Der große Archivzweckbau des Hessischen Hauptstaatsarchivs Wiesbaden in der Mosbacher Straße 55 bietet auf seinen insgesamt fast 19.000 Quadratmetern Fläche optimale Bedingungen. Ausgewählte Akten der hessischen Ministerien und sämtlicher Behörden mit zentraler Zuständigkeit für das Land Hessen werden hier übernommen und aufbewahrt. Es ist wichtigstes Dokumentationszentrum für die Geschichte Hessens und dessen historischer Überlieferung aus dem Herzoglich-Nasssauischen Zentralarchiv in Idstein (bis 1866) und Preußischen Staatsarchiv Wiesbaden (bis 1945).
Im eigentlichen Kernbereich des Hauptstaatsarchivs stehen hinter dicken Mauern und ebenso dicken Spezialtüren 9.500 Quadratmeter Magazinflächen auf sieben Stockwerken, zwei davon unterirdisch, zur Verfügung. Hier im Magazinbereich ist alles perfekt klimatisiert und durch Feuerlöschanlagen gesichert. Rund 55.000 laufende Meter Akten und Amtsbücher, die größte und inhaltsreichste Quellengruppe, sind hier in Regalen untergebracht – und jedes Jahr kommen rund 700 Meter dazu. In Spezialschränken haben die Urkunden, Karten, Siegel und Filme im Umfang von umgerechnet weiteren 7.000 laufenden Metern Platz. Was einmal hier gelandet ist, dafür legt Archivdirektor Dr. Diether Degreif die Hand ins Feuer, wird „auf Ewigkeit aufbewahrt“. Unter den 50 Menschen, die hier arbeiten, sind 15 ausgebildete Archivare.
Die Werkstätten
Vorgelagert vor dem eigentlichen Magazinkern befinden sich auf zwei Stockwerken die Büros und Werkstätten. Im Fotolabor werden für den Archivnutzer Fotografien von Archivalien und Reproduktionen für wissenschaftliche Veröffentlichungen und Ausstellungen hergestellt. In der Restaurierungswerkstatt sind das Können und die jahrzehntelange Erfahrung des Restaurators Garantie dafür, dass zerbrochene Siegel, wasser- und brandgeschädigte Pergamente und Papiere und zerrissene Karten oft fast originalgetreu wieder hergestellt werden können und in der ältesten Werkstatt des Archivs, der Buchbinderei, werden nicht nur alte Schätze sorgfältig behandelt, sondern viele der Neuzugänge werden hier oft erst einmal „überholt“, da sie durch den Behördengebrauch abgenutzt sind.
Sicherheitsverfilmung
Im Erdgeschoss des Hauptstaatsarchivs findet auch die Sicherungsverfilmung von Unterlagen aus allen drei hessischen Staatsarchiven statt. Da wertvolle Kunstschätze, ganze Bibliotheken und auch unersetzliche Archivalien immer wieder durch Natur- und Brandkatastrophen oder Kriegsereignisse vernichtet worden sind, gibt es in der Bundesrepublik Deutschland im Auftrag des Bundesinnenministeriums bereits seit 1961 ein Programm zur Sicherung wichtiger und einmaliger historischer Dokumente in den Archiven. Von hier aus werden die Original-Sicherungsfilme in einen ehemaligen Bergwerksstollen im Schwarzwald gebracht, wo alle Bundesländer ihre historische Überlieferung einlagern.
Wahre Schätze
Das Hauptstaatsarchiv beherbergt wahre Schätze. Die älteste Urkunde aus Pergament stammt von 910 und bezeugt eine königliche Schenkung zugunsten des Georgenstifts zu Limburg an der Lahn. Insgesamt besitzt das Hauptstaatsarchiv rund 65 000 Urkunden. Darunter befinden sich zahlreiche Königs- und Papsturkunden sowie die urkundliche Überlieferung der bedeutenden Zisterzienserklöster Eberbach (Rheingau) und Marienstatt (Westerwald), der Abtei Arnstein (Lahn) sowie des besagten Georgenstifts. Die Urkunden und Akten der nassauischen Grafen und Fürsten bilden den historischen Kern der Bestände und für die Zeit von 1806 bis 1866 besitzt das Archiv mit der Überlieferung des Herzogtums Nassau und seiner Behörden eine fast vollständige Dokumentation über einen kleinen Staat im deutschen Bund des 19. Jahrhunderts, die aus genau diesem Grund auch besonders wertvoll ist.
Unter den rund 30.000 historischen Karten und Plänen, darunter Grenz-, Forst-, Gewässer- und Eisenbahnkarten sowie zahlreiche Bauzeichnungen, befinden sich Schätze von großem Wert wie die vier Meter lange Darstellung des Rheinlaufs zwischen Walluf und Rüdesheim aus dem Jahr 1575, die im Zuge einer Auseinandersetzung zwischen den Kurfürsten von Mainz und Pfalz um den Besitz der Rheinauen entstanden ist.
Zeitgenössisches Schriftgut
Wichtigste und auch verantwortungsvollste Aufgabe des Archivars ist es heute, zeitgenössisches Schriftgut für die Übernahme ins Archiv auszuwählen, um künftigen Generationen die Geschichtsschreibung über unsere Epoche zu ermöglichen. Seit 1945 ist das Hauptstaatsarchiv für die laufenden Aktenabgaben der Ministerien und zentralen Landesbehörden zuständig. Hier landet bis zum heutigen Tag das archivwürdige Schriftgut der Ministerien sowie aller Behörden, Gerichte und staatlichen Einrichtungen mit Zuständigkeit für das Land Hessen.
Wie geht das vonstatten? Der Archivar geht zu einem „Aussonderungsbesuch“ in die Behörde und sichtet das Schriftgut, das aus dem normalen Geschäftsbetrieb ausscheidet. Natürlich ist der Prozentsatz der Akten, die zur dauernden Aufbewahrung übernommen werden kann, in den einzelnen Verwaltungszweigen sehr unterschiedlich. Während bei hessischen Ministerien im Durchschnitt bis zu 20/30 Prozent der Akten ausgewählt werden, gibt es kleinere Behörden, von denen die Staatsarchive nur ein Prozent der Akten oder weniger übernehmen. „Die Akten, die wir auswählen, müssen zeittypisch und historisch bedeutsam sein“, erklärt der promovierte Historiker Degreif. Unter den vielen zeittypischen Gerichtsakten beispielsweise über Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz wähle der Archivar dann einige repräsentative aus.
Ganz wichtig ist die möglichst schnelle und gründliche Erschließung der Bestände nach der Übernahme aus den Behörden, um aus einem Archiv kein unbenutzbares Informationsgrab zu machen. 1970 erschien erstmals eine „Übersicht über die Bestände des Hessischen Hauptstaatsarchivs“ vom Jahr 910 bis in die Gegenwart. Seit 1978 veröffentlicht das Hauptstaatsarchiv regelmäßig Findbücher von bedeutenderen Archivbeständen, die neu verzeichnet worden sind.
So öffentlich ging es beileibe in den Archiven nicht immer zu. Die Findbücher, in denen die Bestände inhaltlich erschlossen werden, durften in Preußen erst nach 1900 den Benutzern vorgelegt werden. Bis dahin blieben diese auf den Archivar, das heißt auf dessen mündliche Auskunftserteilung, angewiesen. Vor 1800 blieben Archive grundsätzlich vor der Neugier von Forschenden verschlossen!
1997 begann mit der Einführung von HADIS (Hessisches Archiv-, Dokumentations- und Informationssystem) für alle drei Staatsarchive und deren Nutzer ein neues Zeitalter. Recherchen können jetzt zunächst einmal für den Nutzer am eigenen PC zuhause beginnen, um sich auf den Archivbesuch vorzubereiten. Für die rund 4000 Nutzer, die im Jahresdurchschnitt das Archiv aufsuchen, stehen Lesesaal und verschiedene technische Benutzerräume mit Computerplätzen, Mikrofilmlesegeräten, Elektrokopierer und Readerprintern sowie eine Präsenzbibliothek mit 75 000 Bänden zur Verfügung. Dabei sind die Öffnungszeiten auch hier für Berufstätige nicht gerade freundlich: Nur jeden 2. und 4. Samstag im Monat ist der Lesesaal von 8 bis 12.30 Uhr geöffnet, während der Woche muss der Berufstätige sich sputen: Montag, Mittwoch und Freitag kann er ab 17.15 Uhr nichts mehr erforschen und dienstags und donnerstags schließen die Pforten schon um 16.15 Uhr.
Zu den Hauptnutzergruppen gehörten immer Familien- und Heimatforscher und wissenschaftliche Nutzer. In letzter Zeit finden aber auch immer mehr „normale Bürger“ den Weg ins Archiv, berichtet Dr. Degreif. Sie beschäftigen sich dort beispielsweise mit Umweltfragen, forschen nach Altlasten oder rollen Gerichtsakten von NS-Prozessen, Entnazifizierungsakten oder die Akten der Firma, die Zyklon B entwickelt hat, neu auf.
Kontakt:
Hessisches Hauptstaatsarchiv
Mosbacher Str. 55,
65187 Wiesbaden
Telefon: 0611/881-0
Telefax: 0611/881-145
E-Mail: Poststelle@hhstaw.hessen.de
Internet: http://www.hauptstaatsarchiv.hessen.de
Quelle: Wiesbadener Tagblatt, 7.10.2003