40 Jahre nach dem Attentat auf John F. Kennedy in Dallas ist das Geheimnis um seine Mörder und Hintermänner verstrickt wie ein Gordischer Knoten, und die Wahrheit wird – wenn überhaupt – wohl erst im Jahr 2038 ans Licht kommen, wenn die in den amerikanischen National Archives unter Verschluss bewahrten Dokumente ans Licht kommen. Auch die jährlich in Dallas stattfindende Attentats-Konferenz „November in Dallas“ mit mehr als 700 Teilnehmern – Detektive und Geschichtsforscher aller Art – dürfte wenig neue Erkenntnisse bringen.
Schon die Auswahl der Vortragenden der Dallas Konferenz und deren Themen zeigen, dass es selbst seriöse Geschichtsforscher nicht verstehen, die Spreu an Informationen vom Weizen zu trennen. Dick Russell, Journalist und Autor des Buches „Der Mann, der zu viel wusste“, spricht über Richard Case Nagell und dessen Kontakte mit Lee Harvey Oswald, der kurze Zeit nach dem Attentat verhaftet, zwei Tage später im Polizeigewahrsam von Dallas vom Nachtlokalbesitzer Jack Ruby erschossen und später von der Warren-Kommission als einziger Täter bezeichnet wurde. Nagell, ein mit Sternen dekorierter Held des Koreakriegs, hatte während des Kriegs schwere Kopfverletzungen erlitten. Ein Armeepsychiater stellte fest, dass „Nagells Urteil und Realitätsvermögen schwer gestört“ war.
Ein anderer Gast der Konferenz ist der britische Autor Matthew Smith, dessen Thema mehr Gewicht hat: Infolge der Wende der US-Außenpolitik nach Kennedys Tod, dem verstärkten Einsatz im Vietnam-Krieg, konnte die amerikanische Waffenindustrie und Wirtschaft einen Mehrumsatz von 200 Milliarden US-Dollars erzielen. Womit wir auch schon mitten in den Verschwörungstheorien sind: Die Lobby der Waffenindustrie hätte den Mord in Auftrag gegeben und auf Kennedys Nachfolger, Lyndon B. Johnson, starken Druck ausgeübt, die Kennedy-Entscheidung, tausend Soldaten aus Vietnam abzuziehen, zu revidieren, bzw. den Krieg auszuweiten.
Dass Johnson selbst Teil der Verschwörung war, die 1979 von einer weiteren staatlichen Untersuchungskommission, des House Select Commitees on Assassinations, außer Zweifel gestellt wurde, ist ziemlich unwahrscheinlich. Johnsons Verhalten, das C. David Heymann, Autor der Biographie des 1968 ermordeten Präsidenten-Bruders Robert F. Kennedy, minutiös nachgezeichnet hat, trug eher skurille Züge als die eines Staatsmanns, der zum Präsidenten der Vereinigten Staaten eingeschworen wird. „Sie werden uns alle umbringen“, soll Lyndon B. Johnson beim Abflug der Airforce One von Dallas laut Zeugenaussagen gejammert haben, „sie werden das Flugzeug abschießen, sie werden uns umbringen.“ Dann soll er sich ins Klo des Jets eingeschlossen haben.
Robert Kennedy, Erster Staatsanwalt der Regierung Kennedy, verdächtigte von Anfang an die Mafia, hinter dem Attentat zu stehen, und nannte sogar Namen. Obwohl die Mafia durch große Wahlspenden zum Sieg John F. Kennedys über Richard Nixon 1960 beigetragen hatte, wurde sie von Robert Kennedy unbarmherzig verfolgt. Der Oberste Staatsanwalt ordnete sogar eine Geheimoperation an, Mafiaboss Marcello entführen und nach Guatemala bringen zu lassen. „Sie haben den Falschen umgebracht“, sagte er. Auf die Mafia deuten auch die Aussagen von Rose Cheramie hin, einer ehemaligen Tänzerin in Jack Rubys Nachtlokal, die auf der Fahrt nach Dallas von zwei Südländern aus dem Auto geworfen worden war und den Mord an Kennedy exakt vorausgesagt hatte. Leider wurde sie nicht ernst genommen.
Die Untersuchungen von Jim Garrison, des aufrechten Staatsanwalts von New Orleans, wo die Fäden von Oswald, Ruby und Rechtsradikalen zusammenliefen, wiesen auf eine starke Verstrickung des US-Geheimdienstes CIA in den Anschlag hin. Als Garrison Robert Kennedy in einem Telefonat auf diese Verbindungen hinwies, meinte Kennedy nur, dass das seinen toten Bruder auch nicht mehr aufwecken könnte. Er war, so hielt Heymann in der RFK-Biographie fest, offenbar selbst nicht an einer alles aufdeckenden Untersuchung interessiert, möglicherweise, um die Krankheit und die Rückenleiden seines Bruders nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen, möglicherweise, um wegen der Verbindungen der Kennedys zur Mafia seine eigenen Chancen auf das Präsidentenamt nicht zu gefährden.
So wird der Kennedy-Mord ein Rätsel bleiben – bis 2038, solange die Kennedy-Akten laut Weisung von Lyndon B. Johnson unter Verschluss bleiben. Eine Weisung zum Schutz der Kennedy-Familie oder zum Schutz anderer?
Quelle: Wiener Zeitung, 21.11.2003