Alte Einwohnerdaten von Emden zu 40% verloren

40 Prozent der Daten aus dem Einwohner-Register der Stadt Emden von 1871 bis 1945 sind aufgrund des Zustandes der Unterlagen verloren gegangen. Das teilte Dr. Rolf Uphoff, Leiter des Emder Stadtarchivs, im Ratsausschuss für Kultur und Erwachsenenbildung mit. Deshalb müsse das verbliebene Material schnell gesichert werden. Das koste 6.800 Euro.

Das Stadtarchiv hat die Unterlagen im Februar von der Registratur der Stadtverwaltung übernommen. „Die Originalunterlagen wurden vernichtet“, sagt Uphoff. „Es gibt nur Daten auf Filmen, die aufgrund unsachgemäßer Lagerung in sehr schlechtem Zustand sind.“ Das Material sei nicht zu benutzen.

Problematisch sei das vor allem deshalb, weil zurzeit verstärkt Anfragen nach den Daten beim Archiv eingingen. Vor allem die Namen von jüdischen Mitbürgern, Zwangsarbeitern und Flüchtlingen seien wichtig. „Diese Menschen brauchen Bestätigungen, um ihre Ansprüche als Rentner oder deutsche Staatsbürger geltend zu machen“, erklärt Uphoff.

Wenn das Stadtarchiv die Reproduktion aus dem eigenen Haushalt bezahlen solle, werde noch viel Zeit vergehen, bis alle Daten gesichert seien, so Uphoff. Außerdem sei das Geld eigentlich für die Sicherung alter Zeitungen gedacht. Eine Umschichtung werde schwierig.

Der Leiter des Stadtarchivs regt an, dass die Stadt versuchen soll, Bund und Land in die Finanzierung einzubeziehen. „Schließlich stellen diese die meisten Anfragen“, sagte Uphoff.

Kontakt:
Stadtarchiv Emden
Kirchstraße 18
26721 Emden

Quelle: Ostfriesen-Zeitung, 7.11.2003

Staatsarchiv St. Petersburg bekommt neue Adresse

Der Wegzug des Historischen Archivs vom St. Petersburger Dekabristenplatz ist nur noch eine Frage der Zeit. Am 28. Oktober erließ die Petersburger Stadtregierung eine Anordnung, laut der das Archiv ein 2,5 Hektar großes Gelände im Krasnogwardejski-Stadtbezeirk rechts der Newa als Bauplatz übereignet bekommt. Unweit davon soll die Verwaltung des Archivs ein bereits fertiges Gebäude beziehen.

Der Konflikt um das mitten im Petersburger Zentrum gelegene Staatsarchiv dauert schon länger an. Im Dezember letzten Jahres war das ehemalige Senats- und Synode-Gebäude in den Besitz der Präsidentenverwaltung übergegangen, und die Mitarbeiter des Archivs hatten lauthals gegen ihre Vertreibung protestiert. Relative Ruhe war eingetreten, als Valentina Matwijenko, damals noch Putins Generalgouverneurin in der Nordwest-Region, versprach, eine Umsiedlung käme erst in Frage, wenn für entsprechende Ausweichmöglichkeiten gesorgt wäre.

In Ermangelung eines Gebäudes mit allen modernen Voraussetzungen für die Verwahrung von Archiv-Materialien bleibt nichts anderes übrig, als ein ganz neues Magazin zu errichten. Laut der Tageszeitung „Delowoi Peterburg“ war zuerst ein Bauplatz in der Nähe des neuen Gebäudes der Russischen Nationalbibliothek am Moskowski Prospekt im Gespräch. Doch nun kommt es anders – die neue Adresse für das Historische Staatsarchiv lautet Utkin Prospekt Nr. 6. Der Neubau wird zunächst auf 15 Millionen Dollar veranschlagt. Ganz in der Nähe, am Sanewski Prospekt Nr. 36, soll die Archiv-Verwaltung unterkommen.

Das Wawilow-Institut für Pflanzenkunde, das ebenfalls seinen angestammten Platz am Isaak-Platz verlassen und in den Besitz der Präsidenten-Verwaltung übergehen sollte, hat indessen einen Prozess in Eigentumsfragen gewonnen und ist (zumindest vorläufig) nicht mehr von der Umsiedlung bedroht. Doch bis das Staatsarchiv umzieht, werden sicher auch noch einige Jahre vergehen. Erst wenn die neuen Räumlichkeiten fertig sind, wird man sich ans Packen machen.

Quelle: RU Russland aktuell, 5.11.2003

Gefahr digitaler Löcher

Wenn sich eines Tages künftige Historiker mit der Gegenwart beschäftigen, könnten sie auf ein riesiges Informationsloch stoßen. Denn heutiges Kulturgut wird vor allem elektronisch gespeichert. Digitale Dokumente aber können schon nach wenigen Jahrzehnten nicht mehr gelesen werden.

In den Stadt- und Landesarchiven werden mittelalterliche Urkunden für Jahrhunderte aufbewahrt. Weit weniger langlebig sind elektronische Dokumente: Sie können zum Teil schon nach wenigen Jahrzehnten nicht mehr gelesen werden, weil die für sie bestimmte Software völlig veraltet ist. Auch die Hardware ist problematisch – so gibt es kaum noch eine Möglichkeiten, Disketten im ehedem weit verbreiten Format von 5,25 Zoll zu lesen. Ein jetzt erschienenes Buch macht sich Gedanken über die richtige Strategie der Lanzeitarchivierung elektronischer Dokumente.

„Da in zunehmendem Maße Kulturgüter in digitaler Form produziert werden, laufen wir Gefahr, schon bald Teile des zeitgenössischen Kulturguts endgültig zu verlieren“, warnen die vier Buchautoren Uwe Borghoff, Peter Rödig, Jan Scheffczyk und Lothar Schmitz. Da die künftige Entwicklung der Technik niemand absehen kann, betrachten sie die Langzeitarchivierung als Aufgabe, die von Generation zu Generation weitergegeben werden muss. Dabei gibt es zwei unterschiedliche Wege: Bei der Migration werden die älteren Dokumente neu gespeichert, damit sie auch im jeweils aktuellen Format zur Verfügung stehen.

Die Emulation hingegen bedient sich „virtueller Maschinen“, die die alten Betriebssysteme und Dateiformate weiter darstellen können. Die Autoren – alle vier Informatiker an der Universität der Bundeswehr in München – empfehlen, beide Ansätze miteinander zu kombinieren.

Was sollte man schon beim Erstellen von Dokumenten beachten, damit sie möglichst lange erhalten bleiben? Die Autoren plädieren hier für XML, weil die Kontrolle und alle Änderungsrechte bei diesem Format in den Händen eines internationalen Normungsgremiums liegen. Relativ gute Noten bekommt noch PDF, weil dieses von der Firma Adobe entwickelte Format zur allgemeinen Nutzung offen gelegt wurde. „Unbedingt zu vermeiden sind proprietäre Formate wie Microsoft Word, die von ihren Besitzern jederzeit geändert werden können“. Wegen der Vorteile offener Standards unterstützt auch die Microsoft-Software XML und kann Dokumente in diesem Format speichern.

Die Autoren regen eine enge Zusammenarbeit von Informatikern und Archivaren, Politikern und Juristen an, um gemeinsame Lösungsansätze zu entwickeln. Mit ihrem Buch stellen sie die Grundlagen für diesen Austausch zur Verfügung. Ein ausführlicher methodischer Teil beginnt mit Überlegungen zur „Konservierung von Zeichenströmen“ und leitet hin zur Darstellung von Dokumentbeschreibungssprachen.

Ein zweiter Praxis-Teil stellt dann bestehende XML-und Datenbankprojekte vor wie die bereits intensiv von Bibliotheken genutzte Dublin-Core-Initiative. Für die Emulation schließlich könnte es einmal einen „Universal Virtual Computer“ (UVC) geben. Für diesen sollen Programme erstellt werden, mit denen der Bitstrom von Daten direkt ausgelesen werden kann, ohne dass dafür die gesamte Erstellungssoftware mit archiviert werden muss. Allerdings steckt das UVC-Projekt noch in einer frühen Experimentierphase.

Info:
Uwe M. Berghoff, Peter Rödig, Jan Scheffczyk, Lothar Schmitz:
Langzeitarchivierung. Methoden zur Erhaltung digitaler Dokumente.
Heidelberg: dpunkt.verlag 2003. 283 Seiten. 45 Euro

Quelle: RP-Online, 4.11.2003

Ausstellung „Zerstreute Bibliotheken“ in Dülmen

Das Stadtarchiv Dülmen lädt zu einer Vortragsveranstaltung am Freitag, 7. November 2003, um 19.30 Uhr ein (Stadtbücherei Dülmen, Overberg-Passage, 48249 Dülmen). Es referiert Dr. Timothy Sodmann (Landeskundliches Institut Westmünsterland, Vreden) über das Thema: „'Da wir Gottes Wort nicht mit dem Munde predigen können'. Der Buchbesitz des Kartäuserklosters Weddern.“

Anlässlich der Ausstellung JVDOCVS VREDIS. Kunst aus der Stille – Eine Klosterwerkstatt der Dürerzeit (2001) rekonstruierte Dr. Timothy Sodmann Teile der Klosterbibliothek der einzigen Kartäuserniederlassung in Westfalen, der Kartause Marienburg in Weddern bei Dülmen. Der Katalog der 38 Handschriften, Inkunabeln und Drucke zählt, listet nicht wenige wertvolle Bände auf, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts über den internationalen Buchhandel nach England und in die Vereinigten Staaten von Amerika gelangten.

Begleitend zur Ausstellung des Stadtarchivs Dülmen „Zerstreute Bibliotheken. Kartause Marienburg – Kloster Agnetenberg – Kollegiatstift St. Viktor“ erläutert der Referent die Entstehung, Bedeutung und Auflösung der Bibliothek des Klosters Marienburg in Weddern, wobei die ausgestellten Exponate vom 15. bis 17. Jahrhundert einbezogen werden.

Ausstellungshintergrund:
Mit der Säkularisation wurde das Fürstbistum Münster unter eine Vielzahl von Staaten zerteilt. Während der östliche Teil an Preußen gelangte, entstanden aus den westlichen Ämtern neue Duodezfürstentümer. Das Amt Dülmen ging an den Herzog von Croy über, der für drei Jahre als Landesherr die souveräne Grafschaft Dülmen regierte. Während dieser Zeit kam es nur zur Aufhebung des 1476 gegründeten, einzigen Kartäuserklosters in Westfalen, der Kartause Marienburg im heutigen Dülmener Ortsteil Weddern.

Die beiden geistlichen Institute in der Stadt, das 1323 gegründete Kollegiatstift an der Pfarrkirche St. Viktor und das 1456 als Süsterhaus fundierte, ab 1471 die Augustinerregel übernehmende Kloster Agnetenberg, blieben bestehen. Beide Einrichtungen wurden nach 1803 entweder weiter mit pädagogischen und karitativen Aufgaben betraut oder als Mittel zur Pfründenversorgung genutzt. Die Aufhebung geschah 1812 durch ein Dekret Napoleons als neuem kaiserlichen Landesherrn.

Über das Schicksal der Bibliotheken aller drei geistlichen Einrichtungen war bisher wenig bekannt. Das Stadtarchiv Dülmen verfügt über einige der 27 Exponate, weitere konnten in den Staatsbibliotheken Berlin und Hamburg, in der Universitätsbibliothek Münster, im Bistumsarchiv und im Stadtarchiv Münster, der Freiherrlich Droste-Hülshoff'schen Bibliothek, dem Hamaland-Museum, Vreden, der Anna-Katharina-Gedächtnisstätte, Dülmen und dem Archiv des Herzogs von Croy aufgespürt werden.

Die Ausstellung vereint wertvolle Teile dieser seit der Säkularisation in alle Winde zerstreuten Bibliotheken, erläutert die einzelnen Stücke und zeigt beispielhaft an einem Buchbinder der Kartause Weddern aus dem 16. Jahrhundert, welchen hohen kulturellen Rang diese späte Klostergründung binnen weniger Jahre erreicht hatte.

Kontakt:
Stadtarchiv Dülmen
Charleville-Mézières-Platz 2
(im Keller der Hermann-Leeser-Schule)
48249 Dülmen
Tel. 0 25 94 / 89 08 15
Fax 0 25 94 / 89 08 17
http://www.stadtarchiv-duelmen.de/

Ausstellung:
Zerstreute Bibliotheken.
Kartause Marienburg – Kloster Agnetenberg – Kollegiatstift St. Viktor
3.-29. November 2003
Stadtbücherei Dülmen
www.stadtarchiv-duelmen.de
Öffnungszeiten:
Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag
von 10.00 – 12.30 und 14.30 – 18.30
Samstag von 10.00-13.00

Veranstalter: Stadtarchiv Dülmen http://www.stadtarchiv-duelmen.de/

Quelle: Mailingliste http://www.westfaelische-geschichte.de, 5.11.2003

Uni-Museum präsentiert Werke aus dem Archiv

Wenn ein Museum seine Archive öffnet, so zieht dies meist eine Rechtfertigung nach sich: Warum hängt nicht dieses oder jenes Bild in der ständigen Ausstellung? Wie ist die Auswahl der Werke begründet? Auch Museumsdirekter Dr. Jürgen Wittstock stellte sich diese Fragen am Sonntagmorgen bei der Archiv-Ausstellung in den oberen Räumen des Marburger Universitätsmuseums.

Er nahm sie zum Anlass, so etwas wie ein persönliches Resümee seiner Arbeit am Museum zu ziehen, die mit der Fertigstellung und Bestückung des geplanten Anbaus wohl ihren Höhepunkt erreichen wird. Wittstock sprach von seinem Amtsantritt vor 17 Jahren und sieht sich seitdem der Ausrichtung des Museums auf die Moderne verpflichtet, ohne dabei die Traditionen zu vernachlässigen.

Und so liegt denn auch der Schwerpunkt der Archiv-Ausstellung auf Werken des 20. Jahrhunderts, ja eigentlich nur auf solchen der letzten zwanzig Jahre.

In einem chronologischen Rundgang lässt sich so manche Entdeckung erschließen, die ansonsten in den Kellern des Museums verborgen ist: Angefangen bei einer kleinen Sammlung von Werken des Kasseler Malers Johann Heinrich Tischbein aus dem 18. Jahrhundert oder den populären Grottengemälden von Georg Heinrich Hergenröder, über mystische und grandios-verspielte Landschaftsbilder des 19. Jahrhunderts bis hin zu Arbeiten von Raimer Jochims, Clemens Mitscher oder Burgi Scheiblechner aus den achtziger beziehungsweise neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts.

Die Ausstellung ist eine kleine Reise durch drei Jahrhunderte, erfrischend undogmatisch und bunt durcheinander gewürfelt, die deutlich macht, dass nicht alles, was ein Museum zu bieten hat, immer dem Blick der Öffentlichkeit zugänglich ist. Nachdrücklich wies Wittstock angesichts dieser archivierten Werke noch einmal auf die große Bedeutung des Anbaus hin, der die neue Sammlung Eitel aufnehmen soll und dessen Finanzierung noch immer nicht gesichert ist.

Jahrzehntelang wurde von beiden Seiten gezielt auf eine Verbindung dieser beiden Sammlungen hin angekauft, so dass der Bau eine Notwendigkeit für die Weiterentwicklung des Museums darstellt.

Kontakt:
Marburger Universitätsmuseum für Kunst und Kulturgeschichte
Direktion und Verwaltung
Biegenstraße 11,
35037 Marburg
Telefon 06421 / 28-22355, Fax 06421 / 28-22166

  • Universitätsmuseum für Bildende Kunst Ernst-von-Hülsen-Haus, Biegenstraße 11 (neben der Stadthalle)
  • Universitätsmuseum für Kulturgeschichte, Landgrafenschloss, Wilhelmsbau

Quelle: Marburger Neue Zeitung, 4.11.2003

Ehrenamtlicher Archivpfleger erhält Kulturpreis

Lange Gänge, schummriges Licht, feuchte Wände und zusammengeschnürte Pakete vergilbter Papiere – dieses Bild verbinden Fernsehzuschauer mit einem Archiv. Nicht so das Reich des Hans Scheuern: Der ehrenamtliche Archivpfleger der Schlossstadt Heusenstamm arbeitet bei Tageslicht, das gleich durch zwei Seiten des Rathaus-Neubaus ins Zimmer 137 fließt. Gestern Abend wurde der Herr über zigtausend Akten für seinen Einsatz im Hinteren Schlösschen mit dem Heusenstammer Kulturpreis 2003 ausgezeichnet.

Genau betrachtet wacht er über vier Archive. Deren erste Aufzeichnungen stammen aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts, wurden von den Schönborns jedoch zu ihrem Sitz nach Wiesentheid im Fränkischen mitgenommen, lagern heute teilweise im Staatsarchiv in Würzburg. Einige der „Dorfakten“, die bis in die 30er Jahre reichen, sind aber am Ort verblieben, informiert Scheuern. Die zweite Phase reicht bis 1976 und wurde von Rektor Dittrich aufgearbeitet. Nach dessen Tod wurde der Job 1999 vom damaligen Bürgermeister Josef Eckstein dem langjährigen Kommunalpolitiker Hans Scheuern angetragen. Fünf Jahre saß er für die FDP im Stadtparlament, acht im Magistrat, so dass er über weitreichende Kenntnisse der Stadtverwaltung verfügt. Zudem bringt er aus seinem Beruf Voraussetzungen für den Umgang mit Dokumenten mit. Scheuern stammt aus Diez an der Lahn und ging als junger Schriftsetzer-Lehrling auf Wanderschaft, wie es der Brauch vorsah. Er gelangte nach Nürnberg, Bad Kreuznach und Offenbach. In Stuttgart studierte er an der grafischen Schule und machte Druckingenieurswesen. 1958 heiratete er, zwei Töchter sowie ein Sohn gehörten bald zur Familie. 1961 begann er bei einer Frankfurter Druckerei als Betriebsassistent, nach kurzer Zeit übernahm er die Leitung. „Ich hab' mir das ganz locker vorgestellt“, blickt der Ausgezeichnete über eine Regalwand, „in einem Jahr oder zwei wollte ich durch sein“. Jetzt steckt er immer noch mitten drin im Bewerten von Akten. So umschreibt er seine Tätigkeit, mit der er Stapel im Din-A4-Format abarbeitet. Die Anschreiben an die Stadt und die von ihren Ämtern, Bewilligungen, Auskünfte, Satzungen und andere Korrespondenz wandert erst in die Registratur. Frühestens nach einem Jahrzehnt endet Aufhebungspflicht, dann können die Papiere in Scheuerns Abteilung wandern. Gerade sortiert er Briefe, deren Ein- oder Ausgang rund 25 Jahre zurückliegt. „Das ist schon ziemlich nah dran am Zeitgeschehen“, erklärt er aus der Sicht des Archivars. Auf seinem Schreibtisch liegt ein Stapel mit Schriftstücken des Italienischen Familienvereins, viele sind in der Sprache seiner Mitglieder verfasst. Wie kann der Sammler da entscheiden, was für die Nachwelt interessant sein kann und womit der Reißwolf gefüttert wird? „Ich hatte in der Schule Latein“, winkt Scheuern ab. Meistens erkennt er schon in Adress- und Betreffzeilen, worum es sich handelt. Und falls er sich mal wirklich unschlüssig ist, wendet er sich an einen Kollegen in der Verwaltung, der der Fremdsprache mächtig ist. Die wichtigen Bögen legt er dann in einen Faszikel, der kleinsten Einheit innerhalb der Unterteilung. Belege findet er mit Hilfe eines eigenen Computer-Programms recht flott. Dem Rechner genügt das Aktenzeichen, eine Jahreszahl oder auch nur ein Stichwort, und er spuckt alle Nummern der Faszikel, Ordner, Fächer und Stahlschränke aus, in denen etwas zur eingetippten Angabe zu finden ist. Auch dieser Zeitungsartikel wird bald den Weg in sein Reich finden, denn eine Kollegin wird ihn einscannen, weil er Belange der Stadt berührt. Suchende können sich bei Hans Scheuern Kopien von Unterlagen anfertigen lassen. Aber nur, wenn die Herausgabe keinen Konflikt mit dem Datenschutzgesetz heraufbeschwört. Und wenn es nicht um Personen geht, die vor weniger als 100 Jahren das Licht der Welt erblickten.

Quelle: Offenbach-Post Online, 4.11.2003

St.-Galler-Stadtgeschichte in zwei Archiven

Zwei Bestände, zwei Archivare, unterschiedliche Trägerschaften: Das eine Stadtarchiv enthält die Altbestände aus der Zeit der Stadtrepublik, das andere nur Quellen zur modernen Stadt.

Stefan Sondereggers Lieblingsdokument aus «seinem» Archiv ist das Stadtbuch mit dem ersten Stadtgesetz, das 1312 begonnen wurde. Ihn fasziniert, wie die Stadt damals anfing, sich selber zu verwalten, losgelöst von der äbtischen Herrschaft. Marcel Mayer wählt das Niederlassungs- und Aufenthaltsregister von 1803 bis 1918. Es wird derzeit in einer Datenbank erfasst und gibt Aufschluss darüber, wie die städtische Gesellschaft mit dem Anziehen der Wirtschaft immer heterogener wurde.

Beide Episoden waren von fundamentaler Bedeutung für die Entwicklung der Stadt. Doch beide lagern in verschiedenen Archiven.

Erst seit 1986 gibt es ein zentrales Archiv der politischen Gemeinde, dem heute Marcel Mayer vorsteht. Er ist zuständig für die Akten der Gemeinden St. Gallen seit der Zeit von 1798 bis 1831 sowie – vor der Stadtverschmelzung – Tablat und Straubenzell. Das Archiv der Ortsbürgergemeinde, das Stefan Sonderegger betreut, umfasst die Altbestände mit einem umfangreichen Urkunden-Bestand (und die Akten der Ortsbürger bis heute). Entsprechend unterschiedlich ist die Tätigkeit der beiden Archivare: Stefan Sonderegger hat es mit einem fast «toten» Archiv zu tun – es hat kaum Neueingänge zu verzeichnen. Dafür sind viele der Dokumente nicht nur lokal oder regional von Interesse, sondern betreffen den ganzen Bodenseeraum. Marcel Mayer hingegen muss mit der grossen Datenfülle umgehen, die die verschiedenen Verwaltungsstellen regelmässig freigeben. Hinzu kommen private Akten wie Tagebücher oder Briefe sowie Firmenarchive. «Die Frage ist nicht: Was wirft man weg?», erklärt Mayer, «sondern: Was behält man?» Das Stadtarchiv nimmt nur etwa 10 Prozent der anfallenden Akten und Nachlässe an – jene nämlich, die historisch relevant sind – aus Platzgründen und wegen der Übersichtlichkeit. Für denselben Informationsgehalt wird heute ohnehin viel mehr Papier gebraucht als in früheren Jahrhunderten, als Schreiben Handarbeit und Schreibmaterial kostbar war. Der Einzug des Computers in die Büros hat die Papierflut nochmals vergrössert – und stellt die Archivare vor zusätzliche Probleme: Wie sichert man digitale Daten für längere Zeit? Mit jedem Überspielen auf aktuelle Software können Informationen verfälscht werden. Und wie lange CDs halten, weiss man noch nicht. Das Stadtarchiv bewahrt daher vor allem Ausdrucke oder Mikrofichen auf. Ähnliche Probleme ergeben sich mit Tonträgern und Filmen: Überspielungen und Restaurierungen sind aufwendig, aber notwendig. Dies betrifft etwa die Gemeinderatsprotokolle, die es in schriftlicher Form seit 1972 nur noch als Beschlussprotokolle gibt. Von grossem Wert sind auch zum Beispiel die ältesten bewegten Bilder von St. Gallen, die vom Kinderfest 1927 stammen.

Angesichts der Datenfülle aus neuerer Zeit lagert einiges im Archiv, von dem die Archivare den Inhalt nur ungefähr kennen. Auch im Ortsbürger-Archiv gibt es noch manche Trouvaille: Die Akten, die Sonderegger etwa für die Edition im Chartularium Sangallense oder für die Rechtsquellen des Kantons St. Gallen bearbeitet, sind zu rund 40 Prozent bisher unbekannt oder nur in einer Kurzversion editiert. Solche Editionsarbeiten sind sehr aufwendig: Um eine einzige Urkunde fachgerecht zu erfassen, hat Sonderegger rund eine Woche. «Trotz technischer Hilfsmittel kann man die Arbeit nicht wesentlich beschleunigen», erklärt er. Denn der Computer scheitert schon bei verschiedenen Schreibweisen desselben Namens. Von Nutzen ist er dagegen für die Benutzenden, wenn sie auf ein umfassendes Register zurück greifen können.

Kontakt:
Stadtarchiv St.Gallen und Stadtarchiv (Vadiana) St.Gallen
Notkerstrasse 22
CH-9000 St.Gallen
TEL ++41 71 224 62 23 und ++41 71 244 08 17
FAX ++41 71 244 07 45
stadtarchiv.sg@bluewin.ch

Quelle: St. Galler Tagblatt (CH), 4.11.2003

Im Schloss surren Scanner für die Mormonen

Prunkvoll steht das elegante Schloss Kossenblatt (Oder-Spree) inmitten eines Wäldchens. Ein massives Eisentor und der Zaun schirmen den Barockbau von der Außenwelt ab. Auf dem herrschaftlichen Anwesen surren Scanner und filmen Kameras. Um vergilbtes Archivmaterial oder Namensregister der Nachwelt zu erhalten, werden diese auf Mikrofilm gebannt. Haltbarkeit: rund 500 Jahre.

Zu dem Material, das die 21 Mitarbeiter der Mikrofilm-Center Kossenblatt GmbH auf Spezial-Zelluloid „verfilmen“, gehören Einwohnermelderegister aus dem 18. Jahrhundert, uralte Leichenpredigten oder kaum noch identifizierbare Adressbücher aus dem 17. Jahrhundert. „Durch unsere Arbeit erhalten wir unwiederbringliche Unterlagen der Nachwelt“, sagt Gottfried Keßler, Prokurist der Film-Firma. Schon als Zentralstelle für Reprografie der DDR genoss das Unternehmen Weltruf. Heute ist Schloss Kossenblatt die bedeutendste „Kopierstelle“ der neuen Bundesländer. Trotz voller Auftragsbücher hatte die Mikrofilm-Firma vor 15 Monaten Insolvenz beantragen müssen. Mittlerweile schreibt sie nach Angaben Keßlers aber wieder schwarze Zahlen.

Einen ganz besonderen Auftrag zogen die Mikrografen aus Ostbrandenburg im US-Bundesstaat Utah an Land. Hier lebt der größte Teil der weltweit mehr als zwölf Millionen Mormonen. Und die forschen auf dem gesamten Erdball nach ihren Vorfahren. Ihrem Glauben nach soll so „eine Brücke von der Vergangenheit zur Gegenwart in die Zukunft“ gebaut werden, heißt es in einer Erklärung der europäischen Mormonenvertretung in Frankfurt/Main. Um die Recherche nach Urahnen aus dem deutschsprachigen Raum zu forcieren, soll das Kossenblatter Unternehmen alte Kirchenbücher und Namensregister auf bis zu 30 Meter lange Filmrollen bannen. Je nach Bedarf werden die Unterlagen dann später ausgewertet.

Geschäftspartner ist die 1894 gegründete Genealogische Gesellschaft von Utah (GGU) der Mormonen. In ihrem Auftrag durchstöberten Gottfried Kessler und seine Mitarbeiter schon etliche Archive. „Etwa zweimal im Jahr bekommen wir Besuch von den Mormonen, die sich dann nach dem aktuellen Stand der Dinge erkundigen“, sagt Kessler. Bereits jetzt lagern Tausende von Kossenblatter Filmrollen in einem atombombensicheren Granitgewölbe bei Salt Lake City in Utah. In den Felsblock in den Rocky Mountains passen insgesamt sechs Millionen Rollen Mikrofilm.

Um die zu füllen, bräuchten mehrere Mikrofilm-Betriebe noch Jahre, so Reprografin Sandra Dallmann. Die Werkräume der in Deutschland einzigartigen Verfilmungsstelle wirken da doch eher schlicht. In roten Behältnissen, die Bäckerei-Kisten aus Plastik ähneln, liegen jahrhundertealte Kirchenschriften und Zivilstandsregister. Der Prokurist plaudert über Historie und Leben der Mormonen. Er selber sei kein Mormone, betont der kleine Mann mit Krawatte. Einige Beschäftigte sitzen im flachen Kopierraum, den nur Schummerlicht etwas erhellt. Lediglich die riesigen Verfilmungs- und Kopiermaschinen spenden Licht.

Quelle: Morgenpost, 3.11.2003

Allershausener Ortschronik II

Der zweite Teil der Allershausener Ortschronik, „Die Geschichte der Häuser“, ist fertig. Im Rahmen einer Feierstunde stellte Bürgermeister Rupert Popp das gewichtige Werk am Donnerstag. Popp erinnerte an die langen Jahre der Recherchen, die Chronist Wolfgang Koob auf den ersten Band verwendet hatte und auch an das Echo, das dieses Buch hervorgerufen hatte. Irritationen habe es gegeben; nicht alles, was Koob geschrieben hatte, fand das Einverständnis der Leser. Trotz aller Diskussionen habe sich der Gemeinderat entschieden, Koob auch mit dem zweiten Teil zu beauftragen. Nach Koobs Tod hat der Historiker Andreas Sauer das Werk fertig gestellt.

Die Häuser, die Allershausen prägten, die Höfe und auch die Baugeschichte selbst sind Thema des zweiten Bandes. Die Menschen Allershausens sind aber die Grundlage für das Buch, so Popp, und deshalb sei das Buch auch für jeden Ortsbewohner von großem Interesse.

Ein Grundbedürfnis der Menschen sei es, zu wissen, woher sie kommen und wohin sie gehen, sagte Kreisheimatpfleger Rudolf Goerge. Dieses Interesse an der Geschichte sei notwendig, um sich selbst und seine Umgebung einzuordnen, um den eigenen Standpunkt zu finden und auch, um zu verstehen, warum sich manches so entwickelt hat, wie es sich heute darstellt. Eine Chronik über einen Ort ermögliche den Blick auf die Vergangenheit, sei das Gedächtnis der Heimat und deshalb auch für eine Ortschaft von großer Bedeutung. Er habe Respekt vor der Arbeit, die sich Andreas Sauer gemacht habe, die Archive zu durchstöbern, Quellen zu durchforsten und in mühevoller Kleinstarbeit die Spreu vom Weizen zu trennen, um einen unverstellten Blick auf die Vergangenheit zu bekommen.

In der heutigen Zeit der nur noch medialen Archivierung könne man Sorge haben, ob die späteren Generationen auch noch so viele Informationen über ihre Vergangenheit werden finden können, wie das bisher der Fall war. Deshalb plädierte Goerge dafür: „Hebt alles auf, was geschrieben ist, später wird man froh darum sein.“ – Das Häuserbuch der Gemeinde Allershausen ist ab sofort in der Gemeinde erhältlich.

Kontakt:
Gemeinde Allershausen
Johannes-Boos-Platz 6
85391 Allershausen 
Telefon (08166) 67 93-0
Telefax (08166) 67 93-33
gemeinde@allershausen.de
 
Quelle: Merkur-Online, 31.10.2003

Vor 185 Jahren endete die „Assmannshäuser Staatsaffäre“

Am 15. Mai 1817 ereignete sich am Rheinufer vor Assmannshausen ein spektakulärer Vorfall: Schultheiß Caspar Fischer, begleitet von zwei bewaffneten Rekruten, befahl dem Bacharacher Schiffsmann Adam Welcker, der zusammen mit einem Tagelöhner sein beladenes Schiff auf dem Leinpfad flussaufwärts schleppte, zu landen. Sofort zerschnitt der sich bedroht fühlende Welcker die Leinen seines Schiffes und setzte von der nassauischen Rheinseite aufs andere Ufer über, wo er nahe dem preußischen Dorf Trechtingshausen vor Anker ging. Fischer folgte ihm in Begleitung zweier Bewaffneter und verhaftete ihn gegen die Vorhaltungen einiger Dorfbewohner. Dann zwang er ihn, an das Assmannshäuser Ufer überzusetzen und brachte ihn nach Rüdesheim, wo der Amtmann die Warenladung beschlagnahmte. Erst dann ließ man Welcker frei, der sich mit seinem Kahn zurück in seine Heimatstadt begab.

Nachdem der im nassauischen Wiesbaden tätige preußische Gesandte („Minister-Resident“) von Mettlingh von der preußischen Regierungsbehörde in Koblenz am 8. Juni über den Vorfall informiert worden war, wandte er sich am 27. Juni an Marschall von Bieberstein und „ersuchte“ diesen, „geneigtest verfügen zu wollen, daß die Veranlassung dieses höchst auffallenden Vorganges mit möglichster Genauigkeit untersucht werde, damit es sich ergeht, mit welchem Rechte der Schiffer Welker in der Ausübung seines Gewerbes gestört, auf der freien Rheinseite angehalten und ihm der verdiente Gewinnst entzogen worden ist?“ und forderte in unmissverständlichem Tone die nassauische Regierung dazu auf, künftig die Souveränität der staatlichen Grenzen zu achten und somit die preußischen Bürger vor solchen Gewaltakten zu schützen.

Es begann nun, wie der im Geheimem Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem erhaltene amtliche Briefwechsel zwischen dem preußischen Innenminister und dem nassauischen dirigierenden Staatsminister Marschall von Bieberstein belegt, eine diplomatische Auseinandersetzung zwischen den beiden Staaten, die sogar von preußischer Seite zu einer „Crise“ im Verhältnis beider Staaten hochgespielt wurde.

Der Staatsminister beantwortete das Schreiben nahezu einen Monat später, am 23. Juli, nachdem er in diesem für den nassauischen Staat höchst unangenehmen „Fall“ umfassende Untersuchungen vorgenommen hatte. Er legte von Mettlingh den Stand der Ergebnisse dar: Der Schultheiß hatte demnach im Auftrage eines Rüdesheimer „Handelsjuden“ gehandelt, der nach einem Streit „über ihre gegenseitigen Ansprüche“ mit einem anderen ortsansässigen „Handelsjuden“ seine Güter in Bacharach gelagert hatte. Er beauftragte den Assmanshäuser Schultheißen, die „Waaren auf Gefahr und Kosten der Impetranten zu arretiren“. Fischer führte den Auftrag aus, ließ sich aber, wie von Bieberstein kritisch vermerkte, „verleiten, die Gränzen seiner Befugnis und den erhaltenen amtlichen Auftrag so weit zu überschreiten, daß er den Schiffer mit Reservisten auf die Jenseite verfolgte und von dort mit herüber brachte“.

Zur Beruhigung der empörten preußischen Regierung versicherte von Bieberstein, er bedauere, „daß die Territorial-Grenzen ordnungwidrig bei diesem unagenehmen, von diesseitigen Unterbehörden veranlaßten Vorgang überschritten worden sind“ und das Verhalten des Schultheißen „auf keine Weise zu rechtfertigen“ sei. Der Vorfall sei von der Landesregierung in der Weise geahndet worden, „das Benehmen des Schultheisen so wie des Beamten denselben um so mehr auf das Nachdrücklichste zu verweisen“ und Fischer sei angewiesen worden, „alle etwa durch diesen Excess den Betheiligten erwachsene Kosten und Schäden zu ersetzen“.

Welche Strafe die preußische Regierung für den Schultheiß vorsah, sprach sie in einem Gutachten aus: Gemäß dem Preußischen Landrecht II. Theil § 337 „müßte hiernach nach unseren Gesetzen durch Amtsentsetzung und außerdem durch verhältnißmäßige Gefängniß- oder Festungsstrafe gebüßt werden. Die letztere Strafe könnte nach den Grundsätzen unserer Praxis und des durch selbige geleiteten richterlichen arbitrii, nicht unter das Maas einer zweimonatigen Gefängnisstrafe fallen“.

Auf wiederholtes Drängen der preußischen Seite antwortete der nassauische Staatsminister, man solle „aus dem Exceß eines Ortsschultheißen“ nicht das gute nachbarliche Verhältnis beider Staaten in Zweifel ziehen. Die nassauische Regierung habe schließlich den Täter weitgehend bestraft. So endete die „Assmannshäuser-Schultheißen-Affäre“, die für einige Monate das Verhältnis zwischen den beiden Staaten nachhaltig beeinträchtigt hatte. „Bürgermeister“ Fischer blieb Dorfoberhaupt bis zum Jahre 1820.

Quelle: Wiesbadener Kurier, 1.11.2003