Hunderttausende Seiten Dokumente der entmachteten irakischen Regierung stapeln sich in den frisch bezogenen Räumen der Iraq Memory Foundation in Bagdad. Als Organisation von Exil-Irakern aus den USA soll das Archiv als eine Art Birthler-Behörde von Bagdad Vergangenheitsbewältigung betreiben.
Da noch nicht geklärt ist, wie die Dokumente sinnvoll archiviert werden können und welche rechtlichen Grundlagen den Zugang zu den brisanten Informationen regeln könnten, suchen die Iraker praktische Tipps vor allem in Deutschland. Denn seit mehr als 13 Jahren werden in Berlin die Akten der DDR-Staatssicherheit ausgewertet. Am Donnerstag sahen sich der Gründer der Iraq Memory Foundation, Kanan Makiya, und sein Mitarbeiter Hassan Mneimneh, bei der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, um.
Makiya regte ein Austausch-Programm mit der Birthler-Behörde an, um ein funktionierende Archivwesen im Irak aufzubauen. Birthler sicherte zu, bei der Suche nach Partnern für ein solches Programm zu helfen.
Wie ihr Berliner Vorbild will auch die Iraq Memory Foundation der Bevölkerung und Forschern Einblick in die Akten gewähren und so einen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte leisten. Ins Leben gerufen wurde die Organisation von Exil-Irakern um den Harvard-Professor Makiya. Seit Jahren befasst sich der 1968 in die USA ausgewanderte Wissenschaftler mit irakischen Akten. Er leitete ein Forschungsprojekt auf der Grundlage von Dokumenten, die nach dem Golfkrieg von 1991 von Oppositionsgruppen in Nordirak sichergestellt worden waren.
Damals gab es dafür neben zahlreichen privaten Spenden auch Gelder aus der US-Staatskasse. Doch als nach dem Sturz von Saddam Hussein rund 300 Millionen Seiten Dokumente ans Licht kamen und eine Aufarbeitung der 35 Jahre Herrschaft der Baath-Regierung erst richtig beginnen konnte, blieb Unterstützung aus Washington aus.
Für Birthler ist finanzielle Unterstützung aus Deutschland denkbar, etwa durch die politischen Stiftungen. Sie selbst stehe weiterhin für den Austausch mit den Irakern bereit. Im Gegensatz zur Birthler-Behörde steht die Iraq Memory Foundation noch ganz am Anfang. „Wir kratzen gerade erst an der Oberfläche“, sagt Makiya. Während in den Birthler-Archiven in Berlin-Lichtenberg 180 Kilometer Akten lagern, kommen die Dokumente der Memory Foundation auf gerade einmal 2,5 Kilometer.
Nur ein Prozent des gesamten Aktenbestandes aus der Saddam-Ära liegt in den Archiven der Iraq Memory Foundation, während rund 80 Prozent in den Händen der Koalitionstruppen sind. Etwa zehn Prozent werden von irakischen Parteien wie dem Obersten Rat der Islamischen Revolution (SCIRI) oder dem Irakischen Nationalkongress (INC) gehütet.
Aber die Quantität sage nicht unbedingt etwas über den Wert der Dokumente aus, ist Mneinmeh überzeugt. Die Iraq Memory Foundation verfüge über Dokumente der Baath-Partei, die von großer Bedeutung seien. Dagegen sei der Großteil der Akten in US-Besitz unbedeutend.
Unter der Vielzahl von Aktenhütern sei die Iraq Memory Foundation die einzige unabhängige Organisation, sagt Mneimneh. Interesse an einer gemeinsamen Archivierung und damit an einer gemeinsamen Aufarbeitung der Vergangenheit komme weder von den Parteien, noch von den Besatzern. Die Akten würden „nicht für die nationale Versöhnung“ benutzt, sondern „für politische Spiele“, klagt der Archivar. „Wir verhandeln mit den Parteien und den Koalitionstruppen über eine Zusammenarbeit“, sagt er. Dabei würde es seiner Stiftung zunächst genügen, wenn lediglich der Inhalt der Akten übermittelt würden. Gelingt die Einrichtung eines Archivs mit Dokumenten aus der Baath-Ära, wäre dies bislang einzigartig in der arabischen Welt. „Wir können es uns nicht leisten, zu scheitern“, sagt Makiya.
Derzeit arbeiten die Exil-Iraker an einem Gesetzentwurf und hoffen, dass damit bald eine Rechtsgrundlage für die Archivierung und den Zugang zu den sensiblen Dokumenten geschaffen wird. Deutschland dürfe jetzt nicht einfach zuschauen, fordert Makiya. Berlin müsse finanzielle und praktische Hilfe vor Ort leisten. Die Differenzen zwischen Berlin und Washington über den Irakkrieg hätten mit dem Wiederaufbau Iraks nichts zu tun. „Warten Sie nicht, bis die Vereinten Nationen nach Irak kommen“, fordert Makiya. „Kommen Sie jetzt!“
Link: http://www.iraqmemory.org/
Quelle: SZ, 23.1.2004