Mit einem vielseitigen Vortrags-Programm wird in Wiesbaden in den nächsten Wochen der Opfer des NS-Regimes gedacht. In diesem Jahr stehen die Sinti und Roma im Mittelpunkt. Am Montag, 19. Januar, wird im Foyer des Rathauses eine Ausstellung eröffnet.
Anlass der Gedenkveranstaltungen ist der 27. Januar, den 1996 Bundespräsident Roman Herzog proklamiert hat. Am 27. Januar 1945 hatte die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz – Symbol für die Massenvernichtung – befreit. In Wiesbaden arbeiten seither mehrere Organisationen zusammen, diese Erinnerung zu gestalten. Die Federführung hat das Stadtarchiv.
In der Ausstellung „Hornhaut auf der Seele – die Geschichte zur Verfolgung der Sinti und Roma in Hessen“ werden auf 60 großformatigen Tafeln die Stationen der Diskriminierung und Verfolgung dieser Volksgruppe seit dem Mittelalter dokumentiert. Sie ist bis zum 14. Februar zu sehen. Oberbürgermeister Hildebrand Diehl (CDU) spricht um 19 Uhr zur Eröffnung, anschließend Adam Strauß vom Landesverband der Sinti und Roma. Das Romeo Franz Ensemble unterhält musikalisch.
In Wiesbaden lebten vor ihrer Deportation in die Konzentrationslager rund 100 Sinti und Roma. Mehr als die Hälfte, schätzt Axel Ulrich vom Wiesbadener Stadtarchiv, kamen in den Lagern ums Leben. An sie erinnert das Mahnmal in der Bahnhofstraße. Heute leben in Deutschland rund 80.000 Angehörige dieses Volkes, das in mehreren Schüben aus Indien nach Europa einwanderte.
„Auf dem rechten Auge blind – Die braunen Wurzeln des BKA“ heißt ein Vortrag von Dieter Schenk am Donnerstag, 22. Januar, 19.30 Uhr, im Stadtverordnetensitzungssaal des Rathauses. Schenk ist BKA-Kriminaldirektor a. D. und Honorarprofessor an der Universität Lodz. Für sein Buch „Die braunen Wurzeln des BKA“ erhielt er 2003 den Fritz-Bauer-Preis der Humanistischen Union.
Einen Vortrag über „Antiziganismus“ hält Udo Engbring-Romang am Dienstag, 27. Januar, um 18 Uhr ebenfalls im Stadtverordnetensitzungssaal. Er ist Autor eines Buches über die Verfolgung der Sinti in Wiesbaden. Um die literarische Konstruktion des „Zigeuners“ geht es am Donnerstag, 29. Januar, 19 Uhr. Es spricht Professor Wilhelm Solms (Marburg) im Rathaus, Raum 22. Am Dienstag, 3. Februar, erinnert Axel Ulrich an den früheren SPD-Oberbürgermeister Georg Buch, der in der Nazizeit Widerstand leistete: 17 Uhr im DGB-Haus am Bismarckring. Ulrich ist Autor einer Biografie über Georg Buch, der am 24. September vergangenen Jahres 100 Jahre alt geworden wäre.
Aus dem Buch „Mein verwundetes Herz. Das Leben der Lili Jahn 1900-1944“ liest Ilse Doerry am Mittwoch, 4. Februar, im Literaturhaus Villa Clementine. Ilse Doerry ist die älteste Tochter von Lilli Jahn, Mutter von Gerhard Jahn, Justizminister (1969 bis 1974) unter Willy Brandt. Lilli Jahns Mann Ernst ließ sich von seiner jüdischen Frau scheiden und lieferte sie schutzlos den Nazis aus. Ihre aufrüttelnde Korrespondenz mit ihren Kindern aus einem Arbeitslager fand man im Nachlass Gerhard Jahns, der 1998 starb.
Über „Ostarbeiter, Ostarbeiterinnen und ihre Kinder“ spricht die Mainzer Historikerin Hedwig Brüchert am Donnerstag, 5. Februar, 19 Uhr, im Rathaus, Raum 22. Sie ist Autorin des Buches „Zwangsarbeit in Wiesbaden“, das Kulturdezernentin Rita Thies (Grüne) in Auftrag gegeben hatte.
Der Film „Die Rollbahn“ wird am Samstag, 7. Februar, und Dienstag, 10. Februar, jeweils um 20 Uhr in der Caligari FilmBühne am Marktplatz 9 gezeigt. Es geht dabei um eine Dokumentation über die erste Rollbahn des Frankfurter Flughafens, die 1944 von jüdischen Zwangsarbeiterinnen gebaut werden musste. Am 7. Februar ist im Anschluss an den Film ein Gespräch mit den Filmemachern Malte Rauch und Eva Voosen vorgesehen.
Die einzige Veranstaltung, die etwas kostet, ist eine Fachtagung am Samstag, 14. Februar, im Wilhelm-Kempf-Haus in Naurod, für die man sich anmelden muss: „Holocaust – eine amerikanische Fernsehserie und ihre Auswirkungen in Deutschland“, die vor 25 Jahren lief. Veranstalter ist die Frankfurter Sozialschule. Anmeldung unter 06127/77290.
Das Programm liegt in den üblichen Verteilerstellen aus, im Rathaus, beim Tourismusbüro und in der Volkshochschule. Mitveranstalter sind unter anderen die Kirchen, die Landeszentrale für politische Bildung und das Aktive Museum Spiegelgasse.
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Quelle: Wiesbadener Kurier, 15.1.2004