Einfach haben sie es nicht, die Hobbyhistoriker und Heimatforscher. Von studierten Historikern werden sie verspottet, hin und wieder sogar zu Recht als rechthaberisch bezeichnet, von Nachbarn, Freunden und Bekannten oft belächelt. Warum beschäftigt man sich in seiner Freizeit mit dem historischen Verlauf des Kaitzbaches oder der Geschichte des Pferdes bei der Dresdner Feuerwehr? Gibt es nichts Wichtigeres als wochenlanges Rumhocken in Bibliotheken und Archiven? Dazu kommt, dass alles aus eigener Tasche bezahlt werden muss und ein geeignetes Forum, um Ergebnisse zu dokumentieren, in den meisten Fällen fehlt. Auch an hoffnungsvollem, begeisterungsfähigem Nachwuchs mangelt es. Und doch ist der Enthusiasmus der meist schon grauhaarigen Geschichtsfreunde nicht zu stoppen.
Unter dem Motto „Dresdner Stadtteilgeschichte“ lud das Stadtmuseum am Wochenende zum neunten Mal interessierte Laien und Wissenschaftler ein, um Dresdner Geschichte und Geschichten zu erzählen und zu diskutieren (Bericht). Während das Stadtmuseum bis 2006 umgebaut wird und dann in altem Glanz mit neuer Ausstellung erstrahlen soll, fand man für die Diskussion im Stadtarchiv Platz. Zum ersten Mal konnte dort auf Initiative von Museum, Archiv und dem Bürgerverein Trachau auch der Dresdner Markt der Geschichte und Geschichten eröffnet werden. Über 50 Vereine und Privatpersonen stellten sich und ihre Arbeitsergebnisse vor. Fachvorträge, Diskussionen, Filmvorführungen und Internetpräsentation rundeten das Programm bis Sonntagmittag ab. Wer suchte, fand Informationen zu Sächsischer Postgeschichte ebenso wie zur alten Elbfähre in Laubegast, zum Freimaurertum in Elbflorenz oder zum Projekt ehrgeiziger Studenten der TU, die das mittelalterliche Dresden in multimedialer Form aufleben lassen wollen.
Der Schwerpunkt lag dieses Mal aber eben bei der Geschichte einzelner Stadtteile. Ob Cotta, Striesen oder Hellerau – in der Anonymität der Großstadt identifiziert man sich gern über die eigene Wohngegend. Und dabei gilt wie bei gutem Wein: je älter, desto besser. Beste Karten also für Klotzsche oder Leuben, deren Geschichte gut bis ins Mittelalter zurückzuverfolgen ist. Pech nur, wenn, wie in Zschertnitz, von der Geschichte des Ortes kaum noch etwas zu sehen ist. Und so arbeiten viele Vereine daran, vorhandene Bauwerke oder historische Dorfkerne zu restaurieren, für Besucher attraktiver zu machen.
Das neueste Projekt des Kaditzer Vereins zur Ortsgeschichte ist beispielsweise die Wiedererrichtung einer jahrhundertealten Hochwassersäule, die bisher ein kaum beachtetes Dasein als Zaunspfosten führte. Zum nächsten Tag des Denkmals soll es soweit sein. Wohl dem, der bei seinen Bemühungen von einem ganzen Verein unterstützt wird. Andere kämpfen allein. Wie die Familie Boden, die sich für den Erhalt eines familieneigenen denkmalgeschützten, aber verfallenen Bürgerhauses in Friedrichstadt einsetzt. Immerhin begann in einer Gartenlaube auf diesem Grundstück die Erfolgsgeschichte von „Odol“. Carl August Lingner machte hier seine ersten Versuche mit dem Mundwasser.
Mit dem Treffen im Stadtarchiv gab es nun fern von bierseligen Stadtteilfesten die Möglichkeit, diese Geschichten und Schicksale einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen, Kontakte zu knüpfen, Ideen und Gedanken auszutauschen. Und dass dieses Angebot dankbar angenommen wird, zeigten die gut 500 interessierten, zumeist älteren Besucher, die allein am Sonnabend die engen Gänge des Stadtarchives verstopften. Ein guter Start, auch wenn an der Präsentation gearbeitet werden muss. Geschichte ist spannend. Zumindest wenn sie gut erzählt und mit eindrucksvollen Bildern dargestellt werden kann. Ein Zugeständnis, das wohl an die Mediengesellschaft gemacht werden muss. Vielleicht sieht man dann auch wieder mehr junge Leute in Museen oder eben auf dem Dresdner Geschichtsmarkt.
Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass ohne die engagierte Arbeit der Heimatforscher viel Wissenswertes, auch manch liebenswertes Überflüssige längst in Vergessenheit geraten wäre. Der Erfolg des Treffens bestätigt die Organisatoren in ihrer Idee, ein gemeinsames Geschichtsforum zu schaffen. Nach dem gelungenen Test scheint eine Fortsetzung des Dresdner Geschichtsmarktes im nächsten Jahr und in größerem Rahmen möglich.
Kontakt:
Stadtarchiv Dresden
Elisabeth-Boer-Straße 1
01099 Dresden
www.dresden.de
Quelle: Sächsische Zeitung, 26.1.2004