Seinen 75. Geburtstag feierte am Dienstag Dr. Wilhelm Eckhardt. Er hat über viele Jahre nicht nur das Marburger Archivleben, sondern auch Marburger Politik und Vereinsleben mit bestimmt. Eckhardt kam zwar am 27. Januar 1929 in Kiel zur Welt, fühlt sich aber ganz als Marburger: Seit 1679 haben alle direkten Vorfahren der Familie Eckhardt – und natürlich auch er selbst – in der Stadt an der Lahn studiert. Der Vater seiner Mutter ist der Marburger Professor und Universitätsrektor Alfred Thiel.
Von 1982 bis zu seiner Pensionierung 1994 war der Jubilar Leiter des Marburger Staatsarchivs. Dort hat er noch heute ein kleines Arbeitszimmer. „Ich sitze hier wie die Made im Speck“, freut sich Eckhardt über die Lage des Raumes zwischen Bibliothek und Urkundensaal. Denn wissenschaftliches Arbeiten bleibt für den Historiker für Mittelalterliche Geschichte auch in seiner Zeit als Pensionär ein bedeutender Aspekt.
An ihn gestellte Anfragen regen ihn immer wieder aufs Neue zur Forschungsarbeit an. Nützlicher Nebeneffekt für das Marburger Staatsarchiv: Sind Bestände, die Eckhardt benutzen will, noch nicht verzeichnet – also für den Benutzer noch unzugänglich -, so erledigt er diese noch ausstehende Archivarsarbeit ganz nebenbei.
In einem Abschnitt seines Lebens kam die wissenschaftliche Arbeit jedoch zu kurz. In den „wilden“ 1968er Jahren wurde Eckhardt für die FDP in das Marburger Stadtparlament gewählt. Oberbürgermeister war zu dieser Zeit Georg Gassmann. Er gehörte zu der Generation Politiker, die alte Bausubstanz radikal durch Modernes ersetzen wollte. Für den Historiker Eckhardt ein Graus.
Doch als Archivar nutzte er sein Wissen aus den ihm zur Verfügung stehenden Materialien: In einer Chronik des Jahres 1222 wurde Marburg erstmals als „civitas“ benannt. Grund genug für die Stadt, im Jahr 1972 eine 750-Jahrfeier auszurichten und dazu den Hessentag nach Marburg zu holen. Die dafür renovierten Häuser gab man nun nicht mehr so bereitwillig zum Abriss frei. Auch im Bauausschuss und in der Initiativgruppe Marburger Stadtbild habe er sich den Abbruchbestrebungen zumindest zum Teil widersetzen können.
Die strittigen Oberbürgermeisterwahlen im Jahr 1970 bedeutete für Eckhardt dann das Ende der Arbeit in der FDP. Trotz Absprachen hatte ein Teil der Fraktion für den SPD-Kandidaten Hanno Drechsler gestimmt, so dass der CDU-Kandidat Walter Wallmann überraschend keine Mehrheit bekam. Durchaus bittere Erinnerungen hat Eckhardt an diese Zeit. „Aber aufregend war sie“, sagt er. Außerdem war er mit Drechslers Altstadtsanierungs-Konzept einverstanden.Die Politik hat er auch 1970 nicht aufgegeben: Im Kreistag war er Mitglied der Freien Wählergemeinschaft.
Schon seit seiner Schulzeit spielt für ihn das Engagement in Vereinen eine große Rolle: Als Vorsitzender des VfL 1860 Marburg oder als Vorsitzender der Lebenshilfe Marburg-Biedenkopf.
Seit vergangenem Jahr hat sich Eckhardt jedoch von allen Ämtern zurückgezogen. „Man muss rechtseitig den Jüngeren Platz machen“, heißt seine Devise. Das Forschen im Archiv gehört jedoch weiter zu seinem Leben. Zur Zeit sucht er nach der Bedeutung eines Flurnamens im Hinterland.
Quelle: Marburger Neue Zeitung, 27.1.2004
Stadtarchiv Lünen: Recherche am heimischen PC
Was tun, wenn man in der Geschichte seiner Stadt stöbern und forschen will? Man geht auch in Lünen ins Stadtarchiv. Aber: Recherche ist vor Ort oftmals mühsam und zeitintensiv, denn eine umfangreiche Menge an Akten- und Urkundenmaterial erwartet den Besucher. Das geht jetzt einfacher. Recherchieren vom heimischen PC! Denn der Leiter des Stadtarchivs Lünen Fredy Niklowitz stellte den Archivbestand mit Hilfe der Sendener Software-Firma „Augias-Data“ nun ins Internet.
Allein seit 1945 liegen 10.000 städtische Verwaltungsakten vor. Die älteste Urkunde des Archivs datiert aus Jahr 1320. Dazu etliches Schriftgut aus den Gemeinden oder von Parteien, Vereinen und Verbänden aus der Neuzeit. Auch ist Material von Privatleuten und Adelsfamilien zur Verfügung gestellt worden. Firmenarchive und die Bestände von Sammlungen und Bibliotheken komplettieren das Angebot. All das verzeichnen die Mitarbeiter des Stadtarchivs fein säuberlich in sogenannten „Findbüchern“ auf Papier.
„Wir haben durch „Augias“ und ihr Angebot „findbuch.net“ die Möglichkeit genutzt, das Lüner Stadtarchiv elektronisch zu erfassen“, so Fredy Niklowitz. Das Ergebnis: Der Bestand kann nun auch über das Internet eingesehen werden. „Das erleichtert die Recherche ungemein“, weiß der Archivar Niklowitz, der sich in anderen deutschen Archiven oftmals erst vor Ort mit dem „Wust der Findbücher“ rumschlagen muss, bis er an die gewünschten schriftlichen Quellen kommt. „Unser Internetauftritt erleichtert es allen historisch Interessierten, schon von zu Hause eine Vor-Recherche ohne Zeitdruck zu unternehmen.“
Das „Internet-Findbuch“ ist einfach zu erreichen: Erst www.luenen.de, über die Pfade Kultur & Bildung/ Stadtarchiv/ Archivbestände, dann entweder über die einzelnen Bestände oder Findbuch.net.
Über Unterverzeichnisse und Kategorien erfolgt eine systematische Gliederung in Themenbereiche der 88 Archivbestände. Dieses System erscheint nur auf den ersten Blick nicht ganz so einfach – ist aber für alle, die ein wenig mit dem PC umgehen können, unkompliziert zu bedienen. Mit Hilfe eines „Begriff-Such-Systems“ kann schnell auf einzelne Akten- und Urkundenstücke zugegriffen werden. Natürlich sind die Texte der Akten und Urkunden selbst dort nicht einzusehen, wohl aber Inhaltsangaben und Signaturnummer.
Wer dann mit diesem Vorwissen ins Stadtarchiv kommt, kann sich die gewünschten Akten vom Personal schnell aushändigen lassen und spart Zeit. Auch eine Vorbestellung ist möglich.
„Das Software-Produkt „Findbuch.net“ findet in Deutschland immer mehr Anklang“, so Karl-Theo Heil und Christian Haps von der Firma „Augias-Data„. „Allerdings ist das Stadtarchiv Lünen neben denen in Marl und Hagen ein Vorreiter auf dem Gebiet, den Archivbestand in einem solch großen Detaillierungsgrad per Internet auszuweisen. „Uns ist es nun möglich, die inhaltlichen Angaben unseres digitalen Findbuchs von Zeit zu Zeit weiter zu aktualisieren“, so Niklowitz. Denn so manche Akte ist aus Datenschutzgründen gesperrt oder leider einfach noch nicht näher verzeichnet.
Kontakt:
Stadtarchiv Lünen
Willy-Brandt-Platz 1
44532 Lünen
Tel.: (02306) 104 – 1531
Fax: (02306) 104 – 1460
Fredy.Niklowitz.85@luenen.de
Quelle: WAZ, 23.1.2004
Hitlers Befehl zum Judenmord
„Der Führer hat Anweisung gegeben, daß die Juden und sonstigen Feinde in Frankreich verhaftet und abtransportiert werden.“ Hitlers persönliche Anweisung zur Ermordung der französischen Juden wurde jetzt im amerikanischen Nationalarchiv gefunden, wie die FAZ heute berichtet.
An der Verantwortung Adolf Hitlers für die Vernichtung der europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs besteht kein Zweifel. Doch rätseln die Historiker schon lange, wann genau der Diktator die Anweisung gab. Das jetzt im Nationalarchiv gefundene Schriftstück, das sich seit 1945 in amerikanischem Besitz befindet, ist eines der ganz wenigen Dokumente, die Hitler in direktem Zusammenhang mit einer Deportation und Ermordung größeren Umfangs nennen.
In dem neuen Dokument mit Datum vom 10. Dezember 1942 schreibt Heinrich Himmler, wie eingangs zitiert, den Inhalt eines Gesprächs mit dem „Führer“ nieder, das er mit Hitler über Sicherheitsprobleme in dem von Deutschland besetzten Frankreich führte.
Zur Einordnung der hier präsentierten Quelle in den Forschungskontext machte Michael Wildt in der NZZ vom 28.1.2004 einige Ausführungen.
Quelle: FAZ, 24.1.2004, 33.
Zeitzeugen zum Stader Bunker „Sokrates“ gesucht
Dieter-Theodor Bohlmann ist Stader Ratsherr, Vorsitzender mehrerer Vereine, ehrenamtlicher Museumsdirektor in Jork und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Museen im Landkreis Stade, darüber hinaus pensionierter Lehrer und Autor mehrerer Bücher. Für ein neues Projekt benötigt er die Unterstützung von den Stadern. Es geht um den Bunker „Sokrates“, der im Zweiten Weltkrieg auf dem Schwarzen Berg in Stade gestanden hat.
Es handelte sich dabei um den Teil eines Abwehrsystems gegen die alliierten Luftangriffe. Das System wurde – so Bohlmann – ab 1940 aufgebaut. Ein Großgefechtsstand befand sich ab 1. Februar 1942 auf dem Schwarzen Berg in Stade, arbeitete zunächst in einem großen Backsteingebäude an der Bremervörder Straße. Genau dort, wo sich heute der Parkplatz des Stader Krankenhauses befindet.
Ab Ende 1943 gab es einen großen Bunker am Südosthang des Schwarzen Berges oberhalb des Heisterbusches. Um ihn herum war ein Barackenlager für bis zu 1.000 Luftwaffensoldaten angesiedelt. Er bestand – die Tarnbezeichnung lautete „Sokrates“ – bis zum 19. April 1945. Die Baracken waren nach Kriegsende Lager für entlassene russische und polnische Gefangene. Der Bunker war Lagerraum, ab 1947 auch für einige Zeit Sitz der Schuhfabrik Filatzek. Am 1. November 1948 wurde der Bunker auf Befehl der britischen Militärbehörde gesprengt, Trümmer sollen noch bis 1955 beseitigt worden sein. Die Baracken verschwanden erst in den 60er-Jahren, damals wurde dann an dieser Stelle das Stader Krankenhaus gebaut.
Dieter-Theodor Bohlmann möchte nicht nur alte Akten für sein Buch verwerten. Er hofft auf den Kontakt zu Zeitzeugen und deren Berichte. Einige zivile „Nachnutzer“ und Angehörige des Bunkerpersonals dürften noch im Stader Raum ansässig sein. Bohlmann hofft, dass sie ihm auch Dokumente und Fotografien leihweise zur Verfügung stellen werden.
Kontakt:
Dieter-Theodor Bohlmann
Telefon 04141/8 33 50
oder über das
Stadtarchiv Stade
Johannisstraße 5,
21682 Stade
Tel. 04141/401-461
Juergen.Bohmbach@stadt-stade.de
Leitung: Herr Dr. Bohmbach
Quelle: Hamburger Abendblatt, 23.1.2004
Die Birthler-Behörde von Bagdad
Hunderttausende Seiten Dokumente der entmachteten irakischen Regierung stapeln sich in den frisch bezogenen Räumen der Iraq Memory Foundation in Bagdad. Als Organisation von Exil-Irakern aus den USA soll das Archiv als eine Art Birthler-Behörde von Bagdad Vergangenheitsbewältigung betreiben.
Da noch nicht geklärt ist, wie die Dokumente sinnvoll archiviert werden können und welche rechtlichen Grundlagen den Zugang zu den brisanten Informationen regeln könnten, suchen die Iraker praktische Tipps vor allem in Deutschland. Denn seit mehr als 13 Jahren werden in Berlin die Akten der DDR-Staatssicherheit ausgewertet. Am Donnerstag sahen sich der Gründer der Iraq Memory Foundation, Kanan Makiya, und sein Mitarbeiter Hassan Mneimneh, bei der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, um.
Makiya regte ein Austausch-Programm mit der Birthler-Behörde an, um ein funktionierende Archivwesen im Irak aufzubauen. Birthler sicherte zu, bei der Suche nach Partnern für ein solches Programm zu helfen.
Wie ihr Berliner Vorbild will auch die Iraq Memory Foundation der Bevölkerung und Forschern Einblick in die Akten gewähren und so einen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte leisten. Ins Leben gerufen wurde die Organisation von Exil-Irakern um den Harvard-Professor Makiya. Seit Jahren befasst sich der 1968 in die USA ausgewanderte Wissenschaftler mit irakischen Akten. Er leitete ein Forschungsprojekt auf der Grundlage von Dokumenten, die nach dem Golfkrieg von 1991 von Oppositionsgruppen in Nordirak sichergestellt worden waren.
Damals gab es dafür neben zahlreichen privaten Spenden auch Gelder aus der US-Staatskasse. Doch als nach dem Sturz von Saddam Hussein rund 300 Millionen Seiten Dokumente ans Licht kamen und eine Aufarbeitung der 35 Jahre Herrschaft der Baath-Regierung erst richtig beginnen konnte, blieb Unterstützung aus Washington aus.
Für Birthler ist finanzielle Unterstützung aus Deutschland denkbar, etwa durch die politischen Stiftungen. Sie selbst stehe weiterhin für den Austausch mit den Irakern bereit. Im Gegensatz zur Birthler-Behörde steht die Iraq Memory Foundation noch ganz am Anfang. „Wir kratzen gerade erst an der Oberfläche“, sagt Makiya. Während in den Birthler-Archiven in Berlin-Lichtenberg 180 Kilometer Akten lagern, kommen die Dokumente der Memory Foundation auf gerade einmal 2,5 Kilometer.
Nur ein Prozent des gesamten Aktenbestandes aus der Saddam-Ära liegt in den Archiven der Iraq Memory Foundation, während rund 80 Prozent in den Händen der Koalitionstruppen sind. Etwa zehn Prozent werden von irakischen Parteien wie dem Obersten Rat der Islamischen Revolution (SCIRI) oder dem Irakischen Nationalkongress (INC) gehütet.
Aber die Quantität sage nicht unbedingt etwas über den Wert der Dokumente aus, ist Mneinmeh überzeugt. Die Iraq Memory Foundation verfüge über Dokumente der Baath-Partei, die von großer Bedeutung seien. Dagegen sei der Großteil der Akten in US-Besitz unbedeutend.
Unter der Vielzahl von Aktenhütern sei die Iraq Memory Foundation die einzige unabhängige Organisation, sagt Mneimneh. Interesse an einer gemeinsamen Archivierung und damit an einer gemeinsamen Aufarbeitung der Vergangenheit komme weder von den Parteien, noch von den Besatzern. Die Akten würden „nicht für die nationale Versöhnung“ benutzt, sondern „für politische Spiele“, klagt der Archivar. „Wir verhandeln mit den Parteien und den Koalitionstruppen über eine Zusammenarbeit“, sagt er. Dabei würde es seiner Stiftung zunächst genügen, wenn lediglich der Inhalt der Akten übermittelt würden. Gelingt die Einrichtung eines Archivs mit Dokumenten aus der Baath-Ära, wäre dies bislang einzigartig in der arabischen Welt. „Wir können es uns nicht leisten, zu scheitern“, sagt Makiya.
Derzeit arbeiten die Exil-Iraker an einem Gesetzentwurf und hoffen, dass damit bald eine Rechtsgrundlage für die Archivierung und den Zugang zu den sensiblen Dokumenten geschaffen wird. Deutschland dürfe jetzt nicht einfach zuschauen, fordert Makiya. Berlin müsse finanzielle und praktische Hilfe vor Ort leisten. Die Differenzen zwischen Berlin und Washington über den Irakkrieg hätten mit dem Wiederaufbau Iraks nichts zu tun. „Warten Sie nicht, bis die Vereinten Nationen nach Irak kommen“, fordert Makiya. „Kommen Sie jetzt!“
Link: http://www.iraqmemory.org/
Quelle: SZ, 23.1.2004
Historisches Archiv in St. Petersburg wird geschlossen
Aleksandr Lavrov berichtet heute in der FAZ, dass das Historische Archiv in Petersburg, das zentrale Akten zur Geschichte Russlands im 19. Jahrhundert beherbergt, geschlossen wird, weil die Russische Föderation scharf ist auf seine Gebäude.
Die Bestände des Russischen Staatlichen Historischen Archivs in St. Petersburg haben eine durch die starke Zentralisierung des russischen Archivsystems bedingte einzigartige Bedeutung für die Erforschung der russischen Geschichte vom Anfang des 19. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Hier befinden sich die Archive des Senats, des Heiligen Synods, der die Russische Orthodoxe Kirche verwaltete, und der Ministerien des Zarenreichs.
Besondere Bedeutung hat das Archiv für die neue Geschichte der Russischen Orthodoxen Kirche, weil hier die wichtigsten Quellen der Kirchengeschichte von 1721 bis 1918 liegen, d.h. von der petrinischen Kirchenreform bis zur Wiedereinführung des Amtes des Patriarchen.
Im Januar 2004 bekamen die Besucher des Lesesaals nur noch Akten ausgehändigt, die sie im Dezember bestellt hatten. Neue Bestellungen werden nicht mehr angenommen.
Die Mitarbeiter des Archivs kämpfen gemeinsam mit Vertretern der Öffentlichkeit auf zwei Websites gegen die Schließung: http://rgia.narod.ru und http://www.rgia-sos.narod.ru
Quelle: FAZ, 23.1.2004, 35
Eröffnung des „Hauses der Stadtgeschichte“ in Offenbach
Nach einer Vorbereitungszeit von mehreren Jahren wird am Wochenende das neue Stadtmuseum in Offenbach eröffnet. Neues Domizil des Museums ist das unter Denkmalschutz stehende Gebäude der ehemaligen Schnupftabakfabrik „Gebrüder Bernard“ in der Herrnstraße 61, die Offenbachs erste Fabrik war. Die Stadt nutzte den Umzug aus der ehemaligen Villa im Dreieich-Park in den 1896 errichteten sogenannten Bernardbau, um das Museum neu zu gestalten. Dabei arbeitete Museumsleiter Jürgen Eichenauer mit der Hochschule für Gestaltung (HfG) zusammen. Bereits vor einiger Zeit war das Stadtmuseum mit dem Stadtarchiv zum „Haus der Stadtgeschichte“ vereinigt worden.
Das von Hans-Georg Ruppel geleitete Archiv ist seit mehr als einem Jahrzehnt im Bernardbau untergebracht. Nach Angaben des Kulturdezernenten Stephan Wildhirt (SPD) hat der in Zusammenarbeit mit einem Bauunternehmen aus Regensburg ausgeführte Umbau des Gebäudes zirka 1,2 Millionen Euro gekostet; für den Umzug habe die Stadt 40.000 Euro ausgegeben.
Im Bernardbau verfügt das Stadtmuseum über eine 576 Quadratmeter große Fläche, fast 170 Quadratmeter mehr als bislang. Das Museum erstreckt sich auf zwei Ebenen, wie Eichenauer erläuterte. Die Grundidee sei, die „Stränge der Stadtgeschichte bis in die Gegenwart zu führen“. So wird im Erdgeschoß die Geschichte Offenbachs chronologisch dargestellt: von der Vor- und Frühgeschichte über das Fischerdorf zur Industriestadt bis zur Gegenwart mit dem Wandel zum Dienstleistungszentrum.
Mit der „Industriehalle“ ist ein Raum vorhanden, der für Wechselausstellungen und Veranstaltungen genutzt werden soll. Im ersten Stockwerk wurde eine Gemäldegalerie untergebracht, die bislang nicht gezeigte Werke aus dem Museumsbesitz präsentiert, zum Beispiel Arbeiten von Georg Oswald May und Georg Heinrich Hergenröder. Der größte Teil des Raumes wird von einem „Thementableau“ gefüllt, das den Blick auf „verlorene Geschichten“ und „vergessene Orte“ lenken soll: Goethes Besuche in Offenbach, die Schriftstellerin Sophie von La Roche, den Sport in der Stadt, das jüdische Leben, das Wirken der Hugenotten. Eichenauer zufolge sollen die auf Stelen angebrachten Texttafeln dem Besucher eine „Erstinformation“ vermitteln. Wer mehr zu einem Thema wissen will, kann am Bildschirmterminal im ersten Stockwerk weitere Informationen aus dem Computer abrufen.
Offiziell eröffnet wird das „Haus der Stadtgeschichte“ am Sonntag. Zwischen 17 und 22 Uhr können die Besucher bei freiem Eintritt das Museum besichtigen. Mitarbeiter erläutern jede halbe Stunde bei Führungen die Gestaltung des Museums.
Kontakt:
Stadtmuseum Offenbach
Herrnstraße 61
Offenbach
Telefon: 069 / 80 65 24 46
Fax: 069 / 80 65 24 69
Quelle: FAZ, 22.1.2004
Admont: Stiftsbibliothek wird generalrestauriert
Die Admonter Stiftsbibliothek soll bis zum Jahr 2008 generalsaniert werden. Ein Teil der kostbaren Bücher, aber auch die gesamte innenarchitektonische Anlage samt Dekor – von den barocken Fresken über die Skulpturen bis hin zu den Fenstern und Fehlstellen im Marmorboden -, sollen im Zuge des Restaurierungsprojektes fachgemäß aufpoliert werden. Rund fünf Mio. Euro netto soll das Gesamtprojekt kosten, das Land Steiermark und die EU beteiligen sich an der Finanzierung, hieß es auf Anfrage der Austria Presse Agentur von Seiten des Stiftsbaumeisters und Projektleiters Lambert Gabauer.
Finanzierungszusage. Dieser Tage ist die erste finanzielle Entscheidung für das Admonter Großprojekt gefallen: Für die Restaurierung des Buchbestandes hat die Steiermärkische Landesregierung eine Finanzierungszusage von 300.000 Euro gemacht, ebenso viel steuert die EU bei. „Die Renovierung nur der Buchbestände schätzen wir zurzeit auf rund 1,5 Mio. Euro“, so Gerald Unterberger, der den Projektteil „Bücher“ koordiniert. Rund 200.000 Bücher umfasst die Bibliothek, darunter 1.400 Handschriften und rund 900 Inkunabeln.
„Die Handschriften sind in gutem Erhaltungszustand, die wurden auch immer wieder restauriert“, so der Admonter Bibliotheksleiter und Archivar Johann Tomaschek. Nun will man sich vor allen Dingen die Druckwerke des 16. bis 19. Jahrhunderts vornehmen: „Es gibt Schäden bei den Einbänden, teils fehlen Schließen, die Buchstöcke haben sich gelockert und teils sind die Blätter verschmutzt“, umreißt Tomaschek das Schadensausmaß, das laut dem Bibliothekar „auf natürliche Alterserscheinungen“ zurückzuführen ist.
Innenausstattung. Die Maßnahmen zur Erhaltung der Bücher machen aber nur einen kleinen Teil der geschätzten Gesamtrenovierungskosten des weltweit größten klösterlichen Bibliothekssaales und des Inventars aus, so Stiftsbaumeister Gabauer. Die berühmten Deckenfresken von Bartholomeo Altomonte, die Skulpturengruppe des Admonter Barockbildhauers Joseph Stammel, Reliefs, Geländer und Marmorboden des Prunksaales sollen generalüberholt werden.
Ansuchen um Förderungen. Das Stift erhofft sich von Seiten des Landes für die nächsten vier Jahre eine weitere finanzielle Zuwendung in der Höhe von zwei Mio. Euro aus dem Tourismusbudget. Zusätzlich will man auch beim Bund vorstellig werden. Der Eigentümer kalkuliert einen Eigenmittelanteil von 1,4 Mio. Euro. Für den im Sommer letzten Jahres abgeschlossenen Stiftsmuseumsum- und -ausbau wurden in den vergangenen vier Jahren – ebenfalls unter Beteiligung des Landes – rund 13 Mio. Euro investiert.
Kontakt:
Benediktinerstift Admont
Kulturressort
A-8911 Admont 1
Tel.: +43(0)3613-2312-601
Fax: +43(0)3613-2312-610
kultur@stiftadmont.at
Quelle: Kleine Zeitung, 21.1.2004
Fall Sieburg: Warum die NS-Mitgliederkartei zweifelhaft ist
Die Frage bewegt seit Wochen historisch interessierte Gemüter: Konnte man Mitglied der NSDAP werden, ohne davon Kenntnis zu haben? Walter Jens, wortgewaltiger Intellektueller der alten Bundesrepublik, nimmt dies für sich in Anspruch. Michael Buddrus, Mitarbeiter des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, schließt dies hingegen aus, weil ein persönlich unterzeichneter Aufnahmeantrag zwingend erforderlich gewesen sei (F.A.Z. vom 25. November 2003). Zwar sind von verschiedener Seite inzwischen Bedenken gegen diese Einschätzung geäußert worden. Aber bislang konnte noch niemand beweisen, daß es Einzel- oder gar Sammelaufnahmen ohne das Wissen der Betroffenen gegeben hat.
Bislang unbekannte Dokumente zur NSDAP-Mitgliedschaft des Publizisten Friedrich Sieburg zeigen jetzt, wie groß mitunter die Schwierigkeiten sein können, wenn man auf dem Gebiet der Parteimitgliedschaften in der NS-Zeit zu sicheren Ergebnissen gelangen will. Sieburg (1893 bis 1964) war bis 1939 Auslandskorrespondent der „Frankfurter Zeitung“ und danach bis Ende 1942 als Botschaftsrat unter Otto Abetz in Paris tätig. Im Jahr 1956 übernahm er die Leitung des Literaturteils dieser Zeitung, er galt als führender Literaturkritiker der Adenauer-Ära.
Aufnahmeantrag abgelehnt
Das Sieburg betreffende Material nährt Zweifel an der Zuverlässigkeit der Angaben in der NSDAP-Mitgliederkartei. Folgt man den dort gemachten Einträgen, so hat der damalige Botschaftsrat Sieburg sich am 9. April 1941 um die Aufnahme in die NSDAP beworben. Zum 1. September 1941 wurde seinem Antrag stattgegeben, und er erhielt die Mitgliedsnummer 8537221. In Sieburgs Nachlaß im Deutschen Literaturarchiv Marbach befindet sich jedoch ein diesen Angaben widersprechender maschinenschriftlicher Brief vom November 1942, den das „Amt für Beamte“ in der NSDAP-Auslandsorganisation an ihn richtete.
Der Inhalt des Schreibens lautet: „Berlin-Wilmersdorf 1, den 28. 11. 1942. Persönlich! Herrn Botschaftsrat Friedrich Sieburg, Paris/Frankreich, Deutsche Botschaft über Landesgruppe der AO der NSDAP in Frankreich – Der Leiter der Auslands-Organisation der NSDAP hat Ihr Gesuch vom 9. 4. 1942 um Aufnahme in die Partei abgelehnt. Eine Mitteilung der Ablehnungsgründe kann bestimmungsgemäß nicht erfolgen. Heil Hitler! Schenk.“
Vielleicht nur ein Datierungsfehler?
Wie paßt das zusammen? Warum sollte Sieburg im April 1942 einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP gestellt haben, wenn er ihr doch schon seit einem halben Jahr angehörte? Ist es denkbar, daß er von dieser Mitgliedschaft nie erfahren hat? Warum ist man bei der Bearbeitung seines Aufnahmegesuchs aus dem Jahr 1942 nicht auf die Mitgliedsnummer gestoßen? Jedenfalls muß man annehmen, daß Sieburg wahrheitsgemäß zu antworten glaubte, als er nach Kriegsende im Fragebogen der französischen Militärregierung eine Mitgliedschaft in der NSDAP verneinte.
Welche anderen Erklärungsmöglichkeiten gibt es? Liegt vielleicht nur ein Datierungsfehler vor? Dafür spricht, daß es sowohl 1941 als auch 1942 gleichermaßen der 9. April gewesen sein soll, an dem Sieburg angeblich einen Aufnahmeantrag gestellt hat – eine auffällige, um nicht zu sagen: äußerst unwahrscheinliche Koinzidenz. Doch welche Daten wären dann zu korrigieren: die in der Mitgliederkartei oder die im Schreiben der NSDAP-Auslandsorganisation? Die Mitgliedsnummer gibt allenfalls einen groben Anhaltspunkt für eine zeitliche Einordnung. Für die auf den ersten Blick keiner Logik gehorchende Reihenfolge der Nummern gibt der auf den Internetseiten des Bundesarchivs verbreitete Aufsatz „Personenbezogene Unterlagen aus der Zeit des Nationalsozialismus“ eine Begründung. Danach wurden Mitgliedsnummern unmittelbar nach dem Eingang eines Aufnahmeantrags bei der Reichsleitung der NSDAP vergeben. Ist dieser abgelehnt oder zurückgezogen worden, hat man die Nummer einem anderen Antragsteller zugewiesen. Diese Erklärung basiert auf den Aussagen, die Anton Lingg, der Leiter des Mitgliedsamtes, im Januar 1947 bei einer Befragung im Internierungslager Regensburg gemacht hat. Ob sie jemals überprüft wurden, geht aus dem Aufsatz, der auch in einer gedruckten Fassung vorliegt, leider nicht hervor (Herold-Jahrbuch. Neue Folge. Verlag Degener & Co., Neustadt a. d. Aisch 2000. Hier die Seiten 147-186).
Sieburgs Rolle im „Dritten Reich“
Nehmen wir aber an, Sieburg habe nur einen Antrag gestellt, und zwar am 9. April 1941. Nehmen wir weiter an, der Verfasser des Schreibens der NSDAP-Auslandsorganisation habe seinen Bescheid tatsächlich erst eineinhalb Jahre später geschrieben, sich dabei vertippt und irrtümlich 1942 statt 1941 als Jahr der Antragstellung angegeben. Wie erklärt man dann, daß Sieburg laut NSDAP-Zentralkartei zum 1. September 1941 in die Partei aufgenommen wurde? Und vor allem: Warum wurde er dort trotz der ihm im November 1942 mitgeteilten Ablehnung seines Aufnahmegesuchs bis Kriegsende weiterhin als Mitglied geführt? Der Vorgang ist dubios. Alle Bemühungen, ihn aufzuklären, blieben bislang erfolglos.
Von der Lösung dieses Problems hängt die Bewertung von Sieburgs Rolle im „Dritten Reich“ indes nicht ab. Um zu ermessen, wie schillernd sein Verhalten war, reicht das Studium seines beruflichen Werdegangs und seiner Veröffentlichungen. Nach dem Beginn der journalistischen Laufbahn auf seiten der politischen Linken (er war unter anderem Mitarbeiter der radikaldemokratischen „Weltbühne“) bewegte er sich Ende der 1920er Jahre zunehmend nach rechts, pflegte Kontakte zum „Tat-Kreis“ um Hans Zehrer und befürwortete die Politik des 1934 beim sogenannten Röhm-Putsch ermordeten Generals Kurt von Schleicher. Sein Buch „Es werde Deutschland“, das 1932 geschrieben wurde, aber wegen erheblicher politischer Bedenken im Frankfurter Societäts-Verlag erst nach der „Machtergreifung“ erscheinen konnte, war ein flammendes Plädoyer für eine nationale Erneuerung, enthielt allerdings auch eine scharfe Kritik am Antisemitismus der Nationalsozialisten. Manche glaubten, unter ihnen Harry Graf Kessler und Kurt Tucholsky, das Buch sei eine Apologie Hitlers und seiner Politik. Doch die Partei las es genauer und zog es 1936 aus dem Verkehr. Sieburgs 1935 erschienene Biographie „Robespierre“ ist ebenfalls ein Zeugnis politisch nonkonformer Literatur im „Dritten Reich“, denn das Werk legt nahe, die deutsche mit der französischen Schreckensherrschaft zu vergleichen. Der nach Frankreich emigrierte Publizist Wolf Franck schrieb damals in einer Rezension für die Exilzeitschrift „Das Tage-Buch“: „Das kann Historie sein, – es gibt dennoch kaum eine Seite, auf der der Leser nicht hundertfünfzig Jahre weiter und neunhundert Kilometer abseits gelenkt wird. Dies ist zumindest der Effekt des Buches. Es hieße, einen Autor unterschätzen, wollte man ihm zutrauen, daß ein so starker Effekt unabsichtlich entstanden sei. Ganz unmißverständlich war es Sieburgs Absicht, an Dinge unserer Gegenwart zu rühren, – und es möglichst unmißverständlich zu tun.“
Politisches Bekenntnis bleibt interpretationsbedürftig
Betrachtet man Sieburgs weiteres Verhalten bis 1945, so folgte er offensichtlich einer Maxime, die er in seinem 1929 veröffentlichten Buch „Gott in Frankreich?“ zum besten gab: „Der Realist gibt dem Teufel den kleinen Finger in der Hoffnung, dann wenigstens die andere Hand frei zu haben.“ Sein vor moralischen Skrupeln nicht gerade strotzender Pragmatismus brachte es im März 1941 mit sich, daß er in einer „France d'hier et de demain“ überschriebenen Rede vor der „Group Collaboration“ in Paris erklärte, er sei durch das Leben in Frankreich „zum Kämpfer und Nationalsozialisten“ erzogen worden.
Es gibt also anders als bei Walter Jens nicht den geringsten Anlaß, an Sieburgs politischem Konformismus und seiner Absicht zu zweifeln, Anfang der 1940er Jahre Mitglied der NSDAP werden zu wollen. Daß man sie ihm schließlich verwehrte, erscheint angesichts seiner politischen Haltung in der Weimarer Republik wenig erstaunlich. So eindeutig Sieburgs politisches Bekenntnis kurz vor Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg aber auch war, so interpretationsbedürftig bleibt es. Nicht ein bislang bekanntgewordenes Dokument spricht etwa für die Annahme, er habe Verbrechen des NS-Regimes gutgeheißen. Doch wie gesagt: Zu einem differenzierten Gesamtbild trägt der Beweis oder die Widerlegung einer NSDAP-Mitgliedschaft nichts Entscheidendes bei.
Noch viel zu tun
Vor dem Hintergrund der jüngsten Debatten um die politischen Jugendsünden deutscher Gelehrter gewinnt die Auseinandersetzung mit diesem Fall jedoch eine andere Bedeutung. Denn die widersprüchlichen Dokumente über Sieburgs Parteimitgliedschaft geben Anlaß, über die unumstößliche Beweiskraft der Einträge in der NSDAP-Zentralkartei weiter nachzudenken. Vor allem erscheint es dringend geboten, daß sich Historiker über die zahlreichen noch unerschlossenen Quellen beugen. So soll es, wie von der „Stuttgarter Zeitung“ unlängst gemeldet wurde, bei den Entnazifizierungsverfahren in der schwäbischen Landeshauptstadt eine Reihe von Fällen gegeben haben, bei denen Angeklagte unwissentlich Parteimitglied gewesen seien. Zu prüfen wäre daher, ob in den erhaltenen Akten lediglich die meist wenig bis gar nichts beweisenden Erinnerungsprotokolle und Zeugenaussagen zu finden sind oder auch aussagekräftige amtliche Dokumente aus der Zeit vor 1945. Zu suchen wäre besonders nach offiziellen, beispielsweise städtischen Schreiben, in denen ausdrücklich auf eine nicht vorhandene oder wie bei Sieburg abgelehnte Parteimitgliedschaft Bezug genommen wurde, obwohl die NSDAP-Zentrale die Betroffenen als Mitglied geführt hat. Fünfhunderttausend Faszikel mit den Stuttgarter Spruchkammerakten, die etwa tausend Regalmeter füllen, lagern bis heute unaufgearbeitet im Staatsarchiv Ludwigsburg. Auch von den zu achtzig Prozent überlieferten Parteiakten ist kaum mehr als ein Prozent ausgewertet worden. Mit anderen Worten: Es gibt noch sehr viel zu tun.
Info:
Der Verfasser Gunther Nickel ist Mitherausgeber des „Geheimreports“ von Carl Zuckmayer. Er arbeitet beim Deutschen Literaturfond und lehrt Neuere deutsche Literaturgeschichte in Mainz.
Quelle: FAZ, 21.1.2004, Nr. 17, S. 33
Neue Einblicke in das Schicksal der Juden Wesselings
Unzählige Stunden hat Wolfgang Drösser vom Verein für Orts- und Heimatkunde in verschiedenen Archiven verbracht, um zahllose Unterlagen zu sichten, die ein ebenso interessantes wie wichtiges Kapitel der Wesselinger Geschichte dokumentieren. Die Ergebnisse der intensiven Forschungsarbeit werden ab kommenden Sonntag in Form einer Ausstellung im Rathaus präsentiert.
„Vom Leben der Juden in Wesseling – eine Dokumentation über 600 Jahre Geschichte“ lautet der Titel der Präsentation, die Bürgermeister Günter Ditgens und die Vereinsvorsitzende Ilse Schellschmidt gemeinsam eröffneten. „Ich bin sehr froh, dass man sich dieses Themas fachkundig angenommen hat“, lobt Ditgens das Engagement der Lokalhistoriker.
Auf mehr als 40 Tafeln werden Briefe, Fotos und andere Dokumente einen Einblick in die Situation der Wesselinger Juden vom Beginn des 16. Jahrhunderts bis zum Holocaust im Dritten Reich dargestellt. „Ich lehne den Begriff der Kollektivschuld ab, aber wir haben eine besondere Verantwortung, die wir immer deutlich machen müssen“, begründete Drösser den Grundgedanken der Ausstellung. Bei der Vorbereitung hat der Historiker viele bislang unbekannte Quellen bearbeitet und eine ganze Reihe interessanter Aspekte zu Tage fördern können, denn immerhin war die jüdische Gemeinde Wesseling mit zeitweise bis zu 100 Mitgliedern eine der größten im heutigen Kreisgebiet.
So belegt ein Brief aus dem Jahr 1502, den Drösser im Kölner Stadtarchiv fand, dass bereits damals Juden in Wesseling lebten. Im 19. Jahrhundert gründeten die Juden eine Synagogengemeinde, die ihr Gotteshaus Am Markt errichtete. Drösser begab sich auch vor Ort auf Spurensuche, um herauszufinden, wo die jüdischen Mitbürger früher gewohnt haben. Vor allem in dem Bereich Nordstraße, Kölner Straße und den umliegenden Straßen waren jüdische Familien ansässig.
Wie sehr sie in das gesellschaftliche Leben integriert waren, zeigt eine kleine Anekdote, die Drösser zu berichten weiß. So hätten Juden früher anlässlich der katholischen Fronleichnamsprozession ebenfalls ein Altärchen am Wegesrand aufgebaut. Auch fand er Belege dafür, dass Juden aus Wesseling Mitglieder im Kölner Dombauverein waren.
Beendet wurde das freundschaftliche Miteinander durch die Nationalsozialisten. In der so genannten „Kristallnacht“, die in Wesseling nicht am 9., sondern am 10. November 1938 stattfand, wurden die Synagoge und die Häuser der Juden zerstört. Drössers Untersuchungen ergaben ferner, dass mindestens 21 jüdische Bürger, die 1938 in Wesseling lebten, von den Nationalsozialisten ermordet wurden.
Friedhof blieb
einziger Überrest
Gleichzeitig dokumentiert Drösser, dass es zur damaligen Zeit in Urfeld eine Schule gab, wo mindestens 270 Juden auf eine Auswanderung vorbereitet wurden. Etwa 50 von ihnen seien ins damalige Palästina übergesiedelt.
Die einzige Spur jüdischen Lebens, die geblieben ist, ist der jüdische Friedhof an der Römerstraße. „Doch die Grabsteine verfallen zusehens“, klagt Drösser. Daher hat er sich daran gemacht, die Namen der dort beigesetzten Bürger zu dokumentieren. Insgesamt stehen dort 80 Grabsteine; auf 62 davon sind die Namen noch leserlich.
Zu der Ausstellung, die bis zum 27. Februar im ersten Stock des Rathauses zu sehen sein wird, erscheint ein 100-seitiges Begleitheft im Rahmen der „Blätter zur Geschichte der Stadt Wesseling“. Darin hat Wolfgang Drösser die meisten der gezeigten Dokumente abgebildet und die insgesamt 13 Kapitel mit Einleitungen versehen.
Quelle: Kölnische Rundschau, 22.1.2004