Fuldaer Erklärung des VdA zur Lage des Archivwesens

Der Berufs- und Fachverband für das deutsche Archivwesen hat auf einer Vorstandssitzung am 12. November 2003 zur aktuellen Lage des Archivwesens in der Bundesrepublik Deutschland Stellung genommen.

Die Kenntnisnahme des Jahresberichtes des Sächsischen Rechnungshofes 2003 in seinen Passagen über das Landesarchivwesen in Sachsen (pdf-Datei), in denen archivarische Fachkompetenz beiseite geschoben wird, hat zu einer Erklärung geführt, die zunächst den Fraktionen der im Sächsischen Landtag vertretenen Parteien und den zuständigen Landtagsausschüssen (Innenausschuss, Haushalts- und Finanzausschuss, Ausschuss für Wissenschaft) überreicht wurde. Da die angesprochenen Probleme das Archivwesen deutschlandweit grundsätzlich betreffen, wurde diese Erklärung auch der Presse übergeben.

Erklärung des Vorstands des VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e. V.
vom 12. November 2003 (Fuldaer Erklärung)

Vernichtung von Archivgut – Falsche Empfehlungen mit verheerenden Folgen

Archive erfüllen wichtige Funktionen für die Gesellschaft: Sie sind Wissensspeicher, da sie wertvolles Kulturgut sichern und aufbewahren. Sie dienen der Rechtsstaatlichkeit, indem sie das Verwaltungshandeln überprüfbar machen. Sie garantieren den Bürgerinnen und Bürgern Rechtssicherheit. Sie tragen durch ihre Tätigkeit zur Identitätsstiftung bei.

Der VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. beobachtet mit größter Sorge, dass in letzter Zeit von fachfremder Seite Empfehlungen zum Archivwesen gegeben werden, die die anerkannten Funktionen der Archive in Frage stellen.

Folgte man beispielsweise dem Bericht des Sächsischen Landesrechnungshofes vom 9. Oktober 2003, Archivgut nur in Ausnahmefällen im „stofflichen Original“ dauernd aufzubewahren und die große Masse zu verfilmen oder zu digitalisieren, so hätte das jedoch zur Folge, dass dadurch wertvolles Kulturgut sehenden Auges vernichtet würde. Diese Empfehlung wurde ausgesprochen, obwohl bekannt ist,

  • dass die Kosten für die Digitalisierung bzw. Verfilmung und die Pflege dieser „Ersatzüberlieferungen“ nachgewiesenermaßen weit über dem Erhalt in originärer Form liegen,
  • dass die Ersatzkonversion zudem zur Verminderung von Informationsgehalt und Authentizität des Archivgutes führt und
  • dass die dauerhafte Sicherung nicht gewährleistet ist, weil der Erhalt von digitalisierten Dokumenten über befristete Zeiträume von 10 bis 20 Jahren hinaus weltweit ein bis heute ungelöstes Problem darstellt.

Da sich die Archivarinnen und Archivare intensiv mit dem Erhalt der digitalen Überlieferung unserer Zeit auseinandergesetzt haben und die Möglichkeiten des Internets zur Verfügbarmachung von digitalisiertem Archivgut professionell ausschöpfen, haben sie berufsbedingt in diesen Fragen eine besondere Kompetenz entwickelt. Aus diesem Erfahrungshorizont heraus können sie die Empfehlungen eines Rechnungshofes im Blick auf ihre Realisierbarkeit und Zweckmäßigkeit beurteilen.

Der Verband deutscher Archivarinnen und Archivare appelliert nachdrücklich an alle Entscheidungsträger, die Sachkompetenz der Archive nicht zu ignorieren, sondern die fachspezifischen Erfahrungen bei Planungen zur Zukunft des Archivwesens zugrunde zu legen. Er verschließt sich keineswegs den Diskussionen über Einsparungen in der öffentlichen Verwaltung und im Archivbereich, doch sollten sachgerechte Argumente ausschlaggebend sein, damit keine Lücken im historischen Gedächtnis entstehen. Dies wäre im Zeitalter der Informationsgesellschaft nicht nur zu bedauern, sondern geradezu grotesk.

Fulda, den 12. November 2003 — Der Vorstand des VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V.

Quelle: www.vda.archiv.net, 20.11.2003

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