Stuttgarter Prozessakten zum Film „Jud Süß“ freigegeben

„Wenn ich in der Welt des Theaters lebe, so ist das so schön, und ich bin froh, dass ich von dem Alltagsleben weg bin.“ (Werner Krauß, 1947) Der Mann lebte in seiner eigenen Welt. Zu Lebzeiten sinnierte er über seine Beerdigung und wünschte sich, eines Tages im Wiener Burgtheater aufgebahrt zu werden. Kein Minister, kein Direktor, kein Schauspieler sollte beim Begräbnis sprechen: „Damit niemand in Versuchung kommt zu lügen.“ So spricht einer, der sein Gesicht noch über den Tod hinaus wahren will.

Im Jahr 1940 spielte Werner Krauß im antisemitischen Hetzfilm „Jud Süß“ unter der Regie von Veit Harlan fünf jüdische Nebenrollen. Krauß galt im Jargon der Nazis als „arischer“ Schauspieler. Er hatte in der Weimarer Republik in mehr als hundert expressionistischen Filmen mitgespielt, er war unter anderem der bösartige Dr. Caligari in der berühmten Verfilmung von Robert Wiene. In der Nazizeit gab er Shakespeares Bösewicht Richard III. und den Juden Shylock. Krauß wurde einer der meistgefragten Schauspieler, er war Staatsrat und Vizepräsident der NS-Reichstheaterkammer.

Krauß' Aufstieg vom kleinen, am 23. Juni 1884 in Gestungshausen (Oberfranken) geborenen Pastorensohn zu Joseph Goebbels' Vorzeigedarsteller wurde nach dem Krieg Gegenstand eines atemberaubenden Prozesses. Dieses Spruchkammerverfahren fand von 1946 bis 1948 in Stuttgart statt – Krauß wohnte in der Zeppelinstraße 47. Im Jahr 1946 hatte sich die US-Militärregierung entschlossen, die Verantwortung für die Entnazifizierungsverfahren deutschen Gerichtskammern zu übertragen. Das rechtskräftige Urteil gegen Krauß unterzeichnete ein deutscher Richter.

Jahrelang war der Inhalt der Akten unbekannt. Erst jetzt, da die Sperrfrist abgelaufen ist, werfen die Dokumente aus dem Staatsarchiv Ludwigsburg auf den Künstler ein trübes Licht. Zwei Fragenkomplexe bestimmten damals die Verhandlung. Warum hat Krauß im Jahr 1940, als der SS-Staat bereits längst öffentlich Juden verfolgte und mordete, bei „Jud Süß“ mitgewirkt? Warum hat er seine Schauspielerehre für das stattliche Honorar von 50.000 Mark an einen Film verkauft, der darauf abzielte, Juden als „Untermenschen“ zu diffamieren? Die eigenen Antworten darauf hat Krauß mit ins Grab genommen.

Vier Anläufe und vier Urteile benötigten die deutschen Richter, um zu klären, wie Krauß' Sündenfall im Zuge der Entnazifizierung politisch-juristisch zu bewerten sei. Das Verfahren gestaltete sich durch neue Einsprüche des öffentlichen Klägers und neue Zeugenaussagen als sehr kompliziert. In welche der fünf Kategorien war der Angeklagte gemäß dem (1946 von den Alliierten erlassenen) „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ einzuordnen? War er Hauptschuldiger, Belasteter, Minderbelasteter, Mitläufer oder gar unbelastet? In den beiden ersten Instanzen wurde er freigesprochen, in dritter Instanz als „Minderbelasteter“ verurteilt. Erst im vierten Anlauf wurde Krauß als „Mitläufer“ eingestuft. Er legte dagegen Berufung ein – vergeblich.

Die Akte Krauß erzählt die unheimliche Geschichte einer deutschen Karriere. Sie ähnelt in verblüffender Weise dem schier unaufhaltsamen Aufstieg des Staatsschauspielers Gustaf Gründgens, des berühmten Mephisto aus dem gleichnamigen Schlüsselroman von Klaus Mann. Gründgens (der bei Mann Hendrik Höfgen heißt) brachte es zum Generalintendanten der Preußischen Staatstheater.

Gründgens wurde zum Aushängeschild der Nazis. Nach 1945 ging seine Karriere nahtlos am Düsseldorfer Schauspielhaus weiter. „Ich habe ein Gesicht bekommen, das genügt. Aber ich habe nicht mein Gesicht“, hat Gründgens 1932 gesagt. Der Satz könnte genauso gut von Werner Krauß stammen. Der Gesichtsverlust beider Künstler steht exemplarisch für die Signatur einer Epoche. Darin liegt die Dramatik ihrer Geschichten.

Der Fall Krauß zeigt, wie schwierig es für die damalige überforderte Justiz gewesen ist, gegen einen sich als völlig unpolitisch ausgebenden Menschen Recht zu sprechen. Krauß begriff sich als ein über alles Alltägliche erhabenes Künstlergenie. Er war in der Nazizeit mit dem schon damals weltberühmten, 1933 emigrierten Schriftsteller Carl Zuckmayer befreundet. Auf dessen entlastende Aussagen stützte sich auch die Justiz. Zuckmayer merkte an, dass Schauspieler unter einer Berufskrankheit litten: „Die meisten Schauspieler neigen zu einer Art von Infantilismus.“ Schauspieler wie Krauß trügen „deutliche Züge von Schizophrenie“.

Krauß' Wandlungsfähigkeit ging bis zur Selbstaufgabe. Im Hitlerstaat war das Konstrukt einer unpolitischen Kunst per se fragwürdig geworden, da es im engen Sinne keine unpolitischen Äußerungen mehr gab. Nach dem Krieg musste ihn sein Anpassungsgeschick kompromittieren. Eben darauf zielte die Anklage, die Krauß vorwarf, durch seine Rollen in „Jud Süß“ den „Nationalsozialismus wesentlich unterstützt“ zu haben.

Dabei trat Krauß zu keinem Zeitpunkt der NSDAP bei und behauptete auch 1947 vor Gericht: „Ich kann nur sagen, ich bin niemals ein Antisemit gewesen.“ – War Krauß ein Antisemit? „Wenn ja, dann nicht im politischen, höchstens in einem nebelhaft-unklaren, gefühlsmäßigen Sinn. Sicher war er nie ein Judenhasser nach der Nazidoktrin“, meinte Zuckmayer. Dem Angeklagten kam es zugute, dass renommierte Künstler wie Erich Kästner und Gründgens vor Gericht versicherten, dass sie bei Krauß „nie Antisemitismus“ hätten beobachten können. Krauß pflegte seine Freundschaften zu Juden auch nach 1933 weiter, arbeitete eng mit Max Reinhardt zusammen. Ebenso beteiligte er sich laut Zeugenaussagen an Geldspenden für verfolgte Juden, wie im Fall des Wiener Regisseurs Emil Lind. Um welche Summen es sich handelte, ist indes nicht bekannt. Doch auf der anderen Seite standen die Zeugenaussagen der Exilanten Ludwig Berger und Fritz Kortner. Die Regisseure behaupteten, Krauß sei „herzlich antisemitisch“. Bereits die Shylock-Rolle im „Kaufmann von Venedig“ habe Krauß so gespielt, dass der Jude Shylock diffamiert worden sei.

Noch schwieriger war es für die Richter, eine Antwort auf die Frage zu finden, weshalb Krauß überhaupt im Film „Jud Süß“ mitgewirkt hatte. Der Angeklagte verteidigte sich vor Gericht: Erstens sei er von Goebbels unter Druck gesetzt worden. Zunächst habe er eine Mitarbeit an diesem Film abgelehnt. Aus Angst vor dem KZ habe er schließlich doch nachgegeben. „Ich zerstörte mir meinen eigenen Grund, den ich mir aufgebaut habe, aber nicht von mir aus – denn für so dumm darf man mich nicht halten -, sondern auf das Drängen höherer Gewalten.“

Sprach er die Wahrheit? Oder spielte Krauß vor Gericht eine Rolle, so wie viele andere ehemalige Funktionsträger, nicht zuletzt der „Jud-Süß“-Regisseur Veit Harlan, nach 1945? Die Spruchkammerakte zeigt, dass die Richter erhebliche Zweifel an Krauß“ Aussagen hatten.

Der Angeklagte sagte vor Gericht zweitens, er habe in „Jud Süß“ die jüdischen Figuren „so sauber“ gespielt, „wie mir es überhaupt möglich war“. Ursprünglich seien sie boshaft geschrieben worden, doch er habe sie „in humoristischer Weise“ dargestellt. Außerdem habe er durch sein Mitwirken Schlimmeres verhüten wollen.

Das Filmmaterial, das heute weit gehend verboten ist, spricht jedoch eine eigene, eindeutige Sprache. Krauß setzte groteske Akzente, bediente mit seiner angeblich „humoristischen“ Spielweise schlimmste antisemitische Klischees. Im Kino sahen 20,3 Millionen Zuschauer die Bildersprache des „Stürmers“.

Der hochbegabte Schauspieler Krauß hat – so wie die Regisseurin Leni Riefenstahl, wie Harlan und Gründgens – bis zuletzt die politische Dimension seines Arrangements mit dem Hitlerstaat verdrängt. Er erhielt von der US-Militärregierung in den Jahren 1945 bis 1948 Berufsverbot. 1948 trat er wieder im Burgtheater auf. Man verlieh dem Künstler in späteren Jahren den Ehrenring der Stadt Wien und den Iffland-Ring. Werner Krauß starb am 20. Oktober 1959 in Wien. Am Tag seiner Beerdigung kamen viele tausend Menschen. Erst wurde der Sarg im Hofburgtrakt des Burgtheaters aufgebahrt, dann wurde er um das Theater getragen. Niemand hielt eine Rede. Auf dem Burgtheater wehte eine schwarze Fahne.

Info:
Die Spruchkammerakte Werner Krauß. Ediert, eingeleitet und kommentiert von Gunther Nickel und Johanna Schrön. In: Zuckmayer-Jahrbuch 2003, Band 6. Wallstein-Verlag, Göttingen 2003, 40 Euro.

Quelle: Stuttgarter Zeitung, 29.11.2003

Chronik des Rotary Clubs München

Thomas Mann war nicht amüsiert. „Wie sieht es aus in diesen Menschen?“ notierte er unter dem Datum des 8. April 1933 in sein Tagebuch. In einem kargen Brief hatte ihm der Rotary Club München mitgeteilt, daß auf die Mitgliedschaft des Schriftstellers kein Wert mehr gelegt werde. Thomas Mann werde „die Entwicklung in Deutschland genügend verfolgt haben, um zu verstehen, daß wir es für unvermeidlich halten, Sie aus unserer Mitgliederliste zu streichen“. Der Tagebuchschreiber Mann quittierte den Rauswurf mit „Staunen über den Seelenzustand dieser Menschen, die mich, eben noch die ,Zierde' ihrer Vereinigung, ausstoßen ohne ein Wort des Bedauerns, des Dankes, als sei es ganz selbstverständlich“.

Der Ausschluß Manns ist Teil der Geschichte einer Kapitulation einer bürgerlichen Elite vor dem nationalsozialistischen Regime, die der Münchner Medizinhistoriker Paul U. Unschuld in einer Chronik des Rotary Clubs München untersucht. Gestützt auf die Akten des Clubs, die lange Zeit in der DDR lagerten und nach der deutschen Vereinigung in das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin eingegliedert wurden, zeichnet er nach, wie Anpassung in einer Diktatur zu einem moralischen Bankrott führen kann.

Der Rotary Club München ist 1928 gegründet worden; das Mitgliedsverzeichnis der Anfangsjahre war ein Who's who der Münchner Gesellschaft. Die Nationalsozialisten standen den deutschen Rotary Clubs argwöhnisch gegenüber, schon wegen ihrer Verbindungen mit den ausländischen Partnervereinigungen. Auf den Druck, den die Nationalsozialisten nach der Machtübernahme auf die Rotary Clubs ausübten, wurde mit eilfertigen Ausschlüssen von Mitgliedern und Anbiederung an die neuen Herrscher reagiert. Der Sekretär des Münchner Clubs wies am 6. März 1934 in einem Brief den Stellvertreter Hitlers, Rudolf Heß, hin auf „die ungeheuer wirksamen Propagandamöglichkeiten, die der Rotary Club durch seine weltumspannende Organisation besitzt“. Die Politik des rotarischen Appeasements scheiterte: Im Oktober 1937, nachdem die Nationalsozialisten beschlossen hatten, daß eine Zugehörigkeit zu Rotary nicht vereinbar mit einer Mitgliedschaft in der NSDAP sei, lösten sich die deutschen Clubs auf. Der Münchner Club entstand nach dem Krieg wieder; er ist der Herausgeber der Studie und setzt damit ein Zeichen für eine noch immer nicht selbstverständliche Erinnerungskultur.

Info:
Paul U. Unschuld: Chronik des Rotary Clubs München.
Cygnus Verlag, München 2003. 241 Seiten, 36,50 [Euro]

Quelle: FAZ, 26.11.2003

Georg-Queri-Ausstellung im Heimatmuseum Starnberg

Am 26. Oktober 1912 fasste die Strafkammer beim Landgericht München I den Beschluss, das gerade im Piper-Verlag erschienene Buch von Georg Queri „Kraftbayrisch“, ein Wörterbuch der erotischen und skatologischen Redensarten der Altbayern, zu beschlagnahmen. Der darauf folgende Prozess wurde erst durch das engagierte gutachterliche Eintreten von Ludwig Thoma, Ludwig Ganghofer und Otto Maußer, Leiter der gerade eingesetzten Wörterbuchkommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, zu Gunsten Queris entschieden.

Der Streit um dieses „Skandalbuch“ steht im Mittelpunkt einer Ausstellung des Staatsarchivs München, die jetzt noch einmal im Heimatmuseum Starnberg gezeigt wird. Neben den im Staatsarchiv verwahrten Unterlagen des berühmt-berüchtigten Zensurbeirats bei der Polizeidirektion München, darunter die negativen Gutachten von Josef Ruederer und Josef Hofmiller, werden erstmals auch die drei positiven Gutachten gezeigt, die sich in Queris Nachlass fanden.

Aufgrund der Auswertung dieses Nachlasses, der sich im Privatbesitz einer Starnberger Familie befindet, werden in dieser Ausstellung noch weitere unbekannte Seiten des 1879 in Frieding geborenen und 1919 in Starnberg beerdigten Georg Queri aufgeschlagen: zum Beispiel seine Schulzeit in Starnberg und Neuburg an der Donau, seine Verwicklung als Chefredakteur des „Starnberger Land- und Seeboten“ in die von dem Publizisten Maximilian Harden angezettelte Homosexuellen-Affäre um den Fürsten Eulenburg, Freund Kaiser Wilhelms II., im Frühjahr 1908 oder seine volkskundlichen Recherchen im Januar 1911 über das Haberfeldtreiben im Kreisarchiv München und die drohende Konfiskation seines daraus entstandenen Buches „Bauernerotik und Bauernfehme in Oberbayern“.

Zur Ausstellung hat Michael Stephan, Direktor am Staatsarchiv München, ein Begleitbuch zusammengestellt, das zahlreiche bisher unveröffentlichte Dokumente – darunter alle Gutachten aus dem Prozess um „Kraftbayrisch“ – und Briefe sowie eine kleine Auswahl an Texten Queris enthält, die seit über zwei Jahrzehnten im Buchhandel nicht mehr lieferbar sind.

Die Starnberger Ausstellung von Stadtarchivar Wolfgang Pusch lehnt sich inhaltlich wesentlich an das Münchener Vorbild an, versucht jedoch mittels amtlicher und persönlicher Dokumente, Briefe und Fotografien den „Starnberg-Bezug“ Georg Queris noch etwas stärker herauszuarbeiten. Einen weiteren Schwerpunkt bildet das umfangreiche journalistische und schriftstellerische Werk des im Alter von 40 Jahren früh Verstorbenen.

Info:
Georg Queri: Die Ausstellung im Heimatmuseum Starnberg ist bis 25. Januar 2004 zu sehen. Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags von 10 bis 12 und 14 bis 17 Uhr.

Kontakt:
Heimatmuseum Starnberg
Heimatmuseum und Stadtarchiv Starnberg
Wolfgang Pusch
Vogelanger 2
82319 Starnberg
Tel: 08151/772 161
e-Mail: wolfgang.pusch@starnberg.de

Quelle: Merkur online, 28.11.2003

Bei Arbeit im Archiv Stundenzahl gestutzt

Die Arbeit im Stadtarchiv Schongau soll, was den Zeitaufwand angeht, drastisch gestutzt werden. Die Bürgerlichen im Stadtrat, sprich CSU und UWV, haben angeblich hinter verschlossenen Türen einen entsprechenden Antrag durchgesetzt. Demnach soll der zeitliche Rahmen auf zehn Stunden pro Woche festgesetzt werden.

Stadtarchivar Richard Ide sagte am Donnerstag, er wisse von diesem Beschluss noch nichts. Er habe jedoch gehört, dass CSU und UWV einen solchen Antrag formuliert hätten. Weil diese Entscheidung auch im Zusammenhang mit Ides Arbeitsvertrag steht, der bislang offiziell Stadtarchiv und Stadtmuseum leitet, ist das Thema nicht öffentlich behandelt worden.

CSU-Fraktionssprecher Peter Blüml erklärte am Donnerstag, dass zehn Stunden Archivarbeit pro Woche in Schongau ausreichen würden. Damit entspreche man in Zeiten knapper Kassen auch der Auffassung, die von der Rechtsaufsicht im Landratsamt vertreten werde. Der zuständige Abteilungschef Wolfgang Pichura hatte im Oktober in einem Brief an Bürgermeister Dr. Friedrich Zeller verdeutlicht, dass das Archiv zu den Pflichtaufgaben einer jeden Stadt und Gemeinde gehöre. Eine Schließung oder ein zeitweiliges Einstellen dieser Arbeit sei nicht möglich. Das Archiv gilt allgemein als „Gewissen“ einer Kommune.

Kontakt:
Stadtarchiv Schongau
Christophstr. 53-57
86956 Schongau
Tel.: (08861) 20602
Fax: (08861) 200625

Quelle: Merkur online, 28.11.2003

Geschichte(n) der „Oberpfälzer Heimat“

Vor dem ersten Advent wird in Weiden traditionell der neue Jahresband der „Oberpfälzer Heimat“ vorgestellt. Stadtarchivarin Annemarie Krauß präsentierte zudem den neuen Verleger des Hefts, Eckhard Bodner aus Pressath. Rektor Adalbert Busl aus Wiesau, der langjährige Schriftleiter des Jahresbandes des Heimatkundlichen Arbeitskreises im OWV Weiden, erklärte den notwendigen Druckereiwechsel, schilderte die finanzielle Situation und dankte dem Stadtarchiv – Franz Bergler und Familie Kastner – für Vertrieb und Versand.

Busl präsentierte die einzelnen Aufsätze: Ernst Thomann beweist wieder einmal sein fundiertes wissenschaftliches „Interesse an römischen Funden aus der mittleren Oberpfalz“, während Rolf Jacob „die Verehrung der hl. Kümmernis“ erforscht. Harald Fähnrich untersucht den „Botzerheiligen vom Botzerberg“, und Rudolf Rösler skizziert „Joseph Sintzel als erfolgreichen Fachschriftsteller und ersten Forsthistoriker Ostbayerns“.

Busl verfasste „Heinrich von Guttenstein und der Wald der Stadt Bärnau“. Literaturwissenschaftler Manfred Knedlik schreib über die „literarische Entdeckung des Bayerisches Waldes“. Stadtarchivarin Annemarie Krauß erforschte erstmals „die Versteigerung des Bild-Mobiliars des Waldsassener Kastens“ von 1803. Rektor Josef Eimer schildert „das Schicksal des Grünauers Josef Kick, gefallen 1918“. Über „das erste Oratorium auf deutschem Boden vor 350 Jahren in Amberg“ berichtet Karl Schwämmlein.

„Tännesberger in der Fremde“ untersuchte Erich Wolf, während Georg Schmidbauer eine „kleine Chronik der ehemaligen Volksschule Oberbernrieth“ erstellte. Über die „Geschichte des Dorfes Gschwand“ (= Reuth) erzählt Werner Perlinger. Und den „Kurzführer für das Stadtarchiv Amberg“ rezensierte Petra Vorsatz. Schriftleiter Busl wies darauf hin, dass das Heft ab sofort in allen Buchhandlungen zu einem Preis von elf Euro erhältlich ist. Im Abonnement (c/o Stadtarchiv Weiden) kostet der Jahresband neun Euro.

Stadtarchivarin Annemarie Krauß präsentierte anschließend ihr Weihnachtsheft 2003 „Pater Aegidius Holler in der Benediktinerabtei Attl am Inn“, das sie als Ergänzung zum „Weihnachtsheft 1994“ versteht – eine Hommage an die musikalische Familie Holler des Maschinenhammers Sperlhammer bei Rothenstadt. Stadtarchivarin Vorsatz lud zur nächsten Exkursion des Heimatkundlichen Arbeitskreises nach Pfreimd, Neusath und Nabburg, „Kripperl schau'n“, am Sonntag, 7. 12., hin. Abfahrt um 13.30 Uhr am Neuen Rathaus. Anmeldungen ab sofort im Stadtarchiv.

Kontakt:
Stadtarchiv Weiden i.d. Oberpfalz
Pfarrplatz 4
92637 Weiden in der Oberpfalz
Telefon 0961/ 4703900

Quelle: Oberpfalznetz, 27.11.2003

Meisenheims Archiv klimatisiert lagern

Soll das Stadtarchiv von Meisenheim nach Koblenz ausgelagert werden oder nicht? Die Fraktionen diskutierten dies im Stadtrat. Auf Walter Wallas Antrag einigten man sich, dem Historischen Verein die Dokumente für sechs Monaten zu übergeben, der diese ordnungs- und sachgemäß archivieren will. Danach soll weiterberaten werden. 

Wie berichtet, sollten die im Stadtarchivalien für fünf Jahre ausgelagert werden in das Koblenzer Landesarchiv. Dortige Expertinnen hatten festgestellt, dass im Untertor-Turm, wo die „Meisenheimer Geschichte“ lagert, die Bedingungen wenig günstig sei, was den Dokumenten schade. Eine Klimaanlage für das Stadtarchiv kann sich Meisenheim nicht leisten. Stadtchef Volkhard Waelder schlug vor, „Reste“ des Stadtarchivs bei der Feuerwehr unterzubringen. Daniel Schillinger und die SPD-Fraktion wollten sich damit nicht anfreunden, das Feuerwehrhaus sei keine Alternative. Und rund 7 500 Euro Aufbewahrungskosten in Koblenz schien den Sozialdemokraten zu hoch.

Waelder verteidigte diesen Kostenrahmen, lehnte aber eine Klimaanlage ab. „Die muss 365 Tage im Jahr brummen, das läuft auf hohe Stromkosten hinaus, die wir uns nicht leisten können“. Walter Walla von den Grüne zitierte im Rat einen Brief des Historischen Vereins an die Stadt, wonach der Verein das Archiv betreuen wolle. Es würde sich der Verein auch um sachgemäße Lagerung der Dokumente. Walla wies darauf hin, dass bei einem Verbleib der Dokument in Meisenheim diese der Öffentlichkeit zugänglich blieben.

Waelder hatte für dieses Argument nichts übrig: „Während meiner Amtszeit war niemand da, der Einblicke in die Dokumente nehmen wollte“, sagte Waelder und fügte an, man könne sich über das Begehren des Historischen Vereins unterhalten, „wenn der garantiert, die Unterlagen sachgemäß zu lagern“, und zwar ohne Hilfe von der Stadt.

Die Beigeordnete Irene Lautenschläger (SPD) erinnerte Waelder an Vorleistungen des Historischen Vereins, der notwendige Arbeiten im Stadtarchiv unterstützte. „Und eventuell sind neue Räume vorhanden, in denen das Stadtarchiv untergebracht werden kann“, gab sich Lautenschläger geheimnisvoll, ohne die Adresse zu nennen. Waelders Antwort, „das Stadtarchiv sei nicht Eigentum des Historischen Vereins“ endete in der Entscheidung, dem Verein ein halbes Jahr Akten und Dokumente zu überlassen. „Dann sehen wir weiter, was daraus geworden ist“, stellte der skeptisch blickende Stadtbürgermeister fest.

Quelle: Allgemeine Zeitung, 28.11.2003

Schwandorfer „Nummerntaferln“ nahezu komplett

Museumsleiterin Eva-Maria Kutzer stöberte mit Stadtbediensteten auf dem Dachboden des alten Rathauses, dem Pfleghof, in Schwandorf herum. Hinter einem Bretterverschlag entdeckten sie Spannendes und Einmaliges. Alte Schwandorfer „Nummerntaferln“ samt zugehöriger Karteikarten. In seiner Vollständigkeit für Archivare und Stadthistoriker ein Fund von unschätzbarem Wert.

Archivar Josef Fischer hat erst einige wenige dieser bleischweren, zum Teil emaillierten Blechtafeln „geborgen“, gewaschen und dazu ein paar Karteikarten gesichtet. Er sitzt momentan mehr oder weniger auf Umzugskisten. Denn das Stadtarchiv zieht ebenfalls vom Pfleghof in das neue Rathaus um, zwar früher als alle anderen und wahrscheinlich auch länger. Am 2. Dezember, gut zwei Wochen vor der Verwaltung, werden die ersten stadtgeschichtlichen Dokumente ihren Standort wechseln.

Kompakte Drehregale

Wie lange es dauert, bis im Keller des früheren Elisabethenheimes alles an Ort und Stelle ist, vermag Fischer nicht zu prognostizieren. Die Archivleute packen „ihre Schätze“ selber ein und räumen sie gleich in die kompakten, platzsparenden Drehregale. Die Archivräume im Westflügel des Rathauses sind über einen Nebeneingang zu erreichen.

Für Besucher – das Archiv kann jedermann nutzen – wird ein Leseraum eingerichtet. Im Frühjahr 2004 plant der Stadtarchivar eine Führung. „Viele Bürger wissen gar nicht, was wir alles haben, Dokumente von der Stadt, der Großen Kreisstadt und allen einst selbstständigen Ortsteilen“. Ihm fallen da zum Beispiel die Notenlisten der Klardorfer Schule ein, die bis ins Jahr 1872 zurückgehen. Das bisher auf verschiedene Orte verteilte Archivmaterial wird im neuen Rathaus erstmals zusammengeführt. „Das heißt aber noch nicht, dass alles ausgewertet oder bewertet ist,“ sagt Fischer.

Alles aufgehoben

Vor Überraschungen ist Fischer nie gefeit. Größere dürfte der Dachboden des alten Rathauses aber nicht mehr bergen. Fischer weiß allerdings inzwischen eines: „Weggeworfen hat die Stadt praktisch nichts. Die Kennzeichen und die Unterlagen wurden dort oben aufgehoben oder möglicherweise entsorgt, auf jeden Fall vergessen“.

„E 5001“ bis „e 5100“

Die Schilder jetzt aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken, ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Drecksarbeit. Schutt, Asche und Staub von Jahrzehnten haben den Mantel der Stadtgeschichte über die Dokumente gebreitet lassen nicht einmal ahnen, was auf den Tafeln steht. Schwandorfer Kraftfahrzeuge trugen zu Beginn der Motorisierung die Kombination „E 5001“ bis „E 5100“. Das steht fest. Das hat Fischer schon vor der Dachbodenentdeckung gewusst und zwar seit 22. Juli diesen Jahres.

Der Sammler von Hameln

Im Juli hat ein Sammler aus Hameln bei Fischer wegen Kennzeichen aus dem Deutschen Reich nachgefragt und ihm das mitgeteilt. Zu diesem Zeitpunkt wusste Fischer aber noch nichts von den „Nummerntaferln“. Er geht davon aus, dass die Dokumente nahezu vollständig sind und eine stadthistorische Lücke schließen. Eines zeigt sich bereits: Geschäftsleute und Ärzte konnten sich motorisierte Fahrzeuge leisten.

Der Sammler hätte Fischer den neuen Fund gleich komplett abgekauft. Den gibt er aber nicht her. Nur Eva-Maria Kutzer bekommt die „Nummerntaferln“ für das Museumsdepot und den Dachziegel von der „Thonwarenfabrik Schwandorf“, der unter den Kennzeichen lag, ebenso. Aber sie muss sich noch gedulden.

Kontakt:
Stadtarchiv Schwandorf (Bayern), Stadtverwaltung
Kirchengasse 1
92421 Schwandorf (Bayern)
Tel.: (09431) 45-129
Fax: (09431) 3597
Email: info@schwandorf.de
Web: http://www.schwandorf.de
 
Quelle: Oberpfalznetz, 26.11.2003

Alben füllen zwölf Kartons

Fünf Jahrzehnte dokumentierte Industriegeschichte macht die Shell & DEA Oil GmbH der Stadt Wesseling zum Geschenk. Willem Schoeber, Werksleiter der Rheinland-Raffinerie, überbrachte Bürgermeister Günter Ditgens das historische Fotoarchiv der Raffinerie aus der Zeit der Union Kraftstoff.

2.000 Fotos mit Negativen, teils noch auf Glasplatten, Fotoalben aus den Jahren 1939 bis19'41 mit 1.800 Fotos, Negativstreifen von rund 20.000 Fotos und 1.500 Farbdias – das alte UK-Archiv füllt stolze zwölf Umzugskartons. Trotzdem werden der Stadtarchivarin Martina Zech ob der Fülle des einzusortierenden Materials wohl keine grauen Haare wachsen. Die Fotos sind nämlich größtenteils katalogisiert, die neueren sogar in einer Computer-Datenbank. Aufnahmebücher und den Computerkatalog bekommt die Stadt mitgeliefert. „Das ist eben deutsche Gründlichkeit“, sagte Raffineriechef Schoeber, selbst ein Niederländer.

Die Sammlung beginnt im Jahr 1938 und endet – vorläufig – 1989. Die ersten Fotos zeigen das Grundstück, auf dem die Raffinerie gebaut werden sollte. Jeder Bauabschnitt und jede Anlagenerweiterung wurden anschließend akribisch dokumentiert. Auch, was der Werk mit Leben erfüllt hat, findet sich wieder. Zahlreiche Fotos entstanden bei Jubiläen und Geburtstagen, bei Pensionärstreffen und Schwimmfesten – und natürlich bei den Sitzungen der werkseigenen Karnevalsgesellschaft KG Union. Für die jecken Partys wurde eigens die Werkskantine zum „exterritorialen Gebiet“ erklärt, so Schoeber, so konnte das strikte Alkoholverbot auf dem Werksgelände elegant umschifft werden.

Willem Schoeber betonte, dass sich Shell & DEA Oil mit der Übergabe des alten Archivs nicht von ihrer Geschichte lossagen wolle. Aber: „Die Fotos dokumentieren mehr als Werksgeschichte. Sie zeigen einen Teil der Geschichte Wesselings und der deutschen Industriegeschichte“, so der Werksleiter. Über das Stadtarchiv könne das Material jedermann zur Verfügung gestellt werden. Schoeber: „Das ist ein Reichtum an Informationen, der nicht nur für Heimatforscher unheimlich interessant ist.“ Auch Bürgermeister Günter Ditgens hob bei der Übergabe hervor: „Die Geschichte einer Stadt zu bewahren, ist Aufgabe der öffentlichen Hand.“

Auch in Zukunft will Shell & DEA Oil die eigene Geschichte fotografisch festhalten. „In 20 Jahren gibt's dann den nächsten Schwung“, versprach Schoeber augenzwinkernd.

Kontakt:
Stadtarchiv Wesseling
Rathausplatz / Postfach 1567
Postfach 1567
D-50387 Wesseling

Telefon: 02236-701-319
Telefax: 02236-701-339

Quelle: Kölnische Rundschau, 26.11.2003

Stadtgeschichte Meschede in vielen Bildern

Sein Archiv ist so groß, dass er eher zu viele Bilder zur Auswahl hat als zu wenig. Bernd Schultes zweiter Band „Meschede Zeitzeugen 1945-2003“ ist jetzt erschienen. Der Band dokumentiert die Entwicklung der Stadt nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges bis heute. „Schwerpunkt ist die Vereinsarbeit, die der Schützen, der Kolpingsfamilie und der Karneval“, sagt Bernd Schulte. Die Arbeit am Band 3 der Reihe sei schon weit fortgeschritten, dann werde der Sport mehr in den Mittelpunkt rücken. Auch ein vierter Band sei schon in Planung.

Den Einband ziert, neben einigen markanten Bildern von der Kreisstadt, die Bürgermeisterkette mit dem Stadtwappen. 1959 ist sie angefertigt worden, Bürgermeister Engelbert Dick hat sie erstmals zum 1000-jährigen Bestehen der Stadt getragen. Meschedes sechs Bürgermeister sind ebenso ein Thema wie die kommunale Neugliederung 1975 aus der die heutige Stadt als Kreisstadt des Hochsauerlandkreis entstand „Die Zusammenarbeit mit Bürgermeister Uli Hess war sehr angenehm“, lobt Bernd Schulte, „auch der Hochsauerlandkreis hat viel zum Gelingen beigetragen.“ Zum einen dadurch, dass er Schulte ausgiebig in die Archive blicken ließ, zum anderen habe er in vielen Gesprächen wertvolle Antworten erhalten.

„Meschede Zeitzeugen 1945-2003“ ist in einer Auflage von 2000 Stück erschienen. Es gibt den Band in allen Mescheder Buchhandlungen für 34 Euro. 

Quelle: Westfalenpost, 26.11.2003

Sorgen um Zürichs literarische Archive

Literaturarchive und Kantonsbibliotheken können davon ein Lied singen. Als Institutionen der öffentlichen Hand sind sie verpflichtet, die ihnen angetragenen Nachlässe nicht nur entgegenzunehmen, sondern auch zu archivieren. Doch zumal die Hinterlassenschaften namhafter Autoren werden häufig in eigens errichtete Stiftungen oder Archive eingebracht. Diese Unabhängigkeit garantiert eine tiefere Erschliessung des Nachlasses und eine publikumswirksamere Bewirtschaftung. Die Kostenfolgen und die damit verbundenen Probleme indessen bleiben dieselben.

In der Stadt Zürich befinden sich gleich vier solche literarische Juwelen: Sie sind öffentlich zugänglich, sie ziehen Forscher und Interessierte aus der ganzen Welt an, und sie haben alle – mehr oder weniger grosse – Geldsorgen. Auf Rosen gebettet ist keine dieser Institutionen, doch zumindest zwei sind nicht von akuten Nöten betroffen: Das Thomas-Mann-Archiv gehört der Eidgenossenschaft und ist der ETH Zürich angeschlossen. Die James-Joyce-Stiftung wiederum ist ein Sonderfall unter diesen Institutionen, da hier kein Nachlass verwaltet wird. Vielmehr versteht sich die Einrichtung als Forschungsstelle, die für Forscher und Interessierte aus aller Welt die wohl umfänglichste öffentlich zugängliche Joyce-Bibliothek Europas bietet. Die laufenden Kosten werden aus den Erträgen des von der ehemaligen Schweizerischen Bankgesellschaft und von zahlreichen weiteren Firmen einbezahlten Stiftungskapitals bestritten.

Das ebenfalls der ETH angegliederte, aber durch wenn auch bescheidene Erträge finanziell unabhängige Max-Frisch-Archiv wiederum versucht derzeit, seine Finanzierung auf eine solidere (sprich: grosszügigere) und vor allen Dingen längerfristig gesicherte Grundlage zu stellen. Aufgeschreckt hat indessen das Robert-Walser-Archiv, das Kronjuwel unter den Archiven, als es unlängst bekannt gab, dass ihm Ende Jahr die Zahlungsunfähigkeit und damit die Schliessung drohten. Inzwischen konnte, wie Bernhard Echte auf Nachfrage erläuterte, zumindest mit kleineren Zuwendungen (u. a. von der Stadt Zürich) das Überleben bis – vermutlich – Ende 2004 gewährleistet werden. Längerfristig aber müsste das Archiv einerseits eine solide Kapitalbasis erhalten, anderseits wünscht man sich einen Beitrag der öffentlichen Hand an die laufenden Betriebskosten.

Hier aber werden – nicht nur wegen leerer Kassen – weiträumig Skepsis und Unzuständigkeit signalisiert. David Streiff vom Bundesamt für Kultur sichert zwar jede denkbare moralische und ideelle Unterstützung zu, hat jedoch keine Handhabe, um über punktuelle Zuschüsse hinaus wiederkehrende Beiträge an die Betriebskosten auszurichten. Die Stadt Zürich wiederum hat zwar mit einem spontan überwiesenen Betrag dem Archiv etwas Luft verschafft, doch macht sie eine wiederkehrende Unterstützung in Form eines Standortbeitrages (der vom Gemeinderat bewilligt werden müsste) von einer Beteiligung des Kantons oder des Bundes abhängig.

Gleichzeitig fürchtet die Stadt, auf diesem Weg auch die Begehrlichkeiten der übrigen Institute aufzustacheln. Zumal Walter Obschlager, Leiter des Frisch-Archivs, möchte von der Stadt längerfristig eine Aussage darüber, was und wie viel ihr an einem in Zürich angesiedelten Max-Frisch- Archiv gelegen sei. Ein ähnliches Bekenntnis erhofft man sich indes auch im Strauhof, wo die James-Joyce-Stiftung bei der Stadt eingemietet ist. Auf April 2004 muss die Stiftung dort eine drastische Mieterhöhung hinnehmen, und sie hat ausserdem zu gewärtigen, dass nach Ablauf einer dreijährigen Übergangsfrist die Miete noch einmal kräftig angehoben wird, was dann freilich nach Aussage von Fritz Senn an die Substanz gehen und Einschränkungen im Betrieb erforderlich machen würde.

Derweil winkt man aus dem Walser-Archiv mit dem Zaunpfahl: Man solle nicht denken, der Nachlass ginge, wenn die Neuordnung der finanziellen Grundlage scheitern sollte, an die Zentralbibliothek Zürich (ZB) oder an eine andere öffentliche Institution in der Schweiz. Man werde dann in Ruhe die Situation analysieren und den Nachlass in jenes Archiv einbringen, das die besten Arbeits- und Rahmenbedingungen für die weitere Erforschung von Walsers Hinterlassenschaft bietet. Selbstredend erwartet man gerade dies von einer Schweizer Bibliothek nicht. Doch wirkt es recht befremdend, wenn nun Walsers Nachlass als Druckmittel gegen die öffentliche Hand verwendet werden soll, nachdem das Bundesamt für Kultur vor vier Jahren mit einer beträchtlichen Summe zum Ankauf bedeutender Walseriana aus der Hinterlassenschaft des Zürcher Antiquars Jörg Schäfer und damit zu einer gewichtigen Arrondierung des Archivs beigetragen hatte.

Mit Blick auf die prekäre Situation aller Archive (das Thomas-Mann-Archiv vielleicht ausgenommen) dürfte längerfristig ein Projekt aus dem Präsidialdepartement der Stadt Zürich von Interesse sein. Dort hat man sich im Zusammenhang mit dem Kulturleitbild Gedanken gemacht über ein städtisches Literaturmuseum. Im Rahmen eines solchen Museums könnte dann wieder eine Idee aufgenommen werden, die früher bereits verschiedentlich diskutiert, aber nie energisch genug konkretisiert worden war: die Zusammenführung der bedeutenden literarischen Archive in einem Haus mit gemeinsamer Infrastruktur bei gleichzeitiger Wahrung der Unabhängigkeit. Sowohl das Walser- wie das Frisch-Archiv hatten sich jeweils gegenüber solchen Überlegungen interessiert gezeigt, und auch die Joyce-Stiftung wäre inzwischen grundsätzlich nicht abgeneigt. Ein solches Museum hätte dann nicht nur einen soliden Grundstock – es böte ausserdem eine hervorragende Plattform für die Präsentation der in den Archiven schlummernden Schätze. Das freilich ist Zukunftsmusik – inzwischen gilt es die akuten Probleme zu lösen. Und sei es, horribile dictu, dass Walser in der ZB überwintern müsste.

Zürichs literarische Archive:

  • Robert-Walser-Archiv
    Zweck: Betreuung, Erschliessung und Erforschung des Nachlasses von Robert Walser sowie weiterer Schriftstellernachlässe.
    Anzahl Stellen: 1,1 (angestrebt: 3).
    Finanzierung: 100 000 Franken jährlich durch Rechteverwertung und etwa 70 000 Franken aus Stiftungskapital. Das Stiftungskapital ist durch die jährlichen Defizite aufgezehrt worden. Das deshalb ausgearbeitete Sanierungskonzept sieht einen Ausbau des Archivs auf 3 Vollzeitstellen vor mit einem Budget, das sich wie folgt zusammensetzt: 100 000 Franken durch Rechteverwertung / 300 000 durch Zuwendungen Dritter. Provisorisch in Aussicht gestellt wurden bisher rund 50 000 Franken, ein Betrag, der den Betrieb bis Ende 2004 sichern würde. Die von der Stadt zugesagten 25 000 Franken decken das Defizit 2003.
  • Thomas-Mann-Archiv
    Zweck: Betreuung, Erschliessung und Erforschung des Nachlasses von Thomas Mann.
    Anzahl Stellen: 2,2 (zuzüglich einer befristeten und durch Drittmittel finanzierten Stelle).
    Finanzierung: Fixkosten (Löhne, Miete) durch ETH Zürich gedeckt, zuzüglich 36 000 Franken frei verfügbar.
  • Max-Frisch-Archiv
    Zweck: Betreuung, Erschliessung, Erforschung und Edition des Nachlasses von Max Frisch.
    Anzahl Stellen: 0,5 bis 1 (abhängig von den Stiftungserträgen und Drittmitteln).
    Finanzierung: Erträge der Max-Frisch-Stiftung (zirka 60 000 Franken jährlich); Miet- und Infrastrukturkosten durch die ETH gedeckt.
  • James-Joyce-Stiftung
    Zweck: Pflege und Erforschung des Werks von James Joyce, kein Nachlassarchiv.
    Anzahl Stellen: 2,6.
    Finanzierung: Erträge des Stiftungskapitals (etwa 7 Millionen Franken).

Quelle: NZZ, 26.11.2003