Firmen- und Familienarchiv Dyckerhoff-Zement

Am 4. Juni 1864 gründete Wilhelm Gustav Dyckerhoff zusammen mit seinen Söhnen Gustav und Rudolf die „Portland-Cement-Fabrik Dyckerhoff & Söhne“ in Amöneburg. Mit 14 Arbeitern und einem Jahresversand von 2.228 Tonnen fing damals alles an. Heute sind in der Unternehmensgruppe Dyckerhoff weltweit 10.043 Mitarbeiter beschäftigt, die insgesamt 18,4 Millionen Tonnen Zement produzieren. Die alteingesessene Amöneburger Firma legt Wert auf Tradition. Sie hält die 140-jährige Geschichte des Unternehmens und der Familie Dyckerhoff in einem sorgfältig gepflegten Firmen- und Familienarchiv im alten Dyckerhoffschen Verwaltungsgebäude an der Biebricher Straße 69 in Wiesbaden fest.

Seit 1987 wird es von der Kunsthistorikerin Dr. Gabriele Fünfrock, geleitet. Sie promovierte über Jakob Friedrich Dyckerhoff, einen Architekten des Frühklassizismus im Großherzogtum Baden. Jakob Friedrich Dyckerhoff war Absolvent der Berliner Bauakademie und ist Zeitgenosse von Carl Friedrich Schinkel.

„Es ist überaus interessant , sich mit alten Fotos zur Firmengeschichte zu beschäftigen“, sagt sie und zeigt auf einzelne Exemplare aus der großen Sammlung von über 7.000 Fotos, die in den Archivräumen der Dyckerhoff AG fachgerecht aufbewahrt werden. In gemeinschaftlicher Arbeit werden sie so genau wie möglich stichwortartig beschrieben. 3.500 Fotos sind auf diese Art jetzt bereits digital verfügbar. Sie erzählen zum Beispiel von Arbeitern, die mit Hacken und Brechstangen im Steinbruch Kalkstein losschlagen, wie dieser dann mit Schubkarren und Pferdefuhrwerken zum Werk gefahren wird und dort in Ringöfen zu Zement verarbeitet werden soll. Weitere Fotos zeigen, wie der in Mühlen fein verarbeitete Zement in der alten Fassfabrik in Fässern verpackt zum Versand vorbereitet wird. Es ist in der deutschen Industriegeschichte wahrscheinlich einmalig, dass Dyckerhoff heute in der Lage ist, seine architektonische, seine produktionstechnische und insbesondere seine außergewöhnliche sozialhistorische Entwicklung zu dokumentieren.

„Ein Werksarchiv kann nur leben“, davon ist Dr. Fünfrock überzeugt, „wenn es von der Geschäftsleitung und der Belegschaft mitgetragen wird“. Begeistert erzählt sie von der „jüngsten Errungenschaft“, die das Archiv vor kurzem von einem Mitglied der Familie Dyckerhoff übernehmen konnte: Es handelt sich um das Tagebuch der Weltreise von Otto und Wilhelm Dyckerhoff, die sie 1898 zur Erforschung des internationalen Zementmarktes unternommen haben. Mit dem Postdampfer sind die Gebrüder Dyckerhoff bis nach Indien, Indonesien, China, und Japan gereist. Das Tagebuch gibt interessante Einblicke, wen sie unterwegs kennen lernten. Sie beschreiben darin die Beschaffenheit des Zements der Konkurrenz und an welche Baubehörden sie sich wandten, um zu versuchen, der meist britischen Konkurrenz die Aufträge abspenstig zu machen.

In den Archivräumen stehen Archivkartons mit Schriftgut, Korrespondenz, Firmenunterlagen und Geschäftsberichten. Hier werden auch lückenlos die für ihre Zeit fortschrittlichen sozialen Leistungen des Unternehmens für seine Mitarbeiter dokumentiert: 1864 Arbeiterkrankenkasse, 1870 Unterstützungskasse für Werksangehörige in Notlagen, 1889 Gründung einer Haushaltsschule für Mädchen, eines Knabenhort und eines Kindergarten, 1904 Stiftung zur Altersversorgung langjähriger Mitarbeiter. Im Archiv gibt es aber auch andere Zeugnisse der Firmengeschichte: Die Instrumente der Werkskapelle aus den 1930er Jahren und alte Tassen aus der Betriebskantine. Jüngst hat die Tochter des ehemaligen Kraftwerkleiters von Dyckerhoff dem Archiv die goldene Armbanduhr überlassen, die ihr Vater zu seinem 25-jährigen Meisterjubiläum von der Geschäftsleitung geschenkt bekam. „Wir haben sogar noch die Rechnung des Biebricher Uhrmachers dazu gefunden“, freut sich Dr. Fünfrock.

Auch größere Objekte unterstehen heute dem Archiv. So wird eine Zement- und Betonprüfmaschine genauso aufbewahrt wie eine Sacknäh- und eine Sackflickmaschine. Auch wiederverwertbare Leinen- und Jutesäcke, in denen früher Zement abgepackt wurde, kommen immer mal wieder zum Archivbestand hinzu.

Das Dyckerhoff'sche Werksarchiv ist zugleich auch Familienarchiv. Und so hängt hier ein alter Stammbaum über dem ehemaligen gründerzeitlichen Vorstandstisch, den die Archivleiterin für das Archiv gesichert hat. Die gesamte Korrespondenz zwischen dem Unternehmensgründer Wilhelm Gustav Dyckerhoff und seinen Söhnen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts liegt hier wohl geordnet in speziellen Archivkartons und vieles mehr: „Die Familie hat immer gesammelt“, sagt Dr. Fünfrock, „was für das Unternehmen und die Familie bedeutend war“.

Das Archiv steht Interessenten prinzipiell offen, wobei Personalakten und besondere Geschäftsunterlagen des Unternehmens natürlich der Vertraulichkeit unterliegen. Hier entstanden Diplom- und Doktorarbeiten, zur Zeit arbeitet ein Mainzer Historiker im Archiv an einer neuen Familienchronik, die im Frühjahr nächsten Jahres erscheinen soll. Denn heute gibt es mehr als 150 Träger des Namens Dyckerhoff. Die derzeitige Geschäftsführung der Dyckerhoff AG fördert das Archiv nach Kräften und betreibt eine offene Informationspolitik.

Quelle: Wiesbadener Tagblatt, 9.10.2003

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.