War Opa doch ein Nazi?

Der Großvater von Unionsfraktionsvize Friedrich Merz war weit tiefer in den Nationalismus verstrickt, als bisher angenommen. Dies geht aus einer dreiseitigen schriftlichen Erklärung hervor, die Merz gestern in Berlin veröffentlichte. Der CDU-Politiker räumte darin ein, sein Großvater sei „Oberscharführer“ der „Reserve-SA“ und Mitglied der NSDAP gewesen. Mit seiner Erklärung kam Merz einer Veröffentlichung der taz zuvor.

Dokumente, die die taz gestern vom Hauptstaatsarchiv Düsseldorf ausgehändigt bekam, belegen: Der Bürgermeister von Brilon Josef Paul Sauvigny war Mitglied mehrere NS-Organisationen, darunter der SA. Am Dienstag hatten Redakteure der taz im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf die Akten des Entnazifizierungsausschusses Brilon ausfindig gemacht. Der Bestand umfaßt zahlreiche Einzelfallakten, darunter die des Briloner Bürgermeister Josef Paul Sauvigny, Merz' Großvater. Auf einen schriftlichen Antrag hin händigte das Hauptstaatsarchiv gestern Vormittag um kurz nach 10 Uhr einem taz-Redakteur in Düsseldorf eine Kopie der 30-seitigen Akte aus.

Darunter sind Rechtfertigungsschreiben Sauvignys aus zwei Verfahren vor den Entnazifizierungsausschüssen in Brilon und in Arnsberg. In einem Schreiben vom 10. Dezember 1947 bezeichnet Sauvigny sich als „Oberscharführer der SA Res.“. Das Dokument ist handschriftlich unterzeichnet. Als gravierend schätzen Historiker das Beitrittsdatum in die SA ein, das aus dem handschriftlich von Sauvigny ausgefüllten und unterzeichneten Fragebogen mit dem Titel „Military Government of Germany“ von 1946 hervorgeht. Dort trug Sauvigny auf Seite 6 unter dem Punkt „Membership in Organisations“ ein: 1.7.1933. Hinter der Kategorie SA fügte er handschriftlich die Worte „-Reserve“ ein. Der Beitrittstermin lag weniger als sechs Monate nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und mehrere Monate vor dem sogenannten Röhmputsch vom 30. Juni 1934. Erst damals wurde die SA nach Ansicht von Historikern weitgehend ausgeschaltet und auf dekorative Zwecke reduziert.

Angesichts der Bedeutung der neu aufgetauchten Informationen bemühte sich die taz zunächst um eine wissenschaftliche Prüfung, eine Veröffentlichung am folgenden Tag war nicht geplant. Außerdem war beim Berlin Document Center als Verwalter der NSDAP-Mitgliedskartei ein Antrag anhängig, um eine Überprüfung der Dokumente aus dem Hauptstaatsarchiv sicherzustellen.

Merz rechtfertigt in seinem Statement von gestern Nachmittag das Verhalten seines Großvaters in Bezug auf die Mitgliedschaft von SA der Reserve und NSDAP in unterschiedlicher Weise. Zum Verbleib im Amt nach dem Ende der Demokratie von Weimar am 30. Januar 1933 schreibt Merz: „Da mein Großvater mit den Nationalsozialisten zunächst die Hoffnung verband, dass sich an den katastrophalen Zuständen in Deutschland und auch in seiner Heimatstadt etwas ändern würde, blieb er im Amt. Nur so ist die Rede zu verstehen, die mein Großvater am 01. Mai 1933 gehalten hat, unterstellt, die zitierten Ausschnitte in der `taz' vom 21.01.2004 sind zutreffend, was ich nicht beurteilen kann.“ Merz fügt hinzu: „Es ist für mich selbstverständlich, dass ich aus heutiger Sicht solche Sätze niemals billigen würde.“

Zum Aufstieg des SA-Manns Sauvigny schreibt Merz, er sei „ohne sein Zutun“ zum Oberscharführer „befördert“ worden. Auch an der NSDAP-Mitgliedschaft sieht Merz seinen Großvater unbeteiligt. „Die Mitglieder der SA und der ,SA-Reserve' wurden später ebenfalls ohne eigenes Zutun in die NSDAP überführt, mein Großvater nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Bürgermeisters wohl im Jahr 1938. Erstmals ist damit belegt, dass die NSDAP Sauvigny nach seiner Versetzung in den Ruhestand zu ihren Mitgliedern zählte. Merz hatte in der Berliner Zeitung am Dienstag erklärt, sein Großvater habe sich 1937 frühzeitig pensionieren lassen, weil „die Nazis ihn angekotzt haben.“

Sauvigny amtierte von 1917 bis 1937, als er im Alter von 61 Jahren in den Ruhestand verabschiedet wurde. Merz schreibt, er sei von den Nationalsozialisten „gezwungen“ worden, aus gesundheitlichen Gründen die Versetzung in den Ruhestand zu beantragen. Obwohl etwa die Beförderung in der SA oder die Überführung in die NSDAP nach Merz' Ansicht „ohne Zutun“ Sauvignys erfolgte, bestreitet der Politiker nicht, dass der Bürgermeister von beiden Mitgliedschaften wußte. „Nach allem, was ich aus meiner Familie weiß, war mein Großvater eine beeindruckende Persönlichkeit und ein erfolgreicher Bürgermeister“, hatte der CDU-Politiker am Dienstag der Berliner Zeitung gesagt.

Mit dieser Beurteilung der Amtsführung und des Charakters von Josef Paul Sauvigny ging Merz über seine Äußerungen am 6. Januar hinaus, als er in Brilon eine Rede auf der Nominierungsversammlung für den CDU-Bürgermeisterkandidaten hielt. Dort hatte er lediglich anerkennend die Dauer der Amtszeit angeführt. Sein Großvater sei Bürgermeister in Brilon zwanzig Jahre gewesen. Die Berichterstattung der taz kommentiert Merz im letzten Satz: „Der journalistische Stil der taz ist widerlich.“

Ob die Stadtverwaltung Brilon angesichts der neuen Erkenntnisse aus dem überörtlichen Aktenstudium die eigene Verzögerungstaktik in Bezug auf etwaige Recherchen im „Opa-Streit“ aufgibt, bleibt offen.

Quelle: taz Nr. 7264 vom 22.1.2004, Seite 7

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