine Schule gab, wo mindestens 270 Juden auf eine Auswanderung vorbereitet wurden. Etwa 50 von ihnen seien ins damalige Palästina übergesiedelt.
Die einzige Spur jüdischen Lebens, die geblieben ist, ist der jüdische Friedhof an der Römerstraße. „Doch die Grabsteine verfallen zusehens“, klagt Drösser. Daher hat er sich daran gemacht, die Namen der dort beigesetzten Bürger zu dokumentieren. Insgesamt stehen dort 80 Grabsteine; auf 62 davon sind die Namen noch leserlich.
Zu der Ausstellung, die bis zum 27. Februar im ersten Stock des Rathauses zu sehen sein wird, erscheint ein 100-seitiges Begleitheft im Rahmen der „Blätter zur Geschichte der Stadt Wesseling“. Darin hat Wolfgang Drösser die meisten der gezeigten Dokumente abgebildet und die insgesamt 13 Kapitel mit Einleitungen versehen.
Quelle: Kölnische Rundschau, 22.1.2004
Nachlass von Rudi Schreiber wird archivarisch erschlossen
Der am 30. Mai 2002 verstorbene Rudi Schreiber hatte als freier Mitarbeiter der Nürtinger Zeitung das Unterensinger Gemeindeleben 38 Jahre lang begleitet. Zudem war er 32 Jahre lang als Gemeinderat an der Entwicklung der Gemeinde beteiligt.
Der Nachlass Schreibers wird konserviert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Diesen Beschluss fasste am Montag der Unterensinger Gemeinderat. Kreisarchivar Manfred Waßner stellte dem Gremium ein Sicherungs- und Erschließungskonzept vor.
Der Nachlass stellt eine einzigartige Dokumentation der Geschichte Unterensingens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar, wie Waßner ausführte: „Ich bin sehr glücklich mit dem Nachlass. Er ergänzt das doch recht einseitige Bild, das man durch die offiziellen Behördenakten bekommt“.
Im September 2003 kaufte die Gemeinde den umfangreichen Nachlass auf. Er besteht aus zirka 4000 Seiten Manuskripten, 4800 Artikeln und Zeitungsausschnitten und 20 300 Bildern in Negativen, Abzügen und Diapositiven. Nun geht es darum, den Schatz zu sichern und zu erschließen.
„Dass da Kosten auf uns zukommen, haben wir schon gewusst, als wir den Nachlass aufgekauft haben“, stimmte Bürgermeister Sieghart Friz den Gemeinderat auf den Kostenvoranschlag ein. Der Auftrag zur Grundsicherung sei bereits erteilt. In weiteren Arbeitsschritten würde dann die Erschließung des Materials und seine Digitalisierung erfolgen.
Alle drei Vorgänge in einem Arbeitsgang zu erledigen sieht der Kreisarchivar als Ideallösung an, es sei aber nicht zwingend notwendig, alles auf einmal zu machen. Zur Grundsicherung müssen die Zeitungsausschnitte entsäuert werden und alles in säure- und weichmacherfreies Verpackungsmaterial eingepackt werden. Dadurch wird es für die nächsten 100 bis 200 Jahre haltbar gemacht. Die Kosten dafür schätzt das ohne Gewinnabsichten arbeitende Kreisarchiv auf ungefähr 4500 Euro.
Die Kosten für die Erschließung des Materials sind sehr schwierig zu schätzen. Das liegt daran, so Waßner, dass man bei einer Serie von gleichen Motiven nur eines auswählt und katalogisiert, oder auch daran, ob die Abzüge zu den Negativen passen. Wie hoch der Anteil der gleichen Motive ist, vermag Waßner noch nicht abzuschätzen, so dass die Erfassung realistisch gerechnet etwa 16 600 Euro kostet, maximal aber 33 928 Euro kosten kann. Eine Digitalisierung der Bestände käme auf zirka 10 000 Euro. Dadurch werden die Dokumente für Interessierte leichter benutzbar. Als mögliche Nutzer sieht Manfred Waßner Schule, Vereine oder auch Privatpersonen.
Gemeinderat Wilhelm Holder regte an, die Kosten für die Nachlass-Sicherung aus dem Erbe der Philomena Bauer zu nehmen. Die Frau hatte der Gemeinde knapp 146 000 Euro hinterlassen, die in ihrem Sinne verwendet werden sollten.
Den Beschluss dazu fasste der Gemeinderat mit zwei Enthaltungen. Nun sollen im Laufe des Jahres alle drei Arbeitsgänge ausgeführt werden, so dass das Lebenswerk Schreibers bald allen Interessierten zugänglich sein wird.
Quelle: Nürtinger Zeitung, 22.1.2004
War Opa doch ein Nazi?
Der Großvater von Unionsfraktionsvize Friedrich Merz war weit tiefer in den Nationalismus verstrickt, als bisher angenommen. Dies geht aus einer dreiseitigen schriftlichen Erklärung hervor, die Merz gestern in Berlin veröffentlichte. Der CDU-Politiker räumte darin ein, sein Großvater sei „Oberscharführer“ der „Reserve-SA“ und Mitglied der NSDAP gewesen. Mit seiner Erklärung kam Merz einer Veröffentlichung der taz zuvor.
Dokumente, die die taz gestern vom Hauptstaatsarchiv Düsseldorf ausgehändigt bekam, belegen: Der Bürgermeister von Brilon Josef Paul Sauvigny war Mitglied mehrere NS-Organisationen, darunter der SA. Am Dienstag hatten Redakteure der taz im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf die Akten des Entnazifizierungsausschusses Brilon ausfindig gemacht. Der Bestand umfaßt zahlreiche Einzelfallakten, darunter die des Briloner Bürgermeister Josef Paul Sauvigny, Merz' Großvater. Auf einen schriftlichen Antrag hin händigte das Hauptstaatsarchiv gestern Vormittag um kurz nach 10 Uhr einem taz-Redakteur in Düsseldorf eine Kopie der 30-seitigen Akte aus.
Darunter sind Rechtfertigungsschreiben Sauvignys aus zwei Verfahren vor den Entnazifizierungsausschüssen in Brilon und in Arnsberg. In einem Schreiben vom 10. Dezember 1947 bezeichnet Sauvigny sich als „Oberscharführer der SA Res.“. Das Dokument ist handschriftlich unterzeichnet. Als gravierend schätzen Historiker das Beitrittsdatum in die SA ein, das aus dem handschriftlich von Sauvigny ausgefüllten und unterzeichneten Fragebogen mit dem Titel „Military Government of Germany“ von 1946 hervorgeht. Dort trug Sauvigny auf Seite 6 unter dem Punkt „Membership in Organisations“ ein: 1.7.1933. Hinter der Kategorie SA fügte er handschriftlich die Worte „-Reserve“ ein. Der Beitrittstermin lag weniger als sechs Monate nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und mehrere Monate vor dem sogenannten Röhmputsch vom 30. Juni 1934. Erst damals wurde die SA nach Ansicht von Historikern weitgehend ausgeschaltet und auf dekorative Zwecke reduziert.
Angesichts der Bedeutung der neu aufgetauchten Informationen bemühte sich die taz zunächst um eine wissenschaftliche Prüfung, eine Veröffentlichung am folgenden Tag war nicht geplant. Außerdem war beim Berlin Document Center als Verwalter der NSDAP-Mitgliedskartei ein Antrag anhängig, um eine Überprüfung der Dokumente aus dem Hauptstaatsarchiv sicherzustellen.
Merz rechtfertigt in seinem Statement von gestern Nachmittag das Verhalten seines Großvaters in Bezug auf die Mitgliedschaft von SA der Reserve und NSDAP in unterschiedlicher Weise. Zum Verbleib im Amt nach dem Ende der Demokratie von Weimar am 30. Januar 1933 schreibt Merz: „Da mein Großvater mit den Nationalsozialisten zunächst die Hoffnung verband, dass sich an den katastrophalen Zuständen in Deutschland und auch in seiner Heimatstadt etwas ändern würde, blieb er im Amt. Nur so ist die Rede zu verstehen, die mein Großvater am 01. Mai 1933 gehalten hat, unterstellt, die zitierten Ausschnitte in der `taz' vom 21.01.2004 sind zutreffend, was ich nicht beurteilen kann.“ Merz fügt hinzu: „Es ist für mich selbstverständlich, dass ich aus heutiger Sicht solche Sätze niemals billigen würde.“
Zum Aufstieg des SA-Manns Sauvigny schreibt Merz, er sei „ohne sein Zutun“ zum Oberscharführer „befördert“ worden. Auch an der NSDAP-Mitgliedschaft sieht Merz seinen Großvater unbeteiligt. „Die Mitglieder der SA und der ,SA-Reserve' wurden später ebenfalls ohne eigenes Zutun in die NSDAP überführt, mein Großvater nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Bürgermeisters wohl im Jahr 1938. Erstmals ist damit belegt, dass die NSDAP Sauvigny nach seiner Versetzung in den Ruhestand zu ihren Mitgliedern zählte. Merz hatte in der Berliner Zeitung am Dienstag erklärt, sein Großvater habe sich 1937 frühzeitig pensionieren lassen, weil „die Nazis ihn angekotzt haben.“
Sauvigny amtierte von 1917 bis 1937, als er im Alter von 61 Jahren in den Ruhestand verabschiedet wurde. Merz schreibt, er sei von den Nationalsozialisten „gezwungen“ worden, aus gesundheitlichen Gründen die Versetzung in den Ruhestand zu beantragen. Obwohl etwa die Beförderung in der SA oder die Überführung in die NSDAP nach Merz' Ansicht „ohne Zutun“ Sauvignys erfolgte, bestreitet der Politiker nicht, dass der Bürgermeister von beiden Mitgliedschaften wußte. „Nach allem, was ich aus meiner Familie weiß, war mein Großvater eine beeindruckende Persönlichkeit und ein erfolgreicher Bürgermeister“, hatte der CDU-Politiker am Dienstag der Berliner Zeitung gesagt.
Mit dieser Beurteilung der Amtsführung und des Charakters von Josef Paul Sauvigny ging Merz über seine Äußerungen am 6. Januar hinaus, als er in Brilon eine Rede auf der Nominierungsversammlung für den CDU-Bürgermeisterkandidaten hielt. Dort hatte er lediglich anerkennend die Dauer der Amtszeit angeführt. Sein Großvater sei Bürgermeister in Brilon zwanzig Jahre gewesen. Die Berichterstattung der taz kommentiert Merz im letzten Satz: „Der journalistische Stil der taz ist widerlich.“
Ob die Stadtverwaltung Brilon angesichts der neuen Erkenntnisse aus dem überörtlichen Aktenstudium die eigene Verzögerungstaktik in Bezug auf etwaige Recherchen im „Opa-Streit“ aufgibt, bleibt offen.
Quelle: taz Nr. 7264 vom 22.1.2004, Seite 7