Ausstellung in HH-Altona erinnert an jüdische Fotografen

Als der Hamburger Fotograf Emil Bieber im Januar 1938 an Bord eines Schiffes nach England geht, hinterläßt er in Hamburg unter anderem eine Kundenkartei mit achttausend Einträgen sowie sein Archiv mit fünfzigtausend Glasnegativen. Darunter Portraits des Polarforschers Roald Amundsen, des Erfinders Thomas Alva Edison oder der Tänzerin Josephine Baker. Von London aus versucht er, wenigstens einen Teil seiner Geschäftsgrundlage zu retten. Vergeblich. Der neue Besitzer der nun „arisierten“ so genannten Lichtbildwerkstätte stellt sich seinen Kunden mit Deutschem Gruß vor. Ein – wie es immer heißt – Schicksal, das Bieber mit seinen Hamburger Kollegen Max Halberstadt, Erich Kastan und Kurt Schallenberg teilt. Auch sie werden zwischen 1935 und 1938 zur Emigration und damit zur Aufgabe ihrer jeweiligen Fotoateliers gezwungen. Nun sind einige ihrer Werke zurück an die Elbe gekehrt – von der ambitionierten Portraitfotografie über die gebrauchsorientierte Zeitungsreportage; von der engagierten Dokumentationen jüdischen Lebens bis hin zur schnöden Werbefotografie –, versammelt in einer Ausstellung im Altonaer Museum im Westen Hamburgs.

Alles begann Anfang der neunziger Jahre mit der Recherche nach einzelnen Fotos und deren Urheber. Der Historiker Wilfried Weinke hatte in einer Publikation zu jüdischem Leben im Hamburger Grindelviertel Fotos abgedruckt, deren Legenden fehlten. Weinke machte sich auf die Suche. Auf seinem Aufruf an ehemalige Hamburger Bürger jüdischer Herkunft antworteten weltweit rund einhundertzwanzig der Angeschriebenen, gaben Tips, erwähnten weitere Namen oder schickten gar persönliche Bilder aus ihren Familienalben nach Hamburg. Unter anderem kam ein Brief aus Südafrika, in dem eine Frau etwas süffisant fragte, ob Weinke eigentlich die Fotoarbeiten ihres Vaters kenne, der einst auch in Hamburg ein Fotostudio unterhalten und etwa seinen Schwiegervater Sigmund Freud portraitiert hatte: Max Halberstadt.

Wilfried Weinke hat nun mit Verdrängt, vertrieben, aber nicht vergessen alles andere als eine gefällige und leichtgängige Fotoausstellung abgeliefert, bei dem man mit auf dem Rücken verschränkten Händen die Bilder abschreitet und sich allein an den gehobenen Schätzen erfreut. Vielmehr setzt er sein Unternehmen der Würdigung des fotografischen Werkes Biebers, Halberstadts, Kastans und Schallenbergs in einen Kontext mit der Geschichte ihrer Ausgrenzung und ihres Vergessens, die sich in ihrer Heimatstadt Hamburg auch nach 1945 fortsetzte. Das Hamburger Abendblatt etwa druckte Ende der fünfziger Fotografien von Emil Biebers – ohne die Geschichte dieser Bilder zu erzählen. Von Biebers „Wahlheimat“ Südafrika ist die Rede, so als sei der Fotograf seinerzeit freiwillig aus Hamburg ausgewandert, um anderswo sein Glück zu machen. Dokumente dieser Zeitungsausgaben finden sich daher neben Auskünften zu Biebers weiterem Lebensweg. Ein Prinzip des Gegeneinanderstellens, dem die Ausstellung verpflichtet bleibt. Neben Auftragsarbeiten für das gehobene Bürgertum finden sich gleichberechtigt die biographischen Daten zu den vier Fotografen. Zeitungsdrucke haben ebenso ihren Platz wie herausragende Exponate, die von den beruflichen Erfolgen und dem sozialen Status der vier erzählen. Da finden sich von Bieber gestaltete Titelblätter der Theaterzeitung der Hamburger Kammerspiele. Und da ist das Faksimile des Telegramms Kaiser Wilhelms II. an Bieber, sich doch bitte die Tage vom 7. bis 9. August 1908 bereitzuhalten, um seine Majestät abzulichten – womit ansatzweise die persönliche Tragik eines Menschen deutlich wird, der im Alter von sechzig Jahren und auf die Unterstützung seiner Söhne angewiesen, noch einmal im fernen Südafrika von vorne anfangen mußte. Das Schreiben der Hamburger Handwerkskammer, das Kurt Schallenberg im Dezember 1938 unmißverständlich auffordert, seinen Betrieb zu schließen, wird kontrastiert durch Schallenbergs Portraitreihe Hamburger Bürgermeister.

Ermöglicht wurde die Ausstellung durch Mittel der Hamburger Bürgerschaft, der Senatskanzlei sowie der Herbert und Elsbeth Weichmann Stiftung. Möglich wurde sie aber vor allem durch das Engagement des Ausstellungsmachers Wilfried Weinke, der sich durch Archive und Antiquariate wühlte und der die Ausstellung als eine Art Zwischenbilanz, als Diskussionsangebot verstanden wissen will, sich mit der bis heute weitgehend verschütteten Geschichte (nicht nur) Hamburger Fotografen und Fotografinnen zu beschäftigen. Durchaus pikant das Schweigen eines anderen einflußreichen Hamburger Fotografen, auf das Weinke hinweist: Fritz Kempe. Zunächst tätig als Fotograf einer Propagandakompanie, leitete er später die Staatliche Landesbildstelle Hamburg und war zuletzt ehrenamtlicher Kustos beim Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Kempe prägte so die Sammlungs- und Ausstellungspolitik beider Häuser – in denen die Werke der einstigen jüdischen Kollegen verschwiegen wurden.

Die Tatsache, daß in Altona, das so lange versuchte, sich als eigenständiger Ort gegenüber der Hansestadt Hamburg zu behaupten, nun Bieber, Halberstadt, Kastan und Schallenberg in dieser Breite und Ausführlichkeit vorgestellt und gewürdigt werden, entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Keiner der vier Fotografen hat je in Altona gelebt.

Info:
Die Ausstellung im Altonaer Museum endet am 12. April.
WILFRIED WEINKE: VERDRÄNGT, VERTRIEBEN ABER NICHT VERGESSEN
Kunstverlag Weingarten 2003.
304 Seiten, 29 €

Kontakt:
Altonaer Museum
Museumstraße 23
22765 Hamburg

Quelle: Jüdische Allgemeine, 15.1.2004

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