Schriften Wilhelm Heinrich Riehls

Am 25. Februar 1912 schreibt Elisabeth Riehl, Tochter des 1897 in München gestorbenen Kulturhistorikers, Soziologen und Schriftstellers Wilhelm Heinrich Riehl, an den Wiesbadener Bibliotheksdirektor Dr. Erich Liesegang: „Anbei übersende ich Ihnen die erwähnten Manuskripte meines Vaters und spreche Ihnen zugleich meine Freude darüber aus, dass dieselben in der Nassauischen Landesbibliothek aufgehoben werden können. Mein Vater hing mit so großer Liebe an seiner Heimat, dass diese Verfügung gewiss in seinem Sinn ist.“

Die zitierte väterliche Heimat waren das Herzogtum Nassau und die Stadt Biebrich am Rhein, wo Riehl 1823 als Sohn des herzoglichen Schlossverwalters Friedrich Wilhelm Riehl (1789-1839) zur Welt kam und seine Kindheit verbrachte. In einer Zeit, als die Rheingasse (heute Rheingaustraße) noch „eine enge doppelzeilige Dorfstraße war, deren Häuser dem Strom den Rücken zukehrten“. Mit dieser Erinnerung beginnt Riehls Novelle „Seines Vaters Sohn“.

Im benachbarten Wiesbaden besuchte Riehl nicht nur die Lateinschule. Anfang April des Revolutionsjahres 1848 übernahm er hier für zwei Jahre die Leitung von August Schellenbergs frisch gegründeter „Nassauischen Allgemeinen Zeitung“. Ab 1854 lebte Riehl in München, wurde Professor für Staatswissenschaft sowie Kulturgeschichte und Statistik, 1883 geadelt und 1885 Direktor des Bayerischen Nationalmuseums. Außer der (heutigen) Hessischen Landesbibliothek Wiesbaden besitzen auch das Deutsche Literaturarchiv in Marbach sowie die Universitätsbibliothek und das Stadtarchiv in München jeweils Teile des Nachlasses.

Brita Zimmermann, seit 30 Jahren Bibliothekarin in der Landesbibliothek und ein guter Geist des Lesesaals, öffnet den Tresor und entnimmt ihm den Kasten mit Riehl-Handschriften. Er enthält Manuskripte von Novellen, die in den Sammlungen „Geschichten aus alter Zeit“ (1863/64), „Am Feierabend“ (1880) und „Lebensrätsel“ (1888) erschienen sind. Außerdem literarische Porträts für die „Kulturgeschichtlichen Charakterköpfe aus der Erinnerung gezeichnet“ (1891), Vorworte und Vorträge. Letztere hat Riehl teilweise zu Essays überarbeitet und als „Freie Vorträge“ in zwei Bänden (1873/85) publiziert. Vortragstitel wie „Die Leiden der kleinen Minister“ oder „Der Dilettant auf dem Landtage“ verraten den geübten politischen Journalisten.

Dem „Geist der Öffentlichkeit“ und einem bereits damals verbreiteten allgemeinen Bildungsbedürfnis entsprechend, unternahm Riehl ab den 70er Jahren regelmäßig Vortragsreisen. Die Vorträge widmeten sich der Politik, Kunst und Kulturgeschichte. Als gelegentliche Flucht des Münchner Professors „aus der gemütlichen Häuslichkeit seines akademischen Hörsaals“ und wohl auch als faszinierend weitreichende Wirkungsmöglichkeit genoss Riehl seine Vortragstätigkeit durchaus. Er habe in vierzehn Jahren „112 verschiedene Themen in 462 Wandervorträgen behandelt und in 103 deutschen Städten vor mehr als 180.000 Zuhörern gesprochen“, resümierte er 1884 nicht ohne Stolz im Manuskript zum Vorwort des zweiten Bandes „Freie Vorträge“.

Der Wiesbadener Bestand enthält ebenso einen offenbar unvollständigen oder abgebrochenen, mit „Rheinlandschaft“ überschriebenen Text, „gesprochen im Verein für wissenschaftliche Vorträge zu Crefeld am 24. Oktober 1871“. Elisabeth Riehl bemerkt im Brief an Erich Liesegang, dass ihr Vater „seine Entwürfe meistens selbst vernichtete“ und leider nicht mehr viel „von seiner eigenen Hand“ existiere. „Was noch vorhanden war, ist in keiner Weise geordnet u. es ist mühsam etwas Zusammenhängendes herauszufinden.“

In der Sammlung „Kulturgeschichtliche Charakterköpfe“ erschien Riehls „Idylle eines Gymnasiasten“. Die in seiner Handschrift vorliegende Geschichte erinnert an die Nassauer Jugendzeit, die er in Weilburg/Lahn verlebte: „An der Spitze des Weilburger Gymnasiums stand 'zu meiner Zeit• der Oberschulrat und Direktor Friedrich Traugott Friedemann, eine höchst merkwürdige Erscheinung.“ Der Charakterkopf Friedemann (1793-1853) war später Archivdirektor in Idstein. Die Hessische Landesbibliothek bewahrt auch von ihm Manuskripte auf, sozusagen in idyllischer Nachbarschaft des einstigen Schülers.

Riehls volkskundlich-soziologische Untersuchungen und Theorien, die er in seiner „Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik“ (1851-1869) veröffentlichte, waren schon zu seinen Lebzeiten umstritten und blieben es bis heute.

Quelle: Wiesbadener Tagblatt, 12.09.2003

HH: Besser Rasenmäher als Kahlschlag

Wegen des Besucherandrangs musste vom nüchternen Sitzungszimmer in den repräsentativen Kaisersaal des Rathauses umgezogen werden: Dabei stand im Kulturausschuss der Bürgerschaft das eher nüchterne Thema Haushalt auf dem Programm. Doch ein Punkt des Etatplans 2004 sorgte für regen Besuch: Die von einer drastischen Sparankündigung der Kulturbehörde in ihrer Existenz bedrohten Geschichtswerkstätten hatten mobil gemacht.

Zur Erinnerung: Der Haushalt der Kulturbehörde wird im kommenden Jahr steigen, doch es gibt einen großen Verlierer: Die Zuwendungen von 539.000 Euro für die 14 Stadtteilarchive sollten komplett gestrichen werden. So hieß es Ende Juni. Erschreckt über lautstarke Proteste milderte die Behörde dies ab und kündigte im Juli 133.000 Euro für 2004 an, um zumindest Miet- und Betriebskosten der Stadtteilarchive zu sichern. Fehlen werden die Mittel für hauptamtliches Personal – was von den Betreibern als unabdingbare Voraussetzung dafür angesehen wird, das rege ehrenamtliche Engagement in diesem Bereich zu erhalten.

„Die Archive leisten Arbeit, auf die die Stadt nicht verzichten kann“, sagte Holger Christier (SPD). Darin waren sich alle fünf Fraktionen im Kulturausschuss einig. Damit endete die Gemeinsamkeit auch schon. Die Vertreter der Koalition wollen am Sparplan der Behörde festhalten, während Ausschussvorsitzender Willfried Maier (GAL) fordert, dass nach dem Rasenmäherprinzip gekürzt werden sollte: Die vergleichsweise geringe Einsparung von gut 300 000 Euro könnte besser von mehreren Institutionen geleistet werden, als eine einzige in ihrem Bestand zu gefährden. Dem wollte sich Karl-Heinz Ehlers (CDU) nicht anschließen: Er forderte konkrete Sparvorschläge von Maier und den Mut, dann „das Quieken der Betroffenen“ auszuhalten.

Kultursenatorin Dana Horáková, die gestern mit großem Spezialisten-Gefolge zum Ausschuss gekommen war, setzt auf Gespräche. Ihre Hoffnung: Synergien, Kooperationen, Sponsoren, noch mehr Ehrenamt. Die Opposition bezweifelte ihren guten Willen: Der zunächst geplante totale Kahlschlag sei offensichtlich eine politische Entscheidung gewesen. Nach der heftigen öffentlichen Kritik habe die Senatorin ein bisschen zurückgerudert. Dabei sollte sie jetzt nicht Halt machen. Maier hofft noch auf eine gemeinsame Empfehlung des Ausschusses. Die Schlussabstimmung der Bürgerschaft über den Haushalt 2004 findet am 17. Dezember statt.

Quelle: Hamburger Abendblatt, 12.9.2003

Denkmale der Tonkunst

Das Schaffen des Rudolstädter Komponisten Georg Gebel hat in der jüngeren Vergangenheit sowohl von der Musikwissenschaft wie der Musikpraxis verstärktes Interesse erfahren. Die Wiederentdeckungen der „Johannes-Passion“ sowie des Weihnachts- und Neujahrsoratoriums seien stellvertretend genannt. Erstere ist in einer inzwischen viel beachteten Einspielung auf CD erschienen, auch die beiden Oratorien werden in Kürze auf dem Tonträgermarkt erhältlich sein.

Das Thüringische Staatsarchiv Rudolstadt, das sämtliche kirchenmusikalische Kompositionen Gebels verwahrt – u.a. 144 Kantaten – und vor kurzem ein deatilliertes Verzeichnis derselben publiziert hat (Frankfurt: Peter-Lang-Verlag 2003), möchte aus Anlass des 250. Todestages auf diesen Komponisten und seine Denkmale der Tonkunst aufmerksam machen.

Der Musikwissenschaftler Dr. Axel Schröter, der im Rahmen eines Erschließungsprojektes des Musikalienbestandes der Hofkapelle Rudolstadt auch die Verzeichnung der Gebelschen Kompositionen vorgenommen hat, wird am „Tag des offenen Denkmals“ einen Vortrag mit praktischen Demonstrationen halten, der über Leben und Schaffen Gebels hinaus auch die technische Erschließung seiner Werke thematisieren wird. Die Werke Gebels bilden den umfangreichsten Autographenbestand, der sich unter den etwa 110 Regalmetern Musikalien des Staatsarchivs Rudolstadt befindet. Sie gehören zugleich auch zu den ältesten dort erhaltenen musikalischen Quellen. Denn dem Schlossbrand von 1735 fiel nahezu die gesamte bis dahin angelegte Musikaliensammlung, über die heute nur noch Inventarisierungslisten Aufschluss geben, den Flammen zum Opfer.

Zu einem Vortrag zum Thema „Denkmale der Tonkunst: Die Kantaten des Rudolstädter Komponisten Georg Gebel (1709-1753)“ mit Musikbeispielen von Dr. Axel Schröter (Weimar/Rudolstadt) wird am Sonntag, 14. September, um 17 Uhr, Porzellangalerie Schloss Heidecksburg eingeladen.

Quelle: OTZ Rudolstadt, 11.9.2003

Fundgrube Ernestinum-Archiv

Celles älteste Schule, das Ernestinum, feiert in diesem Jahr ihren 675. Geburtstag. Pünktlich zum Schuljubiläum ist ein Buch erschienen mit dem Titel „Der deutsche Abituraufsatz am Gymnasium Ernestinum Celle als Spiegel nationaler Geschichte 1830–1970”.

Der Celler Historiker Mijndert Bertram, der die Einführung zu diesem Buch geschrieben hat, hält die Veröffentlichung für eine in Deutschland bislang einzigartige Pionierarbeit, die auf überregionale Aufmerksamkeit stoßen werde. Ihre Besonderheit liege in der Vollständigkeit und im Längsschnitt, der einen Zeitraum von 140 Jahren umfasst.

Über die Jahre hinweg sind im Archiv des Ernestinums http://www.ernestinum-celle.de/ alle Abiturarbeiten aufbewahrt worden, die seit dem ersten staatlich abgenommenen Abitur im Jahr 1830 am ältesten Gymnasium der Stadt geschrieben worden sind. In dieser Schatzkammer im Keller des jetzigen Schulgebäudes machten sich der Archivar Gunter Thies und die Geschichtslehrerin Elke Haas auf die Suche nach allen vorhandenen Abiturthemen für den Deutschen Aufsatz bis zum Jahr 1970. Die Schüler eines Geschichts-Leistungskurses und die Referendarin Jessica Schirmer arbeiteten mit, indem sie jede Menge Abituraufsätze studierten, ältere Arbeiten, die noch in deutscher Schrift geschrieben worden sind, transkribierten und teilweise auch kommentierten.

Eine Auswahl dieser ausgearbeiteten Aufsätze sind im zweiten Teil des Buches abgedruckt. Sie stammen aus den historisch bedeutenden Abschnitten deutscher Geschichte, und zwar aus den Jahren 1830, 1848, 1872, 1917, 1941, 1943, 1950 und 1970 und geben ein beeindruckendes Zeugnis von den Wertvorstellungen, Erziehungsidealen und Problemen der jeweiligen Zeit und der Nation.

Quelle: Cellesche Zeitung, 9.9.2003

Jacobowski-Kostbarkeiten kamen in die Landesbibliothek

Mit Dr. Wolfgang Podehl, dem stellvertretenden Direktor und Nachlass-Experten der Hessischen Landesbibliothek Wiesbaden (HLB), geht es per Fahrstuhl hinauf ins Magazin. Hinter verschlossener Gittertür lagern Kostbarkeiten des Hauses: Inkunabeln, Rara, Handschriften und Autographen. In die beiden letztgenannten Kategorien gehört der bemerkenswerte Nachlass von Ludwig Jacobowski, einem heute kaum noch bekannten Autor aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.

Seine Produktivität scheint unerschöpflich gewesen zu sein. Jacobowski verfasste Gedichte, Erzählungen, Romane, Dramen, Essays und Kritiken, war Herausgeber, Redakteur und Literaturförderer, verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Mitarbeiter des „Vereins zur Abwehr des Antisemitismus“ und starb 1900 im Alter von nur 32 Jahren in Berlin. Dort hatte er 1899 den aus Künstlern, Schriftstellern, jungen Dichtern, Wissenschaftlern und Boheme bunt gemischten Klub „Die Kommenden“ gegründet, zu dessen Besuchern der blutjunge Stefan Zweig und die unstete Else Lasker-Schüler zählten.

Briefe der Brüder Mann

Im März 1891 schrieb aus Dresden der 20-jährige Buchhandelslehrling Heinrich Mann an Jacobowski: „Ich bin der kühnen Hoffnung, Ihnen nicht ganz unbekannt zu sein“, und schickte für eine geplante „antinaturalistische“ Anthologie mehrere Gedichte. Sein Bruder Thomas Mann, 1899 Redakteur des Münchner „Simplicissimus“, erbat von Jacobowski den Korrekturabzug seiner frühen Novelle „Luischen“. Sie erschien in der von Jacobowski herausgegebenen Halbmonatsschrift für Literatur, Kunst und Sozialpolitik „Die Gesellschaft“. René Maria Rilke, der seinen ersten Vornamen später gegen Rainer austauschte, widmete Jacobowski 1896 in „aufrichtiger, dankbarer Ergebenheit und Wertschätzung“ ein enthusiastisches Gedicht und Altmeister Wilhelm Raabe antwortete 1898 auf das freundliche Interesse des jüngeren Dichters an seinem Lebenswerk.

Zahlreiche Künstler

Mit den Autographen der Genannten sowie zahlreicher anderer, einst oder heute noch prominenter Autoren und Künstler wartet der Jacobowski-Nachlass in der Landesbibliothek auf. Man staunt über die Absender, auch wenn einem nicht bei jedem sofort etwas einfällt:

Detlev von Liliencron, Richard Dehmel, Arno Holz, Karl Kraus, Alfred Kerr, Frank Wedekind, Christian Morgenstern, Otto Julius Bierbaum, der Komponist Hans Pfitzner, der wie Alban Berg und Max Reger Gedichte Jacobowskis vertonte, und Rudolf Steiner, der Antroposoph und enge Freund des Dichters.

Aber auch romantisch-poetisierende junge Damen wandten sich, von ihrem Talent überzeugt, an Jacobowski. So etwa eine 21-Jährige aus Kassel, die sich „Amara Ambrosia“ nannte und für „ein natürlich entsprechend hohes Honorar“ den Abdruck ihres Maigedichtes in Jacobowskis Zeitschrift „gütigst“ gestatten würde. Insgesamt etwa 2300 Nummern umfasst die akribisch geführte Bestandskartei des Nachlasses. Außer den vielen Briefen, die Jacobowski vor allem in seiner Eigenschaft als Herausgeber empfing, enthält er von ihm aufbewahrte Manuskripte, Tagebücher, persönliche Dokumente und Zeitungsausschnitte.

Gegen Antisemitismus

Ludwig Jacobowski war Vertreter einer jungen jüdischen deutschen Intelligenz, die sich um die Wende des 19. Jahrhunderts gegen Antisemitismus und für Assimilation einsetzte. 1868 in Strelno/Posen geboren, übersiedelte er sechsjährig mit seinen Eltern nach Berlin, wo er lebte, arbeitete und starb. Auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee liegt er begraben. Wie kommt sein Nachlass nach Wiesbaden? Ungefähr Anfang der 1970er Jahre wurde die Sammlung durch Vermittlung des in New York lebenden Jacobowski-Biografen Fred B. Stern erworben. Stern hatte sie zwischen 1967 und 1969 nach jahrelangen Forschungen ausfindig gemacht. Unter dem Titel „Auftakt zur Literatur des 20. Jahrhunderts“ gab er 1974 einen Teil der im Nachlass enthaltenen Briefe, Karten und Mitteilungen als Veröffentlichung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt heraus.

In seiner Vorbemerkung zu dieser zweibändigen, kommentierten Ausgabe erwähnt Stern die Hessische Landesbibliothek und ihren langjährigen, ehemaligen Direktor Franz Götting. „Herrn Dr. Götting ist es zu verdanken, dass die Bibliothek die Sammlung erworben und mir Asyl und Bearbeitungsrecht eingeräumt hat.“

Kontakt:
Hessische Landesbibliothek Wiesbaden
Rheinstrasse 55/57
65185 Wiesbaden
Leiterin: Dr. Marianne Dörr
Telefon: 0611/ 334 – 2670
Telefax: 0611/ 334 – 2694
http://www.hlb-wiesbaden.de/

Quelle: Wiesbadener Tagblatt, 10.9.2003

Friedrich von Bodenstedt

Spaziert man rechter Hand vom Kriegerdenkmal ins Nerotal, lässt Bismarck mit Pickelhaube und Schwert links des Schwarzbachs liegen und nähert sich der Nerotalquelle, entdeckt man wenige Schritte vom Weg, halb im Grün versteckt, einen verwitterten marmornen Stein mit antikisierendem Relief. Es ist das 1953 hier aufgestellte, eher bescheiden und verlassen wirkende Denkmal für den 1892 in Wiesbaden gestorbenen, auf dem nahen Nordfriedhof begrabenen Dichter Friedrich von Bodenstedt.

Gedichtzyklus

Im Jahre 1851 war sein auf Goethes Spuren wandelnder und heute fast vergessener „orientalischer“ Gedichtzyklus „Die Lieder des Mirza Schaffy“ erschienen. Er hatte dem 1819 im hannoverschen Peine geborenen Schriftsteller und Übersetzer weit über die deutschen Landesgrenzen hinaus Ruhm und Erfolg eingebracht. Bodenstedts erstes Wiesbadener Denkmal, eine 1894 vom Berliner Bildhauer Robert Bärwald geschaffene Bronzebüste auf Marmorsockel, stand am entgegengesetzten Ende der Taunusstraße in der Anlage hinter der Kurhauskolonnade. Sie wurde 1942 „wegen Metallmangels“ eingezogen.

Gegen Ende seines rastlosen Lebens ließ sich Bodenstedt 1877 oder 1878 – je nach Literaturlexikon – in Wiesbaden nieder. Am 30. April 1879 jedenfalls versah er einen heute in der Hessischen Landesbibliothek befindlichen „Brief an Unbekannt“ mit dem Absender „Wiesbaden, Taunusstraße 41“. Splitter oder Teile seiner nachgelassenen Handschriften werden außer in Wiesbaden auch in der Berliner Staatsbibliothek aufbewahrt.

Rund 90 Exponate

In Berlin, wo Bodenstedt zeitweilig tätig war und zahlreiche seiner Werke verlegt wurden, existiert eine umfangreiche Sammlung von Manuskripten. Zum Wiesbadener Bestand gehören rund 90 Nummern. Darunter 65 von Bodenstedt geschriebene Briefe aus den Jahren 1847 bis 1892, oft ohne namentliche Anrede oder Hinweis auf den Empfänger, sowie literarische Manuskripte. Beispielsweise 14 Blatt einer zwischen 1867 und 1875 in Meiningen entstandenen autobiografischen Skizze „Im Vaterhause“. Unter dem Titel „In der Heimat“ fand sie später Verwendung im ersten Band der „Erinnerungen aus meinem Leben“ (Berlin 1888-1890). Ein interessantes Zeitdokument, lebendig und lesenswert wie Bodenstedts Reisebeschreibungen.

„Das Beste von Allem“

Ganz im Gegensatz etwa zu den Romanen, Erzählungen oder gar Dramen, die schon kurz nach seinem Tod als unbedeutend und „ohne hervorstechende Eigenart“ galten. Auch wenn der Autor selbst am 21. September 1855 stolz erklärte, seine Tragödie „Demetrius“ in fünf Akten sei „das Beste von Allem“, was „ich überhaupt je geschrieben“.

In der Literaturwissenschaft bis heute unbestritten sind seine Verdienste als Übersetzer russischer Autoren, vor allem Alexander Puschkins, Michael Lermontows und Iwan Turgenjews. Ein Brief an Turgenjew befindet sich ebenfalls in Wiesbaden. Außerdem mehrere fein mit Feder und Tinte geschriebene Zwei- oder Vierzeiler, die Bodenstedt „ja offenbar in großer Anzahl produziert und verschenkt“ habe, wie 1962 Bibliotheksdirektor Dr. Franz Götting (1905-1973) einem Antiquar mitteilte, der ihm Autographen zur Begutachtung geschickt hatte.

Vor allem in den 1970er Jahren, so erinnert sich Dr. Wolfgang Podehl als freundlich-hilfsbereiter Spezialist für die Handschriften und Nachlässe, seien in größerem Umfang Bodenstedt-Autographen angekauft worden. In einem der Umschläge steckt neben Handschriften ein Kuriosum:

Noble Speisekarte

Die noble, goldumrahmte Speisekarte des Hotels oder Restaurants „Palugyay“ aus dem damals ungarischen Pressburg (heute Bratislava) vom 28. Januar 1878 mit kulinarischen Anspielungen auf Bodenstedts Werk: Croquettes aus „kleinen Liebesliedern“, Kalbsfricandeau garniert in „Schira's Fluren“, Salade „á la Puschkin und Lermontoff“ und Compots als Reminiscenzen an „Tausend und ein Tag im Orient“.

Erste Stücke aus dem Nachlass stammen möglicherweise von Bodenstedts Tochter Mathilde (um 1856-1941). In einem Brief bietet sie nach dem Tod ihrer Mutter 1902 einem „Herrn Doctor“ Autographen ihres Vaters an. Der anonyme Adressat könnte Dr. Erich Liesegang (1860-1931) gewesen sein, seit 1898 Leiter der Wiesbadener Bibliothek.

Aufgeschlossener Geist

Bodenstedt war ein unruhiger, allem Neuen aufgeschlossener Geist. Ein „anregender, viel sprechender Mann u. mir sehr sympathisch“, urteilte 1888 der im Wiesbadener Park-Hotel an der Wilhelmstraße logierende Berliner Ägyptologe und Schriftsteller Georg Ebers und freute sich dessen häufiger Besuche.

Quelle: Wiesbadener Tagblatt, 11.9.2003

StA Villingen erhält Gustav Walzers Nachlass

Manche älteren Villinger erinnern sich noch an Gustav Walzer (1899-1966), der in der Zähringerstadt aufgewachsen ist und sich einen Namen als Heimatforscher gemacht hat. Seine Witwe vermachte jetzt der Stadt das archivarische Vermächtnis des Verstorbenen. „Dieser Nachlass ist unersetzbar und einmalig für die Villinger Personengeschichte vor 1800“, urteilte Stadtarchivar Heinrich Maulhardt. 
 
Am 9.9. übereignete Gustav Walzers Witwe Clara (95) und die Tochter Brigitte im Stadtarchiv Villingen das Material mit ihrer Unterschrift an die Stadt. Bei der Schenkung handelt es sich um den heimat- und familiengeschichtlichen Nachlass Gustav Walzers: insgesamt 7,5 Meter Dokumente und neun laufende Meter Bibliotheksgut. Heinrich Maulhardt und seine Mitarbeiterin Ute Schulze nutzten den Anlass, um die stadtgeschichtlichen Schätze der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Den Großteil seines Berufslebens hat Gustav Walzer an der Handelsschule in Neustadt im Schwarzwald verbracht. Dort war er während des Zweiten Weltkrieges und erneut ab 1951 Lehrer an der Handelsschule. Seine Freizeit aber hatte der Oberstudienrat der Wissenschaft verschrieben. Ob Pfarrhäuser, Friedhöfe oder Amtsstuben, ständig war der leidenschaftliche Heimatforscher auf der Suche und bei der Auswertung alter Geschichtsurkunden und -quellen. „Er war mehr im Archiv als zu Hause“, erinnert sich seine Tochter Brigitte nicht ohne Bedauern. Was der Familie abging, kam der Geschichtsforschung zu Gute. Ganz besonders der Villinger Stadtgeschichte. In den 50-er Jahren begann Walzer auf der Basis eines Werksvertrags damit, die einzigartigen Villinger Bürgerbücher herauszugeben. Außerdem hat er auf nicht weniger als 15000 Karteikarten die Personen des Villinger Stadtarchivs nachgewiesen. Für die Personen- und Ahnenforschung in Villingen, so verdeutlichte gestern der Stadtarchivar, ist diese Fleißarbeit von unschätzbarem Wert.

Walzer muss ein fast besessener Forscher und Sammler gewesen sein. Wie seine Tochter gestern berichtete, stand ihr Vater in den Sommerferien jeden Morgen um 5 Uhr auf und fuhr mit dem ersten Zug ins fürstenbergische Archiv nach Donaueschingen. Oder eben nach Villingen. Seine heimatgeschichtlichen Studien fanden indes 1966 ein jähes Ende. Er erlag, kaum pensioniert, einer Lungenembolie. Beerdigt wurde er dort, wo er sich eigentlich zu Hause fühlte: in Villingen.

Nach dem Tod versicherte der Villinger Oberbürgermeister Severin Kern der Witwe, dass die Stadt das unvollendete Werk Gustav Walzers, die Edition der Bürgerbücher, zu Ende führen und seinen Namen in Ehren halten werde. Auch dieser Brief ist Bestandteil des Nachlasses. Die Stadt hat sich übrigens an Kerns Versprechen gehalten, auch wenn bis zur Einlösung rund 35 Jahre ins Land gehen sollten. Vor zwei Jahren hat das Stadtarchiv die Bürgerbücher, die von Walzer bereits zur Hälfte aufgearbeitet waren, gemeinsam mit dem Historiker Andreas Nutz in Druckform herausgegeben. In den Bürgerbüchern sind sämtliche Personen verzeichnet, die vom Mittelalter bis zum Jahre 1800 in die Villinger Bürgerschaft neu aufgenommen wurden.

Eigentlich, so erzählte gestern seine Tochter Brigitte, sollte Gustav Walzer nach dem Wunsch der Eltern Pfarrer werden und genoss somit eine höhere Schulbildung. Doch zum Priester fühlte er sich nicht berufen. Er studierte Germanistik, Volkswirtschaft und Geschichte und Altphilologie und war in den Fremdsprachen Französisch, Englisch, Latein, Griechisch und Hebräisch zu Hause.

„Doktor Käfer“

Als Mann umfassender humanistischer Bildung war er vielseitig interessiert und gestaltete auch seine Wanderführungen beim Schwarzwaldverein Neustadt zu heimatgeschichtlichen Exkursionen aus. Nebenbei sammelte er alles mögliche, von Briefmarken bis Insekten. Für seine umfassende Käfersammlung war er bei seinen Nichten und Neffen als „Doktor Käfer“ bekannt, wie seine Tochter gestern zum Besten gab. Diese Sammlung, so berichtete sie, hätten ihm leider die Franzosen während der Besatzungszeit abgenommen.

Einige seiner historischen Sammlungsstücke, etwa Lebensmittelkarten aus dem Ersten Weltkrieg, finden jetzt Eingang in das Stadtarchiv. Heinrich Maulhardt zählt Walzer neben Josef Honold und dem Arzt Nepomuk Hässler zu den drei maßgeblichen Villinger Heimatforschern der 50-er und 60-er Jahre. „Das Stadtarchiv kann sich glücklich schätzen, diesen Nachlass zu haben“, unterstrich er gestern.

Kontakt:
Stadtarchiv Villingen-Schwenningen
Amt für Kultur, Abteilung Stadtarchiv und Museen
Lantwattenstraße 4
78050 Villingen-Schwenningen
Telefon 07721 / 82-2383
Telefax 07721 / 82-2387
stadtarchiv@villingen-schwenningen.de
 
Quelle: Südkurier, 10.9.2003

Syke 1929 bis 1949

Am 27. Oktober kommt erstmals die Syker Geschichts- und Schreibwerkstatt zusammen, die in verschiedenen „Zeitfenstern“ Syke in den Jahren 1929 bis 1949 untersuchen will. Montagabend fand hierzu im Stadtarchiv ein vorbereitendes Treffen statt. Gelegenheit, mögliche Themenfelder abzustecken. Gelegenheit aber auch, um Grundsätzliches zu klären: Wie zum Beispiel soll mit den Namen ehemaliger NS-Größen umgegangen werden, deren Familien heute noch in Syke leben?
FDP-Ratsfrau Edda Frerker, eine von einem guten Dutzend Bürgern/innen, die bislang an der Geschichtswerkstatt teilnehmen wollen, meldete Bedenken an: „Ist eine Namensnennung wirklich notwendig?“

Für Sykes Stadtarchivar, den Historiker Hermann Greve, der das Zeitfenster-Projekt leitet, kein wirkliches Problem: Um die Namensnennung bekannter Nazi-Größen, die Personen des öffentlichen Lebens in Syke waren, führe kein Weg vorbei. „Die sind ohnehin bekannt, die können wir ruhig nennen.“
Andererseits gehe es nicht an, Namen auf einzelne Aussagen oder bloße Beschuldigungen hin zu nennen. „Letztlich kommt es auf unsere Sensibilität an, wie wir mit Namen umgehen.“
Grundsätzlich gehe es bei dem Projekt aber nicht um einzelne Menschen, betonte Greve. „Es geht primär um Ereignisse, um Verhandlungsabläufe.“ Fast 60 Jahre nach Ende des Nazi-Regimes Anklageschriften verfassen zu wollen, sei absurd. „Es geht um die Kunst des Verstehens und des Erkennens“, formuliert Greve die generelle Zielvorgabe der Geschichts- und Schreibwerkstatt.
Die historische Recherche soll in einer Veröffentlichung münden, in der die einzelnen Ergebnisse zu dem jeweiligen Zeitfenster präsentiert werden. Angedacht sind drei solcher Fenster: Von 1929, dem Jahr, in dem die Syker NSDAP-Ortsgruppe gegründet wurde, bis 1933, dann von 1933 bis 1945, schließlich vom Kriegsende 1945 bis zur Gründung von Bundesrepublik und DDR 1949. Für das erste Zeitfenster setzt Greve etwa zweieinhalb Jahre Arbeit an.

Wie diese Arbeit konkret aussieht, bleibt den Teilnehmern selbst überlassen. „Das ist eine reine Neigungsveranstaltung“, betont Greve. Ob persönliche Erlebnisse zu Papier gebracht, Interviews geführt, Zeitungen oder Archive ausgewertet werden – alles ist möglich, alles ist erlaubt. „Und es muss auch nicht jeder am Ende ein eigenes Kapitel schreiben“, stellt Greve klar. Roter Faden der gemeinsamen Arbeit ist allein, durch ein jeweils fest umrissenen Zeitfenster auf Sykes Geschichte zu blicken.

Für das nötige Handwerkszeug im Umgang mit historischen Quellen aller Art wird Hermann Greve je nach Bedarf in den ersten Treffen des Projektes sorgen. Auf Wunsch der Teilnehmer hat er auch eine Liste möglicher Themen für die Zeit von 1929 bis 1933 erstellt, von der Krise in Landwirtschaft und Kleingewerbe in der Weimarer Republik und der Arbeitslosigkeit auf dem Lande, über den Behördenstandort Syke bis hin zu Großkundgebungen der NSDAP und Wahlen in Syke.
Wobei Greve eines besonders am Herzen liegt: „Wir schreiben keine wissenschaftliche Arbeit für die Schublade. Das soll ein spannend zu lesender Band werden.“

Kontakt:
Stadtarchiv Syke
Nienburger Straße 5
D-28857 Syke
Postfach 1365
D-28847 Syke
Tel: +49 (4242) 4204

Quelle: Syker Kurier (WK), 11.9.2003

Lorenz Okens Nachlass ist geordnet

Offenburg kümmert sich um das Erbe eines der großen Söhne der Stadt. Horst Neuper, Historiker aus Jena, hat im Auftrag der Kulturstiftung Offenburg den Freiburger Nachlass von Lorenz Oken aufgearbeitet. Der Wissenschaft steht damit neues Material für die Erforschung des Lebenswerks des aus Bohlsbach stammenden Naturphilosophen, Naturwissenschaftlers und führenden Kopfs im deutschen Vormärz zur Verfügung.

Was die Traditionen des Vormärz und der 48er-Revolution angeht, verfolgt die Stadt Offenburg eine Doppelstrategie, die man mit Feiern und Forschen beschreiben könnte. Im Oken-Jahr 2001 feierte Bohlsbach ein rauschendes Fest in Erinnerung an Oken. Gleichzeitig vergab die Kulturstiftung den Auftrag an Horst Neuper, den handschriftlichen Nachlass Okens, Briefe und Schriften, die mehr oder weniger unverzeichnet in der Freiburger Unibibliothek lagen, zu ordnen. „Das war eine Kärrnerarbeit“, würdigte OB Edith Schreiner seine Arbeit, die nun in drei Exemplaren – eines in der Uni Freiburg, eines in der Uni Jena und eines im Offenburger Stadtarchiv – vorliegt. Worin die besondere Schwierigkeit der Aufarbeitung lag erläutert Kulturchefin Susanne Asche: „Oken war Mediziner und Sie wissen, wie Mediziner schreiben“. 

Quelle: Badische Zeitung, 11.9.2003

Mord an Stralsunder Bürgermeister war Racheakt

Stralsund. Wir schreiben den 1. November 1409. Nebelschwaden ziehen über den Kirchhof von Bergen. Im schwachen Licht erkennt man eine Gestalt in Kaufmannskleidern. Es ist der Stralsunder Bürgermeister Wulf Wulflam, der etwas zu suchen scheint. Eine zweite Gestalt nähert sich leise von hinten mit einem Stock in den Händen. Wulflam dreht sich ruckartig um, doch es ist zu spät. Einige schwere Schläge führen das Ende des Bürgermeisters herbei. – Diese Version von Wulf Wulflams Tod ist natürlich rein fiktiver Natur. Nur die Tat selbst konnte bis heute wissenschaftlich bewiesen werden. Doch was war nun der Grund für den Mord und wer die zweite Person auf dem Kirchhof?

Wulf Wulflam stand seinem Vater, dem berühmten Stralsunder Bürgermeister Bertram Wulflam, in nichts nach. Ab 1397 zum Bürgermeister gewählt, war Wulf nicht nur der erste Mann in Stralsund, sondern neben dem Lübecker Bürgermeister Heinrich Westhoff auch einer der fähigsten Köpfe der Hanse. Bei einer Vielzahl der wichtigsten Verhandlungen dieser Zeit vertrat er die Interessen Stralsunds und wohl auch seine eigenen. Wie sein Vater, war auch er besonders für die große Politik befähigt, verkehrte mit Königen, Königinnen und Fürsten aller Art und verstand sich mit dem pommerschen Herzogshaus aufs Beste. Bereits 1391 ernannte man ihn zum herzoglichen Rat.

Zu seinen Besitztümern auf Rügen gehörten das Dorf Grabow auf Zudar, das Dorf Bessin bei Altefähr und der Hof Luppath bei Poseritz. Auf dem Hof Luppath oblag ihm nicht nur die niedere Gerichtsbarkeit, er konnte ab 1403 auch über Leben und Tod seiner Untertanen entscheiden. Doch diese Macht und Herrlichkeit sollte bald ein Ende finden.

Unter den guten Freunden, die Wulf vielfach unter dem Adel der Umgegend hatte, befand sich auch der einflussreiche rügensche adlige Starke Suhm. Doch aus Freundschaft wurde bald bittere Feindschaft, die im Tod endete. Am Tag vor Fastnacht, dem 2. März 1405, wurde Starke Suhm, als er mit seinem Sohn Thorkel von Stralsund nach Rügen über die alte Fähre übersetzen wollte, von Mitfahrenden überfallen und ermordet. Sein Sohn verdankte seine Rettung nur dem Fährmann, der durch einen falschen Eid beteuerte, dass dies nicht der Sohn des Starke Suhm sei. Schnell waren sich die Getreuen des adligen Suhm einig, dass Wulf Wulflam den Mord in Auftrag gegeben hatte. Welche Gründe für die Eskalierung der Gewalt zwischen den Familien maßgebend waren, liegt noch im Dunkeln. Als man den Leichnam vor das Bürgermeisterhaus legte, soll dieser aus dem Saal gerufen haben: „Schafft mir das Beest fort!“

Am 1. November 1409 bot sich auf dem Kirchhof zu Bergen endlich die Gelegenheit für Thorkel Suhm, seinen Vater zu rächen und einen der mächtigsten Bürgermeister Stralsunds und wichtigsten Männer der Hanse zu töten. Als die Kunde von Wulfs Tod nach Stralsund drang, setzte sofort die wehrhafte Bürgerschaft nach Rügen über, um ihren Bürgermeister zu rächen. Der Täter war natürlich schon entflohen, und so begnügten sich die Stralsunder damit, seinen Hof in Kaiseritz zu plündern und zu verwüsten. Eine lange Fehde zwischen dem Geschlecht der Suhms und Stralsund begann. Erst am 21. Juni 1414 griff Herzog Wartislaw VIII. ein. In einer im Stadtarchiv Stralsund aufbewahrten Urkunde legte er fest, dass die Suhms 1800 Mark Sundisch als Entschädigung bekommen, dafür aber die Hand Wulf Wulflams, das Symbol des Verbrechens, feierlich mit 200 Rittern und Knappen sowie 200 Frauen und Jungfrauen in der St. Nikolaikirche zu Grabe tragen sollten.

Kontakt:
Hansestadt Stralsund,
Stadtarchiv,
Am Johanniskloster 35,
18439 Stralsund 
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Quelle: Ostseezeitung, 10.9.2003