Wenn ein Museum seine Archive öffnet, so zieht dies meist eine Rechtfertigung nach sich: Warum hängt nicht dieses oder jenes Bild in der ständigen Ausstellung? Wie ist die Auswahl der Werke begründet? Auch Museumsdirekter Dr. Jürgen Wittstock stellte sich diese Fragen am Sonntagmorgen bei der Archiv-Ausstellung in den oberen Räumen des Marburger Universitätsmuseums.
Er nahm sie zum Anlass, so etwas wie ein persönliches Resümee seiner Arbeit am Museum zu ziehen, die mit der Fertigstellung und Bestückung des geplanten Anbaus wohl ihren Höhepunkt erreichen wird. Wittstock sprach von seinem Amtsantritt vor 17 Jahren und sieht sich seitdem der Ausrichtung des Museums auf die Moderne verpflichtet, ohne dabei die Traditionen zu vernachlässigen.
Und so liegt denn auch der Schwerpunkt der Archiv-Ausstellung auf Werken des 20. Jahrhunderts, ja eigentlich nur auf solchen der letzten zwanzig Jahre.
In einem chronologischen Rundgang lässt sich so manche Entdeckung erschließen, die ansonsten in den Kellern des Museums verborgen ist: Angefangen bei einer kleinen Sammlung von Werken des Kasseler Malers Johann Heinrich Tischbein aus dem 18. Jahrhundert oder den populären Grottengemälden von Georg Heinrich Hergenröder, über mystische und grandios-verspielte Landschaftsbilder des 19. Jahrhunderts bis hin zu Arbeiten von Raimer Jochims, Clemens Mitscher oder Burgi Scheiblechner aus den achtziger beziehungsweise neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts.
Die Ausstellung ist eine kleine Reise durch drei Jahrhunderte, erfrischend undogmatisch und bunt durcheinander gewürfelt, die deutlich macht, dass nicht alles, was ein Museum zu bieten hat, immer dem Blick der Öffentlichkeit zugänglich ist. Nachdrücklich wies Wittstock angesichts dieser archivierten Werke noch einmal auf die große Bedeutung des Anbaus hin, der die neue Sammlung Eitel aufnehmen soll und dessen Finanzierung noch immer nicht gesichert ist.
Jahrzehntelang wurde von beiden Seiten gezielt auf eine Verbindung dieser beiden Sammlungen hin angekauft, so dass der Bau eine Notwendigkeit für die Weiterentwicklung des Museums darstellt.
Kontakt:
Marburger Universitätsmuseum für Kunst und Kulturgeschichte
Direktion und Verwaltung
Biegenstraße 11,
35037 Marburg
Telefon 06421 / 28-22355, Fax 06421 / 28-22166
- Universitätsmuseum für Bildende Kunst Ernst-von-Hülsen-Haus, Biegenstraße 11 (neben der Stadthalle)
- Universitätsmuseum für Kulturgeschichte, Landgrafenschloss, Wilhelmsbau
Quelle: Marburger Neue Zeitung, 4.11.2003
St.-Galler-Stadtgeschichte in zwei Archiven
Zwei Bestände, zwei Archivare, unterschiedliche Trägerschaften: Das eine Stadtarchiv enthält die Altbestände aus der Zeit der Stadtrepublik, das andere nur Quellen zur modernen Stadt.
Stefan Sondereggers Lieblingsdokument aus «seinem» Archiv ist das Stadtbuch mit dem ersten Stadtgesetz, das 1312 begonnen wurde. Ihn fasziniert, wie die Stadt damals anfing, sich selber zu verwalten, losgelöst von der äbtischen Herrschaft. Marcel Mayer wählt das Niederlassungs- und Aufenthaltsregister von 1803 bis 1918. Es wird derzeit in einer Datenbank erfasst und gibt Aufschluss darüber, wie die städtische Gesellschaft mit dem Anziehen der Wirtschaft immer heterogener wurde.
Beide Episoden waren von fundamentaler Bedeutung für die Entwicklung der Stadt. Doch beide lagern in verschiedenen Archiven.
Erst seit 1986 gibt es ein zentrales Archiv der politischen Gemeinde, dem heute Marcel Mayer vorsteht. Er ist zuständig für die Akten der Gemeinden St. Gallen seit der Zeit von 1798 bis 1831 sowie – vor der Stadtverschmelzung – Tablat und Straubenzell. Das Archiv der Ortsbürgergemeinde, das Stefan Sonderegger betreut, umfasst die Altbestände mit einem umfangreichen Urkunden-Bestand (und die Akten der Ortsbürger bis heute). Entsprechend unterschiedlich ist die Tätigkeit der beiden Archivare: Stefan Sonderegger hat es mit einem fast «toten» Archiv zu tun – es hat kaum Neueingänge zu verzeichnen. Dafür sind viele der Dokumente nicht nur lokal oder regional von Interesse, sondern betreffen den ganzen Bodenseeraum. Marcel Mayer hingegen muss mit der grossen Datenfülle umgehen, die die verschiedenen Verwaltungsstellen regelmässig freigeben. Hinzu kommen private Akten wie Tagebücher oder Briefe sowie Firmenarchive. «Die Frage ist nicht: Was wirft man weg?», erklärt Mayer, «sondern: Was behält man?» Das Stadtarchiv nimmt nur etwa 10 Prozent der anfallenden Akten und Nachlässe an – jene nämlich, die historisch relevant sind – aus Platzgründen und wegen der Übersichtlichkeit. Für denselben Informationsgehalt wird heute ohnehin viel mehr Papier gebraucht als in früheren Jahrhunderten, als Schreiben Handarbeit und Schreibmaterial kostbar war. Der Einzug des Computers in die Büros hat die Papierflut nochmals vergrössert – und stellt die Archivare vor zusätzliche Probleme: Wie sichert man digitale Daten für längere Zeit? Mit jedem Überspielen auf aktuelle Software können Informationen verfälscht werden. Und wie lange CDs halten, weiss man noch nicht. Das Stadtarchiv bewahrt daher vor allem Ausdrucke oder Mikrofichen auf. Ähnliche Probleme ergeben sich mit Tonträgern und Filmen: Überspielungen und Restaurierungen sind aufwendig, aber notwendig. Dies betrifft etwa die Gemeinderatsprotokolle, die es in schriftlicher Form seit 1972 nur noch als Beschlussprotokolle gibt. Von grossem Wert sind auch zum Beispiel die ältesten bewegten Bilder von St. Gallen, die vom Kinderfest 1927 stammen.
Angesichts der Datenfülle aus neuerer Zeit lagert einiges im Archiv, von dem die Archivare den Inhalt nur ungefähr kennen. Auch im Ortsbürger-Archiv gibt es noch manche Trouvaille: Die Akten, die Sonderegger etwa für die Edition im Chartularium Sangallense oder für die Rechtsquellen des Kantons St. Gallen bearbeitet, sind zu rund 40 Prozent bisher unbekannt oder nur in einer Kurzversion editiert. Solche Editionsarbeiten sind sehr aufwendig: Um eine einzige Urkunde fachgerecht zu erfassen, hat Sonderegger rund eine Woche. «Trotz technischer Hilfsmittel kann man die Arbeit nicht wesentlich beschleunigen», erklärt er. Denn der Computer scheitert schon bei verschiedenen Schreibweisen desselben Namens. Von Nutzen ist er dagegen für die Benutzenden, wenn sie auf ein umfassendes Register zurück greifen können.
Kontakt:
Stadtarchiv St.Gallen und Stadtarchiv (Vadiana) St.Gallen
Notkerstrasse 22
CH-9000 St.Gallen
TEL ++41 71 224 62 23 und ++41 71 244 08 17
FAX ++41 71 244 07 45
stadtarchiv.sg@bluewin.ch
Quelle: St. Galler Tagblatt (CH), 4.11.2003
Ehrenamtlicher Archivpfleger erhält Kulturpreis
Lange Gänge, schummriges Licht, feuchte Wände und zusammengeschnürte Pakete vergilbter Papiere – dieses Bild verbinden Fernsehzuschauer mit einem Archiv. Nicht so das Reich des Hans Scheuern: Der ehrenamtliche Archivpfleger der Schlossstadt Heusenstamm arbeitet bei Tageslicht, das gleich durch zwei Seiten des Rathaus-Neubaus ins Zimmer 137 fließt. Gestern Abend wurde der Herr über zigtausend Akten für seinen Einsatz im Hinteren Schlösschen mit dem Heusenstammer Kulturpreis 2003 ausgezeichnet.
Genau betrachtet wacht er über vier Archive. Deren erste Aufzeichnungen stammen aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts, wurden von den Schönborns jedoch zu ihrem Sitz nach Wiesentheid im Fränkischen mitgenommen, lagern heute teilweise im Staatsarchiv in Würzburg. Einige der „Dorfakten“, die bis in die 30er Jahre reichen, sind aber am Ort verblieben, informiert Scheuern. Die zweite Phase reicht bis 1976 und wurde von Rektor Dittrich aufgearbeitet. Nach dessen Tod wurde der Job 1999 vom damaligen Bürgermeister Josef Eckstein dem langjährigen Kommunalpolitiker Hans Scheuern angetragen. Fünf Jahre saß er für die FDP im Stadtparlament, acht im Magistrat, so dass er über weitreichende Kenntnisse der Stadtverwaltung verfügt. Zudem bringt er aus seinem Beruf Voraussetzungen für den Umgang mit Dokumenten mit. Scheuern stammt aus Diez an der Lahn und ging als junger Schriftsetzer-Lehrling auf Wanderschaft, wie es der Brauch vorsah. Er gelangte nach Nürnberg, Bad Kreuznach und Offenbach. In Stuttgart studierte er an der grafischen Schule und machte Druckingenieurswesen. 1958 heiratete er, zwei Töchter sowie ein Sohn gehörten bald zur Familie. 1961 begann er bei einer Frankfurter Druckerei als Betriebsassistent, nach kurzer Zeit übernahm er die Leitung. „Ich hab' mir das ganz locker vorgestellt“, blickt der Ausgezeichnete über eine Regalwand, „in einem Jahr oder zwei wollte ich durch sein“. Jetzt steckt er immer noch mitten drin im Bewerten von Akten. So umschreibt er seine Tätigkeit, mit der er Stapel im Din-A4-Format abarbeitet. Die Anschreiben an die Stadt und die von ihren Ämtern, Bewilligungen, Auskünfte, Satzungen und andere Korrespondenz wandert erst in die Registratur. Frühestens nach einem Jahrzehnt endet Aufhebungspflicht, dann können die Papiere in Scheuerns Abteilung wandern. Gerade sortiert er Briefe, deren Ein- oder Ausgang rund 25 Jahre zurückliegt. „Das ist schon ziemlich nah dran am Zeitgeschehen“, erklärt er aus der Sicht des Archivars. Auf seinem Schreibtisch liegt ein Stapel mit Schriftstücken des Italienischen Familienvereins, viele sind in der Sprache seiner Mitglieder verfasst. Wie kann der Sammler da entscheiden, was für die Nachwelt interessant sein kann und womit der Reißwolf gefüttert wird? „Ich hatte in der Schule Latein“, winkt Scheuern ab. Meistens erkennt er schon in Adress- und Betreffzeilen, worum es sich handelt. Und falls er sich mal wirklich unschlüssig ist, wendet er sich an einen Kollegen in der Verwaltung, der der Fremdsprache mächtig ist. Die wichtigen Bögen legt er dann in einen Faszikel, der kleinsten Einheit innerhalb der Unterteilung. Belege findet er mit Hilfe eines eigenen Computer-Programms recht flott. Dem Rechner genügt das Aktenzeichen, eine Jahreszahl oder auch nur ein Stichwort, und er spuckt alle Nummern der Faszikel, Ordner, Fächer und Stahlschränke aus, in denen etwas zur eingetippten Angabe zu finden ist. Auch dieser Zeitungsartikel wird bald den Weg in sein Reich finden, denn eine Kollegin wird ihn einscannen, weil er Belange der Stadt berührt. Suchende können sich bei Hans Scheuern Kopien von Unterlagen anfertigen lassen. Aber nur, wenn die Herausgabe keinen Konflikt mit dem Datenschutzgesetz heraufbeschwört. Und wenn es nicht um Personen geht, die vor weniger als 100 Jahren das Licht der Welt erblickten.
Quelle: Offenbach-Post Online, 4.11.2003
Im Schloss surren Scanner für die Mormonen
Prunkvoll steht das elegante Schloss Kossenblatt (Oder-Spree) inmitten eines Wäldchens. Ein massives Eisentor und der Zaun schirmen den Barockbau von der Außenwelt ab. Auf dem herrschaftlichen Anwesen surren Scanner und filmen Kameras. Um vergilbtes Archivmaterial oder Namensregister der Nachwelt zu erhalten, werden diese auf Mikrofilm gebannt. Haltbarkeit: rund 500 Jahre.
Zu dem Material, das die 21 Mitarbeiter der Mikrofilm-Center Kossenblatt GmbH auf Spezial-Zelluloid „verfilmen“, gehören Einwohnermelderegister aus dem 18. Jahrhundert, uralte Leichenpredigten oder kaum noch identifizierbare Adressbücher aus dem 17. Jahrhundert. „Durch unsere Arbeit erhalten wir unwiederbringliche Unterlagen der Nachwelt“, sagt Gottfried Keßler, Prokurist der Film-Firma. Schon als Zentralstelle für Reprografie der DDR genoss das Unternehmen Weltruf. Heute ist Schloss Kossenblatt die bedeutendste „Kopierstelle“ der neuen Bundesländer. Trotz voller Auftragsbücher hatte die Mikrofilm-Firma vor 15 Monaten Insolvenz beantragen müssen. Mittlerweile schreibt sie nach Angaben Keßlers aber wieder schwarze Zahlen.
Einen ganz besonderen Auftrag zogen die Mikrografen aus Ostbrandenburg im US-Bundesstaat Utah an Land. Hier lebt der größte Teil der weltweit mehr als zwölf Millionen Mormonen. Und die forschen auf dem gesamten Erdball nach ihren Vorfahren. Ihrem Glauben nach soll so „eine Brücke von der Vergangenheit zur Gegenwart in die Zukunft“ gebaut werden, heißt es in einer Erklärung der europäischen Mormonenvertretung in Frankfurt/Main. Um die Recherche nach Urahnen aus dem deutschsprachigen Raum zu forcieren, soll das Kossenblatter Unternehmen alte Kirchenbücher und Namensregister auf bis zu 30 Meter lange Filmrollen bannen. Je nach Bedarf werden die Unterlagen dann später ausgewertet.
Geschäftspartner ist die 1894 gegründete Genealogische Gesellschaft von Utah (GGU) der Mormonen. In ihrem Auftrag durchstöberten Gottfried Kessler und seine Mitarbeiter schon etliche Archive. „Etwa zweimal im Jahr bekommen wir Besuch von den Mormonen, die sich dann nach dem aktuellen Stand der Dinge erkundigen“, sagt Kessler. Bereits jetzt lagern Tausende von Kossenblatter Filmrollen in einem atombombensicheren Granitgewölbe bei Salt Lake City in Utah. In den Felsblock in den Rocky Mountains passen insgesamt sechs Millionen Rollen Mikrofilm.
Um die zu füllen, bräuchten mehrere Mikrofilm-Betriebe noch Jahre, so Reprografin Sandra Dallmann. Die Werkräume der in Deutschland einzigartigen Verfilmungsstelle wirken da doch eher schlicht. In roten Behältnissen, die Bäckerei-Kisten aus Plastik ähneln, liegen jahrhundertealte Kirchenschriften und Zivilstandsregister. Der Prokurist plaudert über Historie und Leben der Mormonen. Er selber sei kein Mormone, betont der kleine Mann mit Krawatte. Einige Beschäftigte sitzen im flachen Kopierraum, den nur Schummerlicht etwas erhellt. Lediglich die riesigen Verfilmungs- und Kopiermaschinen spenden Licht.
Quelle: Morgenpost, 3.11.2003
Allershausener Ortschronik II
Der zweite Teil der Allershausener Ortschronik, „Die Geschichte der Häuser“, ist fertig. Im Rahmen einer Feierstunde stellte Bürgermeister Rupert Popp das gewichtige Werk am Donnerstag. Popp erinnerte an die langen Jahre der Recherchen, die Chronist Wolfgang Koob auf den ersten Band verwendet hatte und auch an das Echo, das dieses Buch hervorgerufen hatte. Irritationen habe es gegeben; nicht alles, was Koob geschrieben hatte, fand das Einverständnis der Leser. Trotz aller Diskussionen habe sich der Gemeinderat entschieden, Koob auch mit dem zweiten Teil zu beauftragen. Nach Koobs Tod hat der Historiker Andreas Sauer das Werk fertig gestellt.
Die Häuser, die Allershausen prägten, die Höfe und auch die Baugeschichte selbst sind Thema des zweiten Bandes. Die Menschen Allershausens sind aber die Grundlage für das Buch, so Popp, und deshalb sei das Buch auch für jeden Ortsbewohner von großem Interesse.
Ein Grundbedürfnis der Menschen sei es, zu wissen, woher sie kommen und wohin sie gehen, sagte Kreisheimatpfleger Rudolf Goerge. Dieses Interesse an der Geschichte sei notwendig, um sich selbst und seine Umgebung einzuordnen, um den eigenen Standpunkt zu finden und auch, um zu verstehen, warum sich manches so entwickelt hat, wie es sich heute darstellt. Eine Chronik über einen Ort ermögliche den Blick auf die Vergangenheit, sei das Gedächtnis der Heimat und deshalb auch für eine Ortschaft von großer Bedeutung. Er habe Respekt vor der Arbeit, die sich Andreas Sauer gemacht habe, die Archive zu durchstöbern, Quellen zu durchforsten und in mühevoller Kleinstarbeit die Spreu vom Weizen zu trennen, um einen unverstellten Blick auf die Vergangenheit zu bekommen.
In der heutigen Zeit der nur noch medialen Archivierung könne man Sorge haben, ob die späteren Generationen auch noch so viele Informationen über ihre Vergangenheit werden finden können, wie das bisher der Fall war. Deshalb plädierte Goerge dafür: „Hebt alles auf, was geschrieben ist, später wird man froh darum sein.“ – Das Häuserbuch der Gemeinde Allershausen ist ab sofort in der Gemeinde erhältlich.
Kontakt:
Gemeinde Allershausen
Johannes-Boos-Platz 6
85391 Allershausen
Telefon (08166) 67 93-0
Telefax (08166) 67 93-33
gemeinde@allershausen.de
Quelle: Merkur-Online, 31.10.2003
Archivpflege in Westfalen-Lippe, Heft 59 / 2003
Das Heft 59 / Oktober 2003 der Archivpflege in Westfalen-Lippe ist erschienen. Es enthält schwerpunktmäßig die Referate des 55. Westfälischen Archivtags (2002), der sich mit Fragen lokaler Identitätsbildung sowie dem Wandel im kommunalen Dienstleistungsangebot befasste.
INHALTSVERZEICHNIS
BEITRÄGE
- Werner Frese: Tagungsbericht
- Raimund Bartella: „Das Kommunalarchiv“ – Ein Positionspapier der Bundeskonferenz für Kommunalarchive
- Wilhelm Grabe: Gedächtnis des Kreises? – Kreisarchive als Träger regionaler Geschichtskultur
- Ludwig Burwitz: Das Stadtarchiv Siegen und die Region Siegerland
- Franz-Josef Jakobi: Stadtgeschichtliche Dokumentation und lokale Erinnerungskultur
Archive im Konkurrenzfeld der Veranstaltungskultur
Statements von:
- Rikarde Riedesel: Bad Berleburg: Eine Kleinstadt mit erstaunlicher kulturelle Infrastruktur
- Rico Quaschny: Das Stadtarchiv Bad Oeynhausen: Kompetenz, Kooperation und Kontinuität statt Konkurrenz
- Franz Meyer: Das Stadtarchiv Bad Salzuflen
- Norbert Wex: Das Stadtarchiv Soest
- Barbara Lemsch / Jörg Rudolph: Archivische Dienstleistung auf dem freien Markt: Facts & Files Historisches Forschungsinstitut Berlin
- Hans Budde: Outsourcing im Bereich von archivtechnischen Aufgaben
- Zielsetzung des Neuen Kommunalen Finanzmanagements (NFK) – Bilanzierung von Archivgut (Kurzzusammenfassung der Kernthesen des Vortrags von Steffen Vollbrecht)
KURZBERICHTE
„Archivierung“ durch Logistik-Unternehmen ; 25 Jahre Kreisarchiv Soest ; Konferenz für historische Bildungsarbeit und Archivpädagogik startet europäisches Netzwerk ; Nachlass des Baupflegers Franz Pieper im Archiv des Landschaftsverbandes ; Gründung der neuen Arbeitsgemeinschaft der Stadt- und Gemeindearchive beim Städte- und Gemeindebund NRW (ASGA) ; Olper Drucker „Petrus in Altis“ wiederentdeckt – Stadt Olpe erwirbt Inkunabel von 1478 für das Stadtarchiv ; Das GDS-Institut im Stadtarchiv Paderborn ; Bertelsmannarchiv wieder zugänglich ; Das Hofesarchiv der Familie Conze in Borgentreich ; Start für das Netzwerk Auswandererforschung ; Sachthematisches Inventar zur Zwangsarbeit im Internet ; Stadtmodell „Lünen um 1700“ ; Für die Forschung gerettet und erschlossen: Die Patientenakten des Lindenhauses in Lemgo ; Antrittsvorlesung von Professor Dr. Norbert Reimann an der FH Potsdam ; Heraldische Sammlung Reclam jetzt in Berlin ; Findbücher im Internet ; Eile und Weile – 5. Geschichtswettbewerb 12. September 2003 bis 29. Mai 2004 ; Neues Depositum im Archivdepot der Vereinigten Westfälischen Adelsarchive e. V. ; 60. Geburtstag von Professor Dr. Reimann
REZENSIONEN
- Brigitte Kramer, Freizeitspaß und Schwimmvergnügen. Geschichte des öffentlichen Badewesens (Wolfgang Bockhorst)
- Beatrix Pusch, Die kommunale Neugliederung im Kreise Soest (Gunnar Teske)
- Kloster – Stadt – Region. Festschrift für Heinrich Rühting. Hrsg. v. Johannes Altenberend (Horst Conrad)
- Michael Ströhmer, Von Hexen, Ratsherren und Juristen. Die Rezeption der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. in den frühen Hexenprozessen der Hansestadt Lemgo 1588-1621 (Wolfgang Bockhorst)
- Erwin Dickhoff, Coesfelder Biographien (Horst Conrad)
- Andrea Zupancic / Thomas Schilp, Der Berswordt-Meister und die Dortmunder Malerei um 1400. Stadtkultur im Mittelalter (Simone Epking)
- Andreas Huneke / Rico Quaschny, Rehme. 1250 Jahre Orts- und Heimatgeschichte eines Minden-Ravensburger Dorfes (Lutz Trautmann)
- Urkunden des Klosters Hardehausen. Bearb. von Helmut Müller (Wolfgang Bockhorst)
- Anne Strunz-Happe, Wandel der Agrarverfassung. Die „Bauernbefreiung“ im ehemaligen Hochstift Paderborn im 19. Jh. (Wolfgang Bockhorst)
- Josef Wermert, Olpe. Geschichte von Stadt und Land. Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (Rico Quaschny)
Archivpflege in Westfalen-Lippe. Münster. ISSN 0171-4058
Redaktion:
Susanne Heil <susanne.heil@lwl.org>
Zuschriften an das
Westfälische Archivamt, Redaktion
Postfach
48133 Münster
Telefon: 0251/591-3890
Telefax: 0251/591-269
Vor 185 Jahren endete die „Assmannshäuser Staatsaffäre“
Am 15. Mai 1817 ereignete sich am Rheinufer vor Assmannshausen ein spektakulärer Vorfall: Schultheiß Caspar Fischer, begleitet von zwei bewaffneten Rekruten, befahl dem Bacharacher Schiffsmann Adam Welcker, der zusammen mit einem Tagelöhner sein beladenes Schiff auf dem Leinpfad flussaufwärts schleppte, zu landen. Sofort zerschnitt der sich bedroht fühlende Welcker die Leinen seines Schiffes und setzte von der nassauischen Rheinseite aufs andere Ufer über, wo er nahe dem preußischen Dorf Trechtingshausen vor Anker ging. Fischer folgte ihm in Begleitung zweier Bewaffneter und verhaftete ihn gegen die Vorhaltungen einiger Dorfbewohner. Dann zwang er ihn, an das Assmannshäuser Ufer überzusetzen und brachte ihn nach Rüdesheim, wo der Amtmann die Warenladung beschlagnahmte. Erst dann ließ man Welcker frei, der sich mit seinem Kahn zurück in seine Heimatstadt begab.
Nachdem der im nassauischen Wiesbaden tätige preußische Gesandte („Minister-Resident“) von Mettlingh von der preußischen Regierungsbehörde in Koblenz am 8. Juni über den Vorfall informiert worden war, wandte er sich am 27. Juni an Marschall von Bieberstein und „ersuchte“ diesen, „geneigtest verfügen zu wollen, daß die Veranlassung dieses höchst auffallenden Vorganges mit möglichster Genauigkeit untersucht werde, damit es sich ergeht, mit welchem Rechte der Schiffer Welker in der Ausübung seines Gewerbes gestört, auf der freien Rheinseite angehalten und ihm der verdiente Gewinnst entzogen worden ist?“ und forderte in unmissverständlichem Tone die nassauische Regierung dazu auf, künftig die Souveränität der staatlichen Grenzen zu achten und somit die preußischen Bürger vor solchen Gewaltakten zu schützen.
Es begann nun, wie der im Geheimem Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem erhaltene amtliche Briefwechsel zwischen dem preußischen Innenminister und dem nassauischen dirigierenden Staatsminister Marschall von Bieberstein belegt, eine diplomatische Auseinandersetzung zwischen den beiden Staaten, die sogar von preußischer Seite zu einer „Crise“ im Verhältnis beider Staaten hochgespielt wurde.
Der Staatsminister beantwortete das Schreiben nahezu einen Monat später, am 23. Juli, nachdem er in diesem für den nassauischen Staat höchst unangenehmen „Fall“ umfassende Untersuchungen vorgenommen hatte. Er legte von Mettlingh den Stand der Ergebnisse dar: Der Schultheiß hatte demnach im Auftrage eines Rüdesheimer „Handelsjuden“ gehandelt, der nach einem Streit „über ihre gegenseitigen Ansprüche“ mit einem anderen ortsansässigen „Handelsjuden“ seine Güter in Bacharach gelagert hatte. Er beauftragte den Assmanshäuser Schultheißen, die „Waaren auf Gefahr und Kosten der Impetranten zu arretiren“. Fischer führte den Auftrag aus, ließ sich aber, wie von Bieberstein kritisch vermerkte, „verleiten, die Gränzen seiner Befugnis und den erhaltenen amtlichen Auftrag so weit zu überschreiten, daß er den Schiffer mit Reservisten auf die Jenseite verfolgte und von dort mit herüber brachte“.
Zur Beruhigung der empörten preußischen Regierung versicherte von Bieberstein, er bedauere, „daß die Territorial-Grenzen ordnungwidrig bei diesem unagenehmen, von diesseitigen Unterbehörden veranlaßten Vorgang überschritten worden sind“ und das Verhalten des Schultheißen „auf keine Weise zu rechtfertigen“ sei. Der Vorfall sei von der Landesregierung in der Weise geahndet worden, „das Benehmen des Schultheisen so wie des Beamten denselben um so mehr auf das Nachdrücklichste zu verweisen“ und Fischer sei angewiesen worden, „alle etwa durch diesen Excess den Betheiligten erwachsene Kosten und Schäden zu ersetzen“.
Welche Strafe die preußische Regierung für den Schultheiß vorsah, sprach sie in einem Gutachten aus: Gemäß dem Preußischen Landrecht II. Theil § 337 „müßte hiernach nach unseren Gesetzen durch Amtsentsetzung und außerdem durch verhältnißmäßige Gefängniß- oder Festungsstrafe gebüßt werden. Die letztere Strafe könnte nach den Grundsätzen unserer Praxis und des durch selbige geleiteten richterlichen arbitrii, nicht unter das Maas einer zweimonatigen Gefängnisstrafe fallen“.
Auf wiederholtes Drängen der preußischen Seite antwortete der nassauische Staatsminister, man solle „aus dem Exceß eines Ortsschultheißen“ nicht das gute nachbarliche Verhältnis beider Staaten in Zweifel ziehen. Die nassauische Regierung habe schließlich den Täter weitgehend bestraft. So endete die „Assmannshäuser-Schultheißen-Affäre“, die für einige Monate das Verhältnis zwischen den beiden Staaten nachhaltig beeinträchtigt hatte. „Bürgermeister“ Fischer blieb Dorfoberhaupt bis zum Jahre 1820.
Quelle: Wiesbadener Kurier, 1.11.2003