Fundgrube Verdener Kreisarchiv vom Verfall bedroht

Rolf Allerheiligens Kundschaft wird immer jünger. Der Kreisarchivar bekommt zunehmend Besuch von Oberstufenschülern, die in seinen Beständen Material für Facharbeiten suchen. „Die Lehrer bieten jetzt öfters Themen an, die sich mit der Geschichte der Region befassen. Das begrüße ich sehr,“ sagt Allerheiligen.

Der gelernte Gymnasiallehrer, der Geschichte und Sozialwissenschaften studiert hat, ist seit 1988 hauptamtlicher Hüter des Verdener Kreisarchivs. Sein Job: die in den Kellern des Kreishauses schlummernden Schätzchen vor dem Verfall zu bewahren und sie zudem der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

„Wir beraten und betreuen unsere Besucher, holen Akten aus dem Magazin und erklären, wie der Kopierer funktioniert. Wir sind Dienstleister“, sagt Allerheiligen und verweist mit Stolz auf ständig steigende Nutzerzahlen. In den Jahren 2000 bis 2002 seien es im Schnitt jährlich 312 Menschen gewesen, die sich für bestimmte Akten interessierten. „Das sind 50 Prozent mehr als in den Vorjahren“, so Allerheiligen. Dank der fein gegliederten Beständeübersicht weiß er genau, in welchem Archivkarton beispielsweise Unterlagen zu Kriegssachen, Grenzänderungen, Brückenangelegenheiten, Stiftungen, Kirchensachen, Gaststätten oder private Nachlässe zu finden sind.

Viele seiner Kunden interessierten sich für ihre Familiengeschichte oder suchten beispielsweise alte Bauzeichnungen vom eigenen Haus oder auch Baugenehmigungen. „Diese Leute gehen dann erleichtert hier raus, wenn sie festgestellt haben, dass sie doch nicht in einem Schwarzbau leben“, berichtet der 49-Jährige.

Etliche seiner Besucher sieht Allerheiligen regelmäßig: „Wenn jemand eine Familien- oder Orts-Chronik erstellt, kommt er mitunter über mehrere Jahre.“ Archivnutzern steht im Kreishaus ein Leseraum mit acht Plätzen und einem Kopierer zur Verfügung.

Prinzipiell gibt er keine Akten außer Haus. „Das war anders, als das Kreisarchiv noch ehrenamtlich geführt wurde“, sagt Allerheiligen. Warum auch immer – einige Dutzend Akten, die es laut Verzeichnis eigentlich geben müsste, seien nicht wieder aufzufinden: „Die sind verschollen oder verlegt worden.“ Noch sorgenvoller wird seine Miene, wenn er über das Damoklesschwert zu sprechen kommt, das über seinem Archiv schwebt:

Ein Großteil des Archiv-Bestands sei vom Verfall bedroht, warnt Kreisarchivar Rolf Allerheiligen. Feind Nummer eins seien Schimmelpilze, die sich wegen des einst problematischen Raumklimas in den Magazinkellern ausbreiten konnten und unter anderem Teile der wertvollen Archivbibliothek befallen haben. In 5200 Bänden ist die Geschichte Niedersachsens, der hiesigen Region und der Nachbarkreise festgehalten. Erst in diesem Jahr sei eine Klimaanlage eingebaut worden, die dem Wachstum der Schimmelpilze Einhalt geboten hat. Die Klimaanlage hält die Temperatur auf 16 Grad und die Luftfeuchtigkeit auf 45 bis 55 Prozent.

Bedroht wird der Bestand des Kreisarchivs aber auch durch den Papierzerfall. Das betrifft mehrere zehntausend Akten, die ab etwa 1850 angelegt worden sind. Das seitdem verwendete Papier hat einen hohen Gehalt an Säure, die nun dafür sorgt, dass die Blätter praktisch vor der Augen der Archivare zerbröseln. Die Art der Leimung, der Holzanteil und das Chlorbleichverfahren verursachten chemische Prozesse, die nach und nach zur Bräunung und zum Brüchigwerden dieser Papiere führen.
Diese seien nur mit Hilfe einer modernen und bewährten maschinellen Methode, dem so genannten „Bückeburger Verfahrens“, zu retten, sagt Allerheiligen. Mehr als 300.000 Euro bräuchte er, um alle seine gefährdeten Dokumente vor dem Zerfall bewahren zu können, deren Zahl er auf „deutlich mehr als eine Million Blatt“ schätzt. Wegen der Finanzkrise des Landkreises will er die Bestandserhaltung auf mehrere Jahrzehnte strecken.

Fürs nächste Jahr wurden ihm 10.000 Euro bewilligt, mit denen er Dokumente aus der Nazi-Zeit und der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg behandeln lassen will. Diese seien besonders stark angegriffen, weil damals das Papier sehr schlecht gewesen sei. Überdies seien Unterlagen aus dieser Zeit nur spärlich vorhanden, „weil sie in der Endphase des Krieges und danach von belasteten Beamten vernichtet worden sind“.

Obwohl er seinen Job nun schon schon 15 Jahre ausübt, hat Allerheiligen noch längst nicht jede Akte in der Hand gehabt. „Bei der Fülle des Materials geht das gar nicht.“ Wegen der Arbeitsbelastung – seine Abteilung verfügt über 1,5 Planstellen – kann er sich mitunter gar nicht so recht darüber freuen, wenn ihm neue alte Schriftstücke angeboten werden, etwa aus Nachlässen. Etliche Umzugskartons voller Unterlagen stehen unbearbeitet im Keller. „Die Erbin des Heimatforschers Kurt Asendorf hat uns bisher etwa 600 prall gefüllte Aktenordner überlassen“, so Allerheiligen. Etliche Tonnen von Büchern, eigenen Schriften und alten Zeitungen habe er in Beppen und Thedinghausen in zahlreichen Stunden gesichtet, berichtet er.

Das Verdener Kreisarchiv ist dienstags von 10 bis 17 Uhr, donnerstags von 10 bis 18 Uhr sowie nach Vereinbarung (Telefon 04231/ 15200 oder 15208) geöffnet. Es ist im Kreishaus (Lindhooper Straße 67, Eingang Ost, Erdgeschoss) untergebracht.

Kontakt:
Kreisarchiv für den Landkreis Verden,
Postfach 1509
27281 Verden (Aller)

Quelle: Verdener Nachrichten, 2.1.2004

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