Eindrücke eines Archivars zu „.hist 2003“

Vom 9. bis 11. April 2003 fand in Berlin die Tagung „.hist 2003“ statt, bei der es um die Bedeutung und den Einsatz der Neuen Medien in den Geschichtswissenschaften ging. Neben einem Tagungsbericht brachte H-Soz-u-Kult jetzt auch ein Statement von Dr. Thomas Aigner (St. Pölten), in dem er seine Eindrücke von der Berliner Veranstaltung aus archivarischer Sicht schildert.

Die Tagung „.hist 2003. Geschichte und neue Medien“ hat seiner Ansicht nach sehr eindrucksvoll den Unterschied zwischen dem Frohlocken der Historiker über die und den archivarischen Zweiflern an der Dauerhaftigkeit digitaler Informationen und Speichermedien unter Beweis gestellt, wenngleich natürlich nicht der grundsätzliche Einsatz von EDV zur Diskussion gestanden hat. Es ging im wesentlichen um die Präsentation diverser Möglichkeiten der Digitalisierung und der Schaffung von Vernetzungen, insbesondere durch das Internet. So standen als wichtigste Aspekte die Bereitstellung von historischer Information, sei es direkt aus Quellen oder von Wissen ganz allgemein, sowie deren gezielte Strukturierung zwecks effizienter Benützung im Mittelpunkt.

Als Stätten, die historische Informationen verwalten und diese für die Historikerschaft bereitstellen, sind in erster Linie Archive, Bibliotheken und Museen zu betrachten. .hist 2003 habe deutlich gezeigt, dass der Bereich des „Providing Information“ zwar bereits eine ansehnliche Menge an Einzelprojekten aufweise, dass diese zumeist jedoch noch in den Kinderschuhen stecken, weil ihnen Standards fehlen, wie es sie beispielsweise im Bibliotheksbereich durch die Herauskristallisierung einzelner Systeme und international verbindlicher Erschließungsregeln ansatzweise schon gibt.

In Bezug auf einen zweiten Aspekt, des „Using Information“, sei es eine wesentliche, für alle Projekte geltende Forderung, dass die zukünftigen Benutzer verstärkt beim Aufbau von Onlinesystemen einbezogen werden müssten. Ein System sei eben nur dann gut, wenn es „einfach“ zu handhaben sei.

Ziegelei-Archiv in MeckPomm

Die Suche nach Zeitzeugen, nach Text- und Fotomaterial aus vergangenen Jahrhunderten ist für Sabine Forejt von der Beschäftigungsgesellschaft Ziegelei Benzin zum Hobby geworden. Mittlerweile umgeben sie etwa 50 Aktenordner, in denen zu exakt 463 Ziegelei-Standorten im Land Informationen zu finden sind. Denn in Benzin In Benzin entsteht ein Archiv über Ziegeleien in Mecklenburg-Vorpommern.

Besonders tiefgründige Recherchen liegen zu der Ziegelei in Benzin vor. Sie wurde 1907 gegründet und war bis 1972 in so genannter privater Hand. Dann wurde die Produktionsstätte, in der acht bis 16 Mitarbeiter beschäftigt waren, verstaatlicht. Mit dem Fall der Mauer kam das Aus für der Betrieb, der 1990 noch 200.000 Ziegel produzierte. Nachdem anschließend Rückübertragungsansprüche gewährt worden waren, kaufte die Beschäftigungsgesellschaft 1995 die alten, seinerzeit verfallenen Gebäude und ließ in den vergangenen Jahren ein technisches und teilweise noch produzierendes Denkmal entstehen, das im Land seinesgleichen sucht. „Wir haben in Benzin die einzige Ziegelei mit Hoffmannschem Ringofen, die noch produziert“, sagt Sabine Forejt nicht ohne Stolz. Als die heute 31-jährige Frau vor acht Jahren begann, sich mit der Geschichte der Ziegelei in Benzin auseinander zu setzen, ahnte sie nicht, dass aus dieser Arbeit ein Hobby werden könnte.

Für eine solche Arbeit sei ein gewisses Maß an Interesse und Neugierde sowie persönlicher Einsatz notwendig. Und so kamen die Nachforschungen auch nicht zum Erliegen, als Sabine Forejt einige Zeit arbeitslos war. „Man kann die Geschichte nicht ruhen lassen“, sagt sie mit Überzeugung.

Als das Interesse in Benzin über die dortige Ziegelei hinaus wuchs, kam Unterstützung aus Schwerin gerade recht. Dr. Friedrich Wilhelm Borchert hatte bereits 1992/93 mit ähnlichen Recherchen begonnen und stellte den Benzinern schließlich seine Arbeitsergebnisse zur Verfügung. „Das war schon sehr viel, was dabei zusammen getragen wurde“, sagt Sabine Forejt. Dennoch machte sie sich auf die Suche, durchstöberte Museen und Archive des Landes, um noch mehr Material zu bekommen. Anfangs gestaltete sich diese Arbeit als schwierig.

Nachdem die 31-Jährige dieses Mal über ein so genanntes gemeinwohlorientiertes Arbeitsförderungsprojekt seit Ende 2002 eine dreijährige Anstellung als Projektleiterin des Museums in Benzin gefunden hat, kann sie auch das Archivieren wie gewünscht fortsetzen. Es gab in fast jedem kleinen Ort eine Ziegelei, weiß die Archivarin zu berichten. Aus der näheren Umgebung tauchen solche Orte wie Karbow, Lübz, Daschow, Karow und Plau auf. Gegründet wurden die Einrichtungen zu ganz unterschiedlichen Zeiten. Die Aufzeichnungen im Benziner Archiv reichen bis ins 12. Jahrhundert zurück. Große Hilfe bei der Suche findet Sabine Forejt auch im Bundesverband der deutschen Ziegelindustrie e.V., der regelmäßig zu Fachtagungen einlädt. Dabei werden nicht nur Erfahrungen, sondern mitunter auch alte Fotos ausgetauscht. Besonders lebendig wird die Geschichte jedoch, wenn Zeitzeugen in Benzin „auftauchen“ und über das Erlebte berichten. Großes Ziel der Forscher ist der Erhalt des Kulturerbes, nahe liegendes Interesse: Publikationen über die Geschichte der Ziegelei in Benzin und später über die heute größtenteils verfallenen Stätten im Land Mecklenburg-Vorpommern.

Kontakt:
›Ziegelei Benzin‹-Beschäftigungsgesellschaft mbH
Ziegeleiweg 8
19386 Benzin
Telefon: 038731/8059
Telefax: 038731/8060
E-Mail: ziegelei-benzin@t-online.de
www.ziegelei-benzin.de

Weiterführende Links:
www.lehm-backsteinstrasse.de
www.fal-ev.de

Quelle: SVZ online, Zeitung für Lübz-Goldberg-Plau, 22.7.2003 (mit Foto)

12 Mio. Bände bei Brand vernichtet

Dem Brand der irakischen Nationalbibliothek beim Einmarsch der US-Truppen in Bagdad ist die unersetzliche Sammlung mittelalterlicher Handschriften zwar entgangen, vernichtet ist dagegen der gesamte Bestand an gedruckter Literatur. „Für Historiker des modernen Irak ist das ein großer Verlust“, sagt der Berliner Orientalist und Direktor des Instituts für Asien- und Afrika-Wissenschaften an der Humboldt-Universität, Peter Heine.

Die Bibliothek in Bagdad verfügte über zwölf Millionen Bände, darunter alle seit Anfang des 20. Jahrhunderts im Irak publizierten Bücher sowie die größte Sammlung arabischer Zeitschriften. Werke aus früheren Epochen, vor allem dem 19. Jahrhundert, waren mit der Beschlagnahmung vieler Privatbibliotheken während der Diktatur Saddam Husseins in die Magazine gelangt.

Die rund 50.000 mittelalterlichen Handschriften, über die die Bibliothek verfügte, waren dagegen zum Zeitpunkt des Brandes in einem Bunker ausgelagert und haben dort die Plünderungen unversehrt überstanden. Geringer als zunächst befürchtet waren offenbar auch die Verluste beim Brand des Ministeriums für religiöse Angelegenheiten in Bagdad. Dort wurden 7.000 Urkunden über religiöse Stiftungen verwahrt, von denen die ältesten in die frühe Neuzeit zurückreichen. Als verloren gelten müssen davon etwa 2.000, die übrigen waren zum Zeitpunkt der Eroberung Bagdads an einen sicheren Ort ausgelagert.

Quelle: Westfalenpost 22.7.2003.

Streit um Zwettler Fragmente geht weiter

Der Gelehrtenstreit um die angeblich ältesten Fragmente des Nibelungenliedes, die die Historikerin und Archivarin des Stiftes Zwettl, Charlotte Ziegler, ebendort entdeckt haben will, geht weiter. Der Marburger Altgermanist Joachim Heinzle hat in der jüngsten Ausgabe des \“Marburger UniJournal\“ die Fragmente als \“faulen Nibelungenzauber\“ bezeichnet, der \“rein gar nichts mit den Nibelungen zu tun\“ hätte. Vielmehr handle es sich \“zweifelsfrei\“ um den französischen Roman vom Königssohn Erec und seiner Frau Enite, den Chrestien de Troyes um 1170 verfasste (vgl. auch den Bericht vom 12.4.).

Ziegler beharrt weiterhin darauf, dass auf den Fragmenten neben den Erec-Texten, die sie auch selbst in ihren Forschungen entdeckt habe, weiteres \“Nibelungisches\“ enthalten sei. Dies werde auch durch neue Erkenntnisse gestützt. Ob der Text dem Nibelungenlied oder der danach entstandenen Nibelungenklage zuzuordnen sei, wolle Ziegler (auch mit dem gewählten Terminus \“Nibelungisches\“) \“zur Diskussion stellen\“. Ein Teil der Fragmente nehme jedenfalls Bezug auf den Nibelungentext.

Ziegler bekräftigte ihre umstrittene Datierung der Fragmente um 1200. Bisher habe es vom Nibelungentext nur schriftliche Aufzeichnungen nach dem Jahr 1220 gegeben. Nach Heinzles Darstellung zeige die Schriftform jedoch eindeutig, dass die Dokumente im 13. Jahrhundert entstanden sind.

Quelle: Der Standard, 21.7.2003.

Zuwachs im Stadtarchiv St. Gallen

Das St. Galler Stadtarchiv, dessen Bücher und Akten nebeneinandergestellt eine zwei Kilometer lange Reihe ergeben würden, erhielt im letzten Jahr ganz besonders viele neue Akten. »Ihr besonderer Wert liegt darin, dass sie nicht die amtliche Sichtweise wiedergeben«, sagt Stadtarchivar Stephan Sonderegger gegenüber dem Tagblatt. Erhielt das Archiv  im Jahr 2000 einen Zuwachs von 23 und 2001 von 41 lfd. Metern Akten, so waren es im letzten Jahr 140 Laufmeter. Der markante Anstieg ist auf wenige überdurchschnittliche Ablieferungen zurückzuführen. Zu den jüngsten Zuwächsen gehört der Nachlass des über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Historikers Ernst Ehrenzeller, von dem z.B. die Geschichte der Stadt St. Gallen (1988) stammt.

Private Nachlassbestände wiesen im Besonderen die angesprochene »nicht-amtliche Sichtweise« auf: Tagebücher wie etwa jene von Hans Richard von Fels, Fotosammlungen wie die Gross'sche oder persönliche Notizen von Menschen, die vor unserer Zeit gelebt haben, seien wichtige Quellen für die Kultur-, Ideen- und Mentalitätsgeschichte und Elemente einer umfassenden Geschichtsschreibung.

Dem Stadtarchiv wurden in jüngster Zeit mindestens ein halbes Dutzend Privatnachlässe überantwortet. Zu den Bedingungen einer Übernahme gehöre aber etwa die Freiheit des Archivars, nicht das gesamte Material übernehmen zu müssen – ein Archiv ist eben keine Gratisentsorgung. Es gibt auch Regeln, nach denen diese Privatarchive zu Forschungszwecken benutzt werden können. Sensible Daten oder Namen dürfen nicht verwendet werden.

Natürlich beherbergt das Stadtarchiv St. Gallen aber auch jene altehrwürdigen Dokumente, die man typischerweise mit einem Archiv assoziiert: Die ältesten Schriftstücke wurden im 13. Jahrhundert geschrieben. »Das sind wertvolle historische Quellen«, sagt Sonderegger und öffnet ein Zinsbuch aus dem 15. Jahrhundert. Es ist die Buchhaltung des Heiliggeistspitals, das in der Region verschiedene Güter besass und mit den dort angepflanzten Produkten handelte. Belege zeigen auf, dass pro Jahr bis zu 200 Prozent Umsatzsteigerung erzielt wurde.

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Stadtarchiv (Vadiana) St.Gallen
Notkerstrasse 22
CH-9000 St.Gallen
TEL ++41 71 224 62 23 und ++41 71 244 08 17
FAX ++41 71 244 07 45
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Papierlose Büros haben Konjunktur

Vielen Stadtarchiven geht der Platz aus oder der Schimmelpilz sucht sie heim. Erst kürzlich hat das Esslinger Stadtarchiv Alarm geschlagen, es ersticke in der Aktenflut. Andere Archive, die sich mit Notmagazinen behelfen müssen, plagt der Schimmelpilz, etwa in Marbach im Kreis Ludwigsburg oder in Weinstadt im Rems-Murr-Kreis (siehe untenstehendes Interview). Auch Unternehmen, die Steuerrelevantes per Gesetz zehn Jahre aufbewahren sollten, verwalten die Aktenschwemme mit hohem personellem Aufwand in teuren Büroräumen. Die Stuttgarter Zeitung berichtet über die aus dieser Notlage resultierende Konjunktur eines auf Digitalisierung durch Scannen spezialisierten Dienstleisters.

Ist das Papier dort letztlich vollständig in die digitale Welt eingegangen, werden die Daten zur Sicherheit einmal auf CD oder DVD gebrannt und noch am selben Tag durchs Netz zum Kunden zurückgeschickt. Die Akte selbst wird noch ein paar Wochen aufbewahrt – ehe sie der Reißwolf frisst. Noch immer sei vielen Unternehmern die Vorstellung suspekt, dass das fassbare Papier verschwindet und Unterlagen nur noch virtuell existieren. Die Reservedatenträger werden jedoch vorsorglich alle zwei Jahre kopiert. Was jedoch nicht garantiert, dass sie lesbar bleiben. Die Entwicklung der Technologie und Datenträger über die Jahrzehnte zu verfolgen, sei Aufgabe der EDV-Abteilungen.

Auch manchen Kommunen ist das papierlose Büro eine Investition wert. Die Stadt Balingen lässt in diesen Tagen sämtliche Einwohnermeldeakten digitalisieren. Die rund 100.000 Akten wurden bisher in einem externen Gebäude gelagert, das die Stadt nun anderweitig nutzen kann. Außerdem wird das Einwohnermeldeamt die Polizei künftig schneller mit Informationen versorgen können – nicht mehr mit Kopien der Akten allerdings, die auf das Faxgerät gelegt werden, sondern auf elektronischem Wege.

In einem Interview wurde der Archivar der Stadt Weinstadt, Thomas Schwabach, gefragt, inwieweit moderne Computertechnik in den oben geschilderten Notlagen der Archive eine Hilfe sein kann.

Warum lassen Sie den Bestand Ihres Weinstadter Archivs nicht einfach digitalisieren?

Bei unserem Archivgut handelt es sich vorwiegend um Originaldokumente seit dem 15. Jahrhundert – also um Kulturgüter, die im Original zu erhalten und zu schützen sind. Sie zu digitalisieren birgt Risiken, denn die Technik verändert sich so rasch, dass die Daten nach nur wenigen Jahren nicht mehr ohne immensen Aufwand benutzt werden können. Als abschreckendes Beispiel seien die digitalen Daten der Viking-Marsmission der USA genannt, die heute nicht mehr lesbar sind.

Die Digitalisierung kommt also nur als Zusatzmaßnahme in Frage?

Als solche hat sie zweifellos Vorteile: Die erfassten Daten können etwa für Forschungszwecke ins Internet gestellt werden und sind auch für die Besucher des Archivs leichter zugänglich. Angesichts der hohen Kosten kommt Digitalisierung aber nur für einzelne Archivalien in Frage.

In Weinstadt gibt es Überlegungen, Verwaltungsvorgänge durch die EDV zu optimieren. Sie kommen in Zukunft nicht umhin, elektronische Daten zu archivieren.

Ja, das Problem stellt sich über kurz oder lang. Als Zwischenlösung bietet sich nur an, die archivwürdigen Datenbestände auf alterungsbeständigem Papier auszudrucken oder auf Mikrofilm zu kopieren. Ein Archiv sollte bei der Einführung elektronischer Bürosysteme unbedingt beteiligt sein.

Kontakt:
Stadtarchiv Weinstadt
71373 Weinstadt
Tel.: (07151) 693-289

Quelle: Stuttgarter Zeitung, 21.7.2003.

Tierstimmen-Archiv an der HU Berlin

Das Berliner Tierstimmenarchiv an der Humboldt-Universität gehört zu den größten der Welt. In Amerika und in Großbritannien existieren noch größere Sammlungen, aber danach kommt gleich das Berliner Archiv mit seinen über 5.000 Tonbändern. 100.000 Aufnahmen finden sich hier, die zusammengetragenen Laute von mehr als 4.000 verschiedenen Tierarten. Das Knurren, Summen, Pfeifen und Bellen von sämtlichen Tiergruppen, von Vögeln, Fischen, Säugetieren und Insekten.

Die Sammlung ist untergebracht in einem unauffälligen Raum im ersten Stock eines Gebäudes der Humboldt-Universität, gleich hinter dem Naturkundemuseum. In dem Zimmer steht ein Schreibtisch, es liegen mehrere Mikrofone herum. Ein vergilbtes Poster an einem Glasschrank zeigt die Pfeilgiftfroscharten, die es auf der Welt gibt. Daneben warten dann aber schon die Regale mit den Tonbändern. Sie füllen ein Drittel des Raumes aus. Man kann sagen, es ist das Lebenswerk von Günter Tembrock, das hier lagert.

Tembrock, der heute schon 85 ist und längst in Pension, hat in den 50er-Jahren mit dem Archivieren angefangen. Tembrock hatte einen Lehrstuhl für Bio-Akustik an der Humboldt-Universität. Und man kann sich denken, wie er die Treppen hoch gelaufen ist von dem alten Haus, rein in dieses Zimmer, die erste Ausbeute von den langen Wanderungen draußen in den Wiesen und Wäldern unterm Arm. Wie er es vorsichtig hoch getragen hat, das mühevoll aufgesammelte Geräusch, zusammen mit der schweren Ausrüstung, den Kabeln, den Richtmikrofonen, den Aufnahmekästen. Und wie sich dieses Sammeln zur Leidenschaft auswuchs.

Tembrocks besonderes Forschungsgebiet waren die Rotfüchse. Aber dann hat er auch Vogelstimmen und Insektenlaute aufgezeichnet mit seinem Gerät. Sich stunden- und tagelang auf die Lauer gelegt, bis er den Ton im Kasten hatte. Sogar an seinem Geburtstag ist er losgezogen. 1965 hat er zum Beispiel in Jena den Buchfink gefunden. Ein leichtes Pfeifen. Und als es drauf war auf dem Band, zusammen mit dem „Zilp-Zalp“ und ein paar anderen Vögeln, ist Tembrock gleich zurück nach Berlin, die breite Treppe hoch ins Zimmer, eine Karteikarte ausgefüllt, das Tonband in eine braune Papiertüte gesteckt, sie beschriftet und ins Regal sortiert. So fing es an.

Über 30 Jahre lang hat Günter Tembrock dann in der DDR eines der größten Tierstimmenarchive der Welt aufgebaut. Und dass die Regale mit den Tonbändern im ersten Stock der Humbolt-Universität trotz Mauerfall, Wiedervereinigung und Nachwende-Rezession immer noch stehen, ist allein sein Verdienst. Es sollte abgewickelt werden, das Archiv. Er hat dafür gekämpft. Er hat Briefe geschrieben, hat sich mit der neuen Uni-Leitung gestritten, hat mit den geringen Unterhaltskosten argumentiert. Günter Tembrock hat sich durchgesetzt. Das Archiv durfte bleiben.

Inzwischen ist das natürlich ein Problem mit Tembrocks Tonbändern. Sie gehen kaputt über die Jahre. Karl-Heinz Frommolt, der inzwischen das Tierstimmenarchiv am Fachbereich Bioakustik der Humboldt-Universität leitet, ist ein kleiner, stiller Mann, 42 Jahre alt, und Frommolts vordringlichste Aufgabe ist es derzeit, dafür zu sorgen, dass die wertvollen Aufnahmen nicht verloren gehen. Dafür muss das Material digitalisiert werden. Das ganze Amselgezwitscher, Hundegebell, Heuschreckengezirpe. Ein Auftrag, der zu groß ist für einen Wissenschaftler allein und eine technische Hilfskraft. Man muss die Bestände genau anhören, auswerten, Nebengeräusche ausmachen, das Aussortierte in den Computer einspeisen, Datenbanken erstellen. Allein das Anhören jedes einzelnen Bandes würde viele Monate dauern. „Kaum zu schaffen ist das“, sagt Frommolt in seiner ruhigen Art. 1.000 Aufnahmen haben sie in eineinhalb Jahren digitalisiert, ein kleiner Bruchteil des Bestandes.

Was macht aber eine Stadt wie Berlin mit solchen Tondokumenten? „Wissenschaft“, antwortet Karl-Heinz Frommolt knapp. Spezialisten aus aller Welt nutzen das Berliner Archiv für Forschungszwecke, sie schätzen die einmalige Qualität und Größe des Bestands. Die Aufnahmen werden dabei vor allem zur Kommunikation mit anderen Tieren eingesetzt. Frommolt hat das selbst schon oft getan. Er ist nach Usbekistan gefahren und hat Wölfe beobachtet. Er hat den Tieren das Wolfsgeheul aus dem Berliner Archiv vorgespielt und konnte die echten Artgenossen damit anlocken. Nun muss man zugeben, dass das keine wirklich neue Methode ist. Alte Wolfsjäger kennen diesen Kniff schon lange. Da muss man nur nachlesen in der russischen Jagdliteratur des 19. Jahrhunderts. Die Jäger haben sich in den Wald gestellt, Wolfsgeheul imitiert und so ihre Beute geködert. „Aber trotzdem“, sagt Frommolt. „Die Tierforschung gewinn mit dieser Methode Erkenntnisse.“ – „Tiere halten sich anhand ihrer Stimmen auseinander.“ Das ist zum Beispiel so eine Erkenntnis, die Frommolt anführt. Auch wenn sie ein bisschen banal klingt. Aber tatsächlich ist es wenig, was die Wissenschaft bislang zur Kommunikation unter Tieren herausgefunden hat. Dabei Wunschist das doch der große Wunsch, der einem Tierstimmenarchiv anhängt. Dass es hilft, ein Übersetzungsprogramm zu finden für die Sprache der Insekten, Vögel und Wale. Und was sagt ein Hund, wenn er leise knurrt?

Karl-Heinz Fommolt lächelt. Es ist das nachsichtige Lächeln des Experten, der es besser weiß. In Wahrheit gibt es nur einen einzigen Fall, sagt er, in dem man exakt entschlüsseln kann, was das Tiergeräusch bedeutet: „Das ist bei der grünen Meerkatze.“ Diese Affenart stößt unterschiedliche Warnrufe aus. Bei einer Schlange klingen die Schreie anders, als wenn die Meerkatze ihre Artgenossen vor Luftfeinden warnt. Forscher können diese Laute eindeutig zuordnen. „Das ist der einzige Fall, wo eine Übersetzung funktioniert.“

Dafür weiß man mittlerweile andere Dinge. Zum Beispiel dass Vögel neue Töne lernen, Säugetiere nicht. Regelrechte regionale Dialekte können Vögel entwickeln. Die Goldammer zum Beispiel singt nördlich einer bestimmten geographischen Linie anders als ihre südlichen Artgenossen. Man kann nicht genau sagen, warum, das so ist. „Es hat etwas damit zu tun, dass die Vögel immer wieder zu ihren angestammten Nistplätzen zurückkehren“, meint Frommolt, „die Arten vermischen sich nicht richtig.“ Das könnte ein Grund für die Dialekte sein, Frommolt kann es nicht genau sagen. Aber er kann einem den Unterschied vorspielen mit seinem Archiv.

Deswegen ist es doch wirklich schön, dass es diese wunderbare Sammlung gibt. Dass man sich in einen unscheinbaren Raum der Berliner Humboldt-Universität stellen kann und den Goldammern zuhören und einem ein Mann wie Karl-Heinz Frommolt gegenübersitzt, der mit leuchtenden Augen erzählt, dass selbst die Fische nicht so stumm sind, wie man denkt. Frommolt meint nicht die Wale und die Delphine. Er meint die kleinen unscheinbaren Fische, die überall umherschwimmen. Auch sie machen Geräusch.

Was diese Laute bedeuten, kann er nicht sagen. Aber Frommolt ist Wissenschaftler genug, dass ihm die Ratlosigkeit in der Welt eher als Herausforderung denn als trostlose Angelegenheit begegnet: „Für mich sind mehr Fragen offen als geklärt“, sagt Fromolt bescheiden. Der Archivar bleibt auf seinem Stuhl sitzen. Er macht einen sehr glücklichen Eindruck.

Link: Gespräch mit Prof. Tembrock zum 80. Geburtstag

Quelle: taz Berlin lokal Nr. 7108 vom 19.7.2003, Seite 31.

Erklärung der Kölner Stifter

Die Abteilung „Nachlässe und Sammlungen“ des Historischen Archivs der Stadt Köln könnte aufgrund der aktuellen Haushaltssituation per Beschluss des Finanzausschusses gestrichen werden. Jürgen Becker, Hans Bender, Anne Dorn und Dieter Wellershoff richteten im Namen der Stifter folgende Erklärung an den Kölner Rat:

„Die Nachricht, dass im Rat der Stadt die Ablösung der Abteilung Sammlungen und Nachlässe im Historischen Archiv der Stadt Köln beschlossen werden soll, hat unter den Stiftern Bestürzung ausgelöst.
Es ist eine unfassbare Groteske angesichts der Absicht der Stadt, sich zur gleichen Zeit um den Titel Kulturhauptstadt Europas zu bewerben. Der entstehende Schaden ist nicht mehr zu revidieren.
Eine Stadt, die eine zweihundertjährige Dokumentation ihrer kulturellen Vergangenheit auflöst, verzichtet auf ihre kulturelle Identität. Mit dieser Maßnahme liquidiert die Stadt ihr Gedächtnis.
Außerdem verstößt diese Maßnahme gegen Treu und Glauben, da die Stifter ihre Archive für eine dauerhafte Präsenz und Nutzung übergeben haben.
Die geplante Auflösung des Archivs ist ohnehin blinder Aktionismus, mit dem man offensichtlich darüber hinwegsieht, dass die zu erwartenden Kosten die Einsparungen bei weitem überschreiten werden.
Die Öffentlichkeit kann nicht dulden, dass das kulturelle Ansehen der Stadt auf diese Weise vollends ruiniert wird.“

Link: http://www.stadt-koeln.de/kulturstadt/ !

Kontakt:
Historisches Archiv der Stadt Köln
Severinstr. 222-228
D-50676 Köln
Telefon: 0221-221-22329
Telefax: 0221-221-22480
E-mail: hastk@netcologne.de

Quelle: Kölner Stadtanzeiger, 19.7.2003.

Katastrophenvorsorge in Archiven

Vom 24. bis 26. Juni 2003 trafen sich rund 45 Archivarinnen und Archivare sowie Gäste aus dem Bibliotheks- und Museumsbereich in Markersbach/Sachsen zum Seminar „Katastrophenvorsorge in Archiven. Bestandsaufnahme“. Dabei handelte es sich um die jährlich von der Bundeskonferenz der Kommunalarchive (BKK) beim Deutschen Städtetag durchgeführte Fortbildungsveranstaltung, die traditionell vom Westfälischen Archivamt vorbereitet wird und an der sich angesichts der Flutkatastrophe vom August 2002 der Landesverband Sachsen im VdA und die Fachgruppe 2 des VdA -Verband deutscher Archivarinnen und Archivare beteiligt haben. Das Seminar diente dazu, den Stand der Katastrophenvorsorge in Archiven und die Anwendbarkeit vorliegender Katastrophenpläne zu ermitteln sowie wesentliche Punkte für realistische und aussagekräftige Handreichungen zusammenzutragen.

Raymond Plache, Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen im VdA, führte eine „Chronologie der Flut“ an, in der er neben der Schilderung der zur Flut führenden meteorologischen Umstände vor allem den Ablauf der Tage im August 2002 in Sachsen und den anderen betroffenen Regionen schilderte.
Die erste Arbeitssitzung stand ganz im Zeichen der Erfahrungsberichte einzelner Kolleginnen und Kollegen über die noch allgegenwärtige Hochwasserkatastrophe vom August 2002. Die Stadtarchivarin von Pirna, Angela Geyer, und die Mitarbeiterin des Stadtarchivs Grimma, Jaqueline Forner, informierten auch über eingeleitete Maßnahmen zur Rettung ihrer Archivalien und den derzeitigen Sachstand.

Veronique Töpel, Sächsisches Wirtschaftsarchiv Leipzig, informierte die Anwesenden über Hilfsangebote des Archivs und die Hochwasserschäden in sächsischen Wirtschaftsarchiven. Insbesondere ging sie anhand von Erfahrungsberichten aus den Unternehmen auf die Rettung von Hochwasser geschädigten Dokumentationsakten zum Gasleitungsnetz in der Stadtwerke Chemnitz GmbH und auf die Situation im Archiv der Sächsischen Zeitung ein.
Dr. Wolfgang Frühauf, Landesbeauftragter für Bestandserhaltung an der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden, referierte über die Flutschäden und die Fluthilfe in sächsischen Bibliotheken. Dr. Thomas Schuler rundete mit seinem Beitrag über die Schäden in sächsischen Museen und dem Hinweis auf die von ihm sozusagen druckfrisch erarbeitete Agenda-Liste zur Katastrophenvorsorge den Nachmittag ab.

Am zweiten Seminartag ging es u.a. um die Vorsorge für den Katastrophenfall. Dazu waren Referenten aus dem Bereich des Zivil- und Katastrophenschutzes eingeladen. Man ermunterte die Anwesenden, das Gespräch mit den zuständigen Behörden bzw. der örtlichen Feuerwehr selbst zu suchen, um die gegenseitigen Befindlichkeiten vor dem Eintritt eines Katastrophenfalls zu klären, auch um vorhandene Vorlaufzeiten besser zu nutzen. Die Bereitschaft der örtlichen Behörden zur Aufnahme der Archive in die Einsatzpläne ist vielfach vorhanden. Dass Archive dann tatsächlich darin ihren Platz erhalten, ist auch ein Ergebnis des persönlichen Engagements.

Arnd Weinhold vom Sächsischen Ministerium des Innern, Referat Katastrophenschutz, referierte über Rechtsvorschriften zum Katastrophenschutz und die Zuständigkeit von Bund, Ländern und Gemeinden im Katastrophenfall. Insbesondere informierte er über das Zivilschutzgesetz, über das Gesetz über den Katastrophenschutz im Freistaat Sachsen und über die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut von 1954. Besonders interessant für die Kolleginnen und Kollegen war der Hinweis auf §9 des Sächsischen Katastrophenschutzgesetzes, welcher die Mitwirkung der Gemeinden im Katastrophenschutz zwingend vorschreibt. Die Ausführungen Weinholds zeigten Wege auf, Archive in die Katastrophenpläne einzubeziehen, eine Forderung, die bereits seine Vorredner gestellt hatten.

Frau Dr. Andrea Wettmann, Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden widmete sich in ihrem Referat den Hochwasserschäden an Registraturen der Justiz und den Auswirkungen der Verluste auf die Geschichtsforschung. Von besonderem Interesse für die Kolleginnen und Kollegen war, das den ablieferungspflichtigen Stellen seitens des Sächsischen Hauptstaatsarchivs Dresden keine Genehmigung zur Kassation sämtlicher von der Flut beschädigter Unterlagen erteilt wurde, wie es die Verantwortlichen der Registraturbildner teilweise gefordert hatten, sondern das die Vernichtung einschließlich der Finanzierung in deren Zuständigkeit erfolgte.

Der dritte Seminartag diente dazu, vorhandene Musternotfallpläne und die aus dem Seminar gewonnen Erkenntnisse zu bündeln mit dem Ziel, eine praktikable Handreichung zu erarbeiten. An die Vorstellung des Musternotfallplanes für westfälische Kommunalarchive durch Rickmer Kießling vom Westfälischen Archivamt Münster schloß sich eine Gesprächsrunde zur Umsetzung der an den Seminartagen gewonnenen Erkenntnisse in einem künftigen Musternotfallplan an. Man verständigte sich, dies im kleineren Kreis weiter zu bearbeiten. Die Ergebnisse sollen bis zum Herbst zusammengefasst und später gemeinsam mit den Referaten veröffentlicht werden.

Quelle: Seminarbericht von Grit Richter-Laugwitz, Vorstand des Landesverbandes Sachsen

Vom Briefgewölbe zum Staatsarchiv Amberg

Hinter den Mauern des Staatsarchivs Amberg verbergen sich nicht nur Schätze für Historiker, sondern vor allem auch für Heimat- und Familienforscher. Aber auch für alle anderen Interessenten öffnen sich dort die Türen am Montag, 28. Juli, zur Ausstellung „Vom mittelalterlichen Briefgewölbe zum modernen Staatsarchiv“. Außerdem wird der neue Kurzführer vorgestellt, der ab Freitag, 25. Juli, auch im Internet unter www.gda.bayern.de zu lesen sein wird.

Anhand von Originaldokumenten erläutert die Ausstellung die wechselvolle Geschichte des Staatsarchivs, das aus dem Briefgewölbe des Amberger Viztumamts hervorgegangen ist. Dieses wurde bereits 1330 von den Pfalzgrafen bei Rhein errichtet.

Weiterhin erhalten die Besucher einen Überblick über Registratoren, Archivare und deren Arbeit. Ebenso werden die verschiedenen Archivgebäude der Stadt erläutert. So hingen die Pergamenturkunden seit dem Ende des 16. Jahrhunderts in Ledersäcken im Fuchssteiner Turm des Amberger Schlosses, um sie vor Mäusefraß zu schützen. Für die Neuzeit liegt der Schwerpunkt der Ausstellung auf dem wechselvollen Schicksal des Archivs im 19. Jahrhundert: Vom Registraturdepot zum modernen Staatsarchiv.

In dem Kurzführer werden unter anderen die notwendigen technischen Grundinformationen, ebenfalls eine kurze Geschichte des Archivs und die verschiedenen Bestandsakten aufgeführt: Insgesamt ruhen über 2,6 Millionen Archivalien in dem Gebäude. In die geschichtsträchtigen Urkunden, Amtsbücher, Akten, Karten und Pläne kann bis Freitag, 19. September, ein Einblick gewonnen werden.

Kontakt:
Staatsarchiv Amberg
Archivstr. 3
92224 Amberg
Tel. 09621/307270, Fax 09621/307288
E-Mail: poststelle@staam.bayern.de

Quelle: Oberpfalznetz, 18.7.2003