Langsam strömt Wasser von unten in die Metallbox, in der ein Sieb die angefressenen, zerrissenen und vergilbten Buchseiten am Grund fixiert. Aus einem Küchenmixer schüttet Matthias Frankenstein den pürierten Faserbrei in einen Wassertank, in dem dieser nochmals verdünnt und mit Sauerstoff durchwirbelt wird. „98 Prozent Wasser und zwei Prozent Fasern“, erklärt der Papier-Restaurator die Zusammensetzung dieser Mischung.
Man nutze das Bestreben der Zellstoff-Fasern aus, sich im Wasser gegenseitig anzuziehen. Als das Wasser nach unten wieder abgesaugt wird, legen sich die dünnen Faserchen genau in die verbliebenen Lücken im Blatt sowie zwischen Papier und umliegender Gummischicht. Alle Löcher oder Abrisskanten sind nun wieder mit neuem Material geschlossen.
Nur eine Möglichkeit, historische Papiere wieder zu vervollständigen. Tägliche Arbeit von Matthias Frankenstein, Restaurator im Staatsarchiv in Detmold. Dort hat es der 31-Jährige mit unterschiedlichen Papier-Schäden vom Maus-Fraß oder Schimmelpilz-Befall bis zur verschmutzten und zerrissenen Oberfläche sowie einer Vielfalt an Papiersorten aus mehreren Jahrhunderten zu tun.
Nach der so genannten Anfaserung pinselt Frankenstein chemisch gelöste Zellulose als Leim über die Übergänge zwischen Alt und Neu, verstärkt sie durch hauchfeines Seidenpapier, das mit Weizenstärke verklebt wird. Das Ganze wird, zwischen Vlies und Filterkarton gelegt, in eine wärmende Presse geschoben.
Wenn das Papier da raus kommt, „dann hat es wieder Klang“, sagt der gelernte Buchmacher-Meister Frankenstein. Zwischen zehn und 15 Minuten dauert es, bis der Restaurator eine aus dem Buch heraus gelöste Doppelseite ergänzt hat. Was restaurierungswürdig ist, entscheidet der Archivar. „Das ältesteste Dokument im Haus ist eine Urkunde aus dem 12. Jahrhundert.
Beim Praktikum in Holland durfte ich auch schon eine Pergament-Handschrift aus dem achten Jahrhundert restaurieren.“ Das sind Objekte, die eine besondere Aura umgibt, sagt Frankenstein, „auch wenn wir es gewohnt sind, täglich mit Historischem umzugehen.“
Für jedes restaurierte Papier wird vorab ein Konzept angelegt, wie weit in das Original eingegriffen werden kann, oder was die Ergänzung bringt. Alterungsbeständigkeit ist eine Maxime bei den Arbeiten, die auf 150 bis 200 Jahre im restaurierten Zustand ausgelegt sind: „In den 70er Jahren wurde viel mit Folien gearbeitet. Jeder hat ‘rum geklebt, ohne zu wissen, was daraus wird. Heute müssen wir alte Tesafilme ablösen, die kleine Zeitbomben für das Papier geworden sind.“
Schwierig sei auch das zwischen 1850 und 1950 verwendete Papier: „Schlechte Qualität, sauer geleimt, nicht holzfrei und somit stark vom Säurezerfall bedroht.“ Dagegen war das, was schon im 12. Jahrhundert als Pergament auf den Tisch kam, ein echter „Qualitätsschatz“.
Über Datierungen, wenn nötig auch über die Handschrift, bei Urkunden über das Format oder die Oberflächenbehandlung und durch das Zerlegen der Bücher und über die verwendete Technik kann das Alter des Schriftwerkes bestimmt werden.
Das wiederum bestimmt die Technik und den Aufwand, mit denen restauriert wird. Ein Buch muss nachher funktionieren, muss die mechanische Beanspruchung ertragen. „Wir machen nichts neu. Restaurieren bedeutet erhalten und konservieren“, sagt Frankenstein, der eine halbe Stelle innehat, und betont die „Spuren der Zeit“, die nicht verwischt werden dürfen. Wie der gerade Schnitt in einer Pergament-Urkunde von 1594. Die Fäulnis-Schäden werden beseitigt, der Cut jedoch zeigt an, dass die Urkunde entwertet worden ist. Er bleibt drin.
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Quelle (mit Bild): Neue Westfälische, 17.11.2003