Archivleiterin sammelt Zeitzeugenberichte über Arbeitslager

„Wer gedenkt der Lebenden, die einsam zurückbleiben?“ Ihren Mitmenschen fiele nichts an ihnen auf. Doch nachts geisterten sie durch eine düstere Welt voller Schrecken und Erniedrigungen.

Ein Niederländer, der im Zweiten Weltkrieg zum Arbeitsdienst ins Marinegemeinschaftslager nach Neuenkirchen verschleppt wurde, schrieb diese Zeilen. Bei einer Gedenkfeier am Bunker Valentin wurden sie vorgelesen. Eine die sie hörte, war die Leiterin des Kreisarchivs Osterholz, Gabriele Jannowitz-Heumann.

„Ich fühlte mich angesprochen“, sagt die Mitarbeiterin des Landkreises Osterholz. Seit Jahren forscht sie in Sachen Marinegemeinschaftslager. Sie hat sich durch die Zeit zurück gearbeitet: Von den 60er Jahren, als das Lager ein Hospital war, bis in die 30er Jahre, als das Gelände von der deutschen Kriegsmarine zur Errichtung eines Tanklagers angekauft wurde. Ein Jahr vor Kriegsende standen dort 200 Baracken. Um die 15.000 Menschen hausten auf dem Gelände, viele starben. Gemeinsam mit dem Verein Lagerstraße (Bremen), dem Heimatverein Neuenkirchen (Niedersachsen) und offiziellen Einrichtungen auf hanseatischer sowie niedersächsischer Seite arbeitet sie an einem Gedenkstätten-Konzept für die Opfer, die dieses Lager und der Bau des Bunkers gefordert haben.

Die Gedenkstätte soll ein Ort der Erinnerung werden: für die Toten wie die Überlebenden. „Haiko Kania vom Verein Lagerstraße möchte jedem Toten einen Namen geben“, nennt die Kreisarchivarin eine Facette der Forschungs- und Planungsarbeit. Sie selbst habe sich zur Aufgabe gemacht, die Schicksale der Überlebenden zu Papier zu bringen. Ein Franzose hat sie darin nun bestärkt. Er hofft, dass es „eine Baracke zu unserem Andenken“ geben wird. Ihm gefällt die Idee, eine der noch existierenden Lager-Hütten könne zur Gedenkstätte werden. Jannowitz-Heumann: „Einen besseren Arbeitsauftrag kann man nicht bekommen.“

Der inzwischen 81-Jährige gehört zu den Überlebenden des Lagers. In einem stetig reger werdenden Briefwechsel hat er Jannowitz-Heumann von seinem Schicksal berichtet. Als 21-Jähriger wurde er zum Arbeitsdienst nach Swinemünde abtransportiert. Anfang 1945 ging’s mit einem Vieh-Waggon nach Farge. Er sollte umerzogen werden. Die Fahrt dauerte Tage. Das Ziel war unbekannt. Als er und seine Leidensgenossen ankamen, fragten sie einen Franzosen, der bereits im Lager lebte, an was für einen Ort sie gebracht worden seien. Die Antwort: „Hier geht Ihr Burschen in die Scheiße. Und Ihr werdet jeden Tag ein bisschen sterben.“

Der Kreisarchivleiterin ist bewusst, wie schwer es Zeitzeugen fallen muss, über das Erlebte zu reden. Um so mehr bedeutet ihr der Briefkontakt. Vorsichtig habe sie den 81-Jährigen gefragt, ob er ihr von seiner Zeit im Lager berichten wolle. Seine Antwort fiel positiv aus: „Indem Sie mich fragen, erinnere ich mich.“ Mit jedem Schreiben, das er seitdem an sie adressiert hat, sind seine Berichte ausführlicher geworden. Vieles deckt sich mit Informationen aus anderen Quellen. Einiges war für die Archivarin aber auch neu. Die Briefe halfen Lücken im Geschichts-Puzzle zu schließen. Den Standort der Baracke Todt etwa konnte sie nun mit Hilfe des Franzosen bestimmen. Dort mussten die Neuzugänge gemeldet werden. „Ich möchte diese Berichte in der geplanten Gedenkstätte ausstellen.“

Ein weiterer Aspekt ihrer Arbeit: Die Landeszentrale für politische Bildung Bremen hat das Kreisarchiv zur Sammelstelle für die Dokumentation der Lager- und Bunkergeschichte erklärt. Jannowitz-Heumann: „Wir stellen zurzeit einen Sachkatalog über die Literatur zusammen, die es zu diesem Thema gibt.“ Gleichzeitig hat sie den Auftrag erhalten, eine Präsenzbibliothek aufzubauen.

Kontakt:
Kreisarchiv Osterholz
Bahnhofstraße
27711 Osterholz-Scharmbeck
(04791) 981-906 (Tel./Fax)

Quelle: Wümme-Zeitung, 27.1.2004

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