Bei „Kongo-Müller“ muss der Archivar passen

Herbert Bauch ist der Herr der Akten. In den beiden Magazinräumen im Kulturhaus Altes Amtsgericht von Langen stapeln sich hunderte Meter Verwaltungs- und Gerichtsakten, Konvolute und Protokolle, Fotos und Karten, Baupläne, Verträge und Zeichnungen. Und täglich kommt Neues hinzu.

„Unser Auftrag ist es, all das zu sammeln, was die Stadtgeschichte dokumentiert“, erklärt Stadtarchivar Herbert Bauch seine Aufgabe. So finden sich alte Handelsregister, Schenkungs- und Erburkunden sowie Zeitungen und Wochenblätter in den raumhohen Magazin-Regalen. Das älteste Stück ist ein so genanntes Bede-Buch aus dem 16. Jahrhundert. In dem dicken Leder-Folianten wurden die Abgaben der Langener Bürger an die adelige Herrschaft protokolliert. „Innerhalb der Verwaltung gibt es eine Abgabepflicht. Das heißt, alle archivierungswürdigen Unterlagen müssen uns übergeben werden“, beschreibt Bauch den Weg der Akten. Außerhalb der Verwaltung gilt es, ständig die Augen aufzuhalten: Wird eine neue Vereinschronik, ein Familienbuch oder eine Abhandlung über regionale Themen herausgegeben, gehört ein Exemplar ins Stadtarchiv. Herbert Bauch und seine Kollegin Roswitha Baier beobachten die lokale Kunst- und Kulturszene ebenso wie das Vereinsgeschehen und das Gewerbe in Langen. Doch mit der reinen Aufbewahrung der Schriftstücke, Fotos und Zeichnungen ist es nicht getan. Vielmehr liegt es an den Archivaren, Ordnung in den Papier-Wust zu bringen. „Der Bestand ist nach Zeit, Themen und Herkunft geordnet. Im Findbuch kann man nachschlagen und wird so relativ schnell fündig“, so Bauch.

Schließlich müssen sich nicht nur geschulte Archivare, sondern auch interessierte Bürger im Bestand des Stadtarchivs zurechtfinden können – die städtische Einrichtung steht jedermann offen. Wissenschaftler und Journalisten, Familienkundler, Schüler und Studenten begehren Einblick in die Akten oder bitten Bauch gleich um eine kleine Recherche.

Ein Doktorand aus Münster benötigt beispielsweise Informationen über „Kongo-Müller“, einen Langener, der in den 60er Jahren als Major einer Söldner-Truppe im kongolesischen Bürgerkrieg kämpfte und 1983 in Südafrika starb. „Über den haben wir leider nichts im Archiv“, winkt Bauch ab.

Eine Studentin, die regelmäßig ins Stadtarchiv kommt, um Material für ihre Examensarbeit zu sammeln, interessiert sich besonders für die französische Besatzungszeit nach dem Ersten Weltkrieg. Sie kann bei ihren Recherchen auf Bürger- und Registrierungslisten ebenso zurückgreifen wie auf den Schriftverkehr zwischen Zivilverwaltung und dem französischen Militär.

„Viele Anfragen an uns stammen aber auch aus der eigenen Verwaltung – besonders was Verträge und andere Rechtstitel angeht“, sagt Stadtarchivar Herbert Bauch. Oder er bekommt von der Verwaltung oder vom Stadtparlament gleich konkrete Aufträge. Als die Stadtverordneten beispielsweise beschlossen, ehemalige Zwangsarbeiter, die im Dritten Reich nach Langen verschleppt worden waren, direkt zu entschädigen, musste Bauch dafür sorgen, dass das Geld auch bei den rechtmäßigen Empfängern ankam. „Die Stiftung ‚Erinnerung, Verantwortung, Zukunft’ der Bundesregierung teilt uns mit, wenn sich ein ehemaliger Langener Zwangsarbeiter bei ihr gemeldet hat. Wir überprüfen die Identität der Leute und lassen ihnen dann das Geld mit Hilfe des Vereins ‚Kontakte zu Ländern der ehemaligen Sowjetunion’ und verschiedener Übersetzungsbüros zukommen“, erklärt Bauch das Prozedere. Fünf ehemalige Zwangsarbeiter aus Polen und der Ukraine wurden auf diesem Weg bereits entschädigt. Um dafür zu sorgen, dass das Geld nicht unterschlagen oder an den Falschen ausgezahlt wird, hat Bauch seine Fantasie spielen lassen: Die Empfänger erhielten im Vorfeld ein Langener Stadtwappen, das sie dem Kurier zeigen mussten. Der wiederum musste nach erfüllter Mission ein Foto mit Empfänger, Wappen und Geld im Stadtarchiv abliefern.

Neben dem Stadtarchiv ist Herbert Bauch, der nach seinem Germanistik- und Politik-Studium im Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden arbeitete, auch für das Museum zuständig und wirkt bei der Denkmalpflege mit. In letzterer Funktion überwachte Bauch beispielsweise die Sanierung der Mikwe, des jüdischen Ritualbades, auf dem Gelände der Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus in der Dieburger Straße. „Zu diesem Thema bieten wir regelmäßig Führungen an. Schulklassen oder interessierte Gruppen können mit uns aber auch Einzel-Termine vereinbaren“, schildert Bauch den Service des Archivs. Das Museum sieht Bauch als verlängerten Arm des Archivs, wo Geschichtliches ansprechend aufbereitet der Öffentlichkeit vorgestellt wird: „Das Museum ist so etwas wie ein dreidimensionales Stadtarchiv.“

Vorträge organisiert Bauch ebenfalls: Dieser Tage sorgte die Veranstaltung über den „Zarenbesuch in Wolfsgarten“ für großen Andrang im Kulturhaus. Der nächste Diavortrag des Stadtarchivs am Dienstag, 25. November, widmet sich dem Thema „Ahnenkult und Menschenopfer – Aspekte keltischer Religiosität“. Wer Fragen zur Lokalgeschichte hat, Auskünfte über seine eigene Familiengeschichte benötigt oder selbst einmal einen Blick in die Bücher werfen will, kann sich bei Herbert Bauch im Stadtarchiv zur Akteneinsicht anmelden.

Kontakt:
Stadtarchiv Langen, Kulturhaus Altes Amtsgericht
Darmstädter Str. 27, Zimmer 4
63225 Langen
Tel.: (06103) 910475
Fax: (06103) 910466
stadtarchiv@langen.de

Quelle: Offenbach-Post Online, 5.11.2003

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