Raymond Plache kann es kaum fassen. Mit der Forderung des Landesrechnungshofes den Bestand an Archivgut deutlich zu reduzieren, sieht der Leiter des Bergarchivs Freiberg wertvolle Bestände gefährdet. Er spricht von einem „beispiellosen kulturrevolutionären Angriff auf ein national und international bedeutsames Kulturerbe, das von der sächsischen Verfassung geschützt ist“.
Werden Bestände vernichtet, könnte das nicht nur bei Forschungen, sondern auch bei Arbeiten von Unternehmen fatale Folgen haben, glaubt Plache. Beispiele seien Bergbrüche oder die beim Hochwasser 2002 entstandene Gefährdung des Rothschönberger Stollns. Alte Unterlagen würden helfen die Situation unter Tage nachvollziehbar zu machen, um Maßnahmen einleiten zu können. „Rund 106.000 Karten, Pläne und Risse lagern im Bergarchiv, aus denen der Verlauf der Stolln, Strecken und Schächte, Erzgänge oder Flöze hervorgeht“, erklärt Plache. Der älteste bergmännische Originalriss stammt von 1573, die älteste Karte aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.
Die empfohlene Reduzierung würde die erst 2002 vom sächsischen Innenministerium vorgelegte Archivkonzeption zu Makulatur machen. Von Bestandserhaltung und Schaffung entsprechender Unterbringungsmöglichkeiten für die Staatsarchive in Dresden, Chemnitz und Freiberg ist da die Rede.
„Natürlich platzt das Bergarchiv mit den zwei Stellen am Fuchsmühlenweg und an der Kirchgasse bei fast fünf Kilometer Akten und Amtsbüchern aus allen Nähten, lagert wertvolles Kulturgut schon in den Gängen. Eine Chance wäre die Unterbringung im Schloss Freudenstein, die zur Zeit geprüft wird“, meint Plache. Die Flut von Neuzugängen in den vergangenen zehn Jahren resultiere daher, dass nach der Wende Übernahmen sowie Sicherungen von archivwürdigem Schriftgut anstanden sind, die sonst erst nach Ablauf der behördlichen Aufbewahrungsfristen bis 2020 an die Staatsarchive gegangen wären.
Hierbei sei die Auswahl nach gleichen wissenschaftlichen Kriterien erfolgt wie bei allen Beständen, so dass es „archivierungsunwürdiges“ Gut, wie es im Rechnungsprüfungsbericht heißt, gar nicht gebe. „Mit den kulturpolitisch wie archiv-wissenschaftlichen absurden Argumentationen des Landesrechnungshofes wird die Kompetenz eines ganzen Berufsstandes, der weltweit nach gleichen wissenschaftlichen Grundsätzen arbeitet, in Zweifel gezogen“, empört sich Plache, der in einem deutschlandweit einmaligen Archiv Sachwalter über schriftliche Überlieferungen der Bergverwaltungen sowie Bergbau- und Montanbetriebe Sachsens ist. Das älteste Dokument des 1968 gegründeten Archivs stammt von 1477.
Vorsichtig zieht Plache einen Ordner aus dem Regal. „Den zehnten Erlass bei der St. Francisci-Zeche zu Platten in Böhmen betreffend“ ist darauf zu lesen, ein Dokument des Oberbergamtes von 1781. Bestände der früheren Oberberg- und Bergämter bilden auch den Kern der staatlichen Überlieferung im Freiberger Archiv. Hinzu kommen rund 72.000 Fotos, gedruckte und handschriftliche Bergordnungen und Chroniken sächsischer Bergstädte.
Pro Jahr zählt das Bergarchiv zwischen 1.200 und 1.600 Benutzungen aus wissenschaftlichen Einrichtungen wie der Bergakademie, aber auch Heimatgeschichtsforscher, Denkmalpfleger und Unternehmen nutzen die Unterlagen. „Die Arbeit der Montanunternehmen im Freiberger Raum, die sich im Geokompetenzzentrum zusammengeschlossen haben, würde bei einer Umsetzung der Rechnungshofempfehlungen behindert“, ärgert sich der Chef des Bergarchivs. Unterstützung erhalten die Archive aus dem Innenministerium. An der bisherigen Konzeption nämlich soll laut Joachim Anlauf von der Pressestelle festgehalten werden. Schließlich sei die Lagerung einmaliger Kulturgüter ein „Verfassungsauftrag, der nicht aufgegeben wird“.
Kontakt:
Sächsisches Bergarchiv Freiberg
Kirchgasse 11
09599 Freiberg
03731/372-250
03731/372259
Fuchsmühlenweg 7
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bergafg@archive.smi.sachsen.de
Quelle: Freie Presse online, 24.11.2003