Die Geschichtswerkstätten wurden gestern auf Abstand vom Rathaus gehalten. Anlässlich der Kulturausschusssitzung am Nachmittag verteilten Vertreter der Stadtteilarchive „Kultur-Beutel“, die neben einer an den Bürgermeister adressierten Protestkarte viele Papierschnipsel enthielten, die einen Vorgeschmack auf Hamburgs geschredderte Geschichte geben sollten. Doch der Protest war doppelt vergeblich: Die Beutel-Verteiler wurden der Bannmeile verwiesen, und die drastische Kürzung der Subvention für Hamburgs Geschichtswerkstätten wird erst am Donnerstag, den 11.9., im Kulturausschuss verhandelt.
Quelle: Hamburger Abendblatt, 5.9.2003
Silbernes Examen Marburger DiplomarchivarInnen
Der 15. Kurs des gehobenen Dienstes an der Archivschule Marburg feiert in diesem Monat sein 25. Prüfungsjubiläum. Dazu gibt es eine eigene Website unter www.archivschule25.de mit Kursteilnehmern, Dozenten, Exkursionen, Miscellanea und einem Gästebuch.
Kontakt:
Manfred Simonis
Stadtarchiv Mainz
Rheinallee 3 B
55116 Mainz
Tel.: 06131/12-2660
Manfred.Simonis@Stadt.Mainz.de
Forschungszentrum Kriegsverbrecherprozesse in Marburg
Schmal, lang und steil ist die Treppe, an deren Ende das Verbrechen wartet. Vom Dachgeschoss des Marburger Landgrafenhauses hat der Besucher nicht nur einen prächtigen Blick auf die Altstadt und das Kopfsteinpflaster. Von hier aus bietet sich neuerdings auch ein geradezu enzyklopädischer Einblick in die Monstrosität der menschlichen Natur: Ein gewaltiger Eisenschrank verwahrt auf 400 Filmrollen von je 30 Metern Länge rund 400 000 Seiten brisante Dokumente – Protokolle, Briefwechsel, Vermerke, Erlasse und Urteile gegen Menschen, die während des Zweiten Weltkrieges mordeten, plünderten, massakrierten, vergewaltigten oder auf andere Weise Kriegsverbrechen verübten.
Die Materialien im Eisenschrank bilden den Grundstock für das derzeit wohl ehrgeizigste Projekt einer deutschen Hochschule: Am 1. August hat das „Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse“ seine Arbeit aufgenommen (Bericht). Sämtliche Prozesse, die weltweit gegen Deutsche und Japaner wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen geführt wurden, sollen in Marburg archiviert und ausgewertet werden. Die bereits vorliegenden 400.000 Seiten sind das Resultat einer fünfjährigen Pilotstudie. David Cohen von der University of California, Berkeley, und der Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Dieter Simon, initiierten 1998 das am Frankfurter Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte angesiedelte Vorgängerprojekt. Angesichts von nur ein bis zwei Prozent der fünf- bis achttausend Verfahren, deren Akten bisher vorliegen, wollten Cohen und Simon Licht bringen in dieses dunkle Kapitel der globalen Erinnerungskultur. Das internationale Zentrum, zu dem sich die Initiative jetzt ausgewachsen hat, nennt Dieter Simon eine Sensation allerersten Ranges.
Der Nürnberger Prozess von 1945/46 und seine zwölf Nachfolgeprozesse sollten den Beginn einer neuen Sittlichkeit markieren. Hauptrichter Robert Jackson glaubte, nun sei die Weltbevölkerung endgültig davon überzeugt, „dass ein gerichtliches Verfahren diejenigen zur Rechenschaft ziehen soll, die in Zukunft in ähnlicher Weise die Zivilisation angreifen.“ Es ist anders gekommen. Vietnam, Ruanda, Srebenica waren nicht gerade Beweise für die Lernfähigkeit der Spezies Mensch. Doch immerhin, die Uno richtete Sondertribunale für Kriegsverbrechen ein, und als im November 1996 das erste Urteil gegen einen serbischen Soldaten gefällt wurde, beriefen sich die Richter ausdrücklich auf die Nürnberger Prozesse; Befehlsnotstand, erklärten sie, rechtfertige kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das Marburger Zentrum will auf ähnliche Weise den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) mit Präjudizen versorgen. Der einzige deutsche Richter am ICC, Hans-Peter Kaul, wird sich Ende November in Marburg informieren.
Bis dahin haben sich vielleicht die 400 000 Seiten schon vermehrt. Diese sind das Resultat ausgedehnter Reisen, die David Cohen vor allem im asiatischen Raum unternommen hat. Die 72 Prozesse, die auf den Philippinen gegen japanische Soldaten stattfanden, sind deshalb vollständig erfasst und digitalisiert. Jene 296 Verfahren hingegen, die der australische Staat angestrengt hat, harren noch der Verfilmung. Insgesamt 21 Länder und damit auch 21 unterschiedliche Rechtskulturen gilt es zu bündeln. Arbeit genug für die Leiter des Marburger Zentrums, die Strafrechtler Henning Radtke und Dieter Rössner sowie die Politologen Theo Schiller und Wolfgang Form – zumal in einem zweiten Schritt auch nicht-deutsche und nicht-japanische Angeklagte in den Fokus rücken werden.
Die Utopie dahinter
Gemeinsam mit dem Dresdner Hannah-Arendt-Institut hat man sich des schwierigen Falles der Sowjetunion angenommen. 34.000 Verfahren gegen Kriegsgefangene haben dort bis 1950 stattgefunden, rund 60 Prozent dürften Straftaten vor Mai 1945 betreffen. Ergo schwankt die Zahl der sowjetischen Kriegsverbrecherprozesse zwischen einigen hundert und mehreren tausend. Zwei mit Werkverträgen ausgestattete Historiker versuchen gerade in den russischen Archiven ihr Glück.
Was die Rechtsstaatlichkeit dieser Prozesse und damit ihre Bedeutung für die zukünftige Arbeit des ICC anbelangt, gibt sich der Jurist Radtke keinen Illusionen hin: „Es könnte sein, dass die Unterlagen aus Russland wie auch jene aus China nur historisch interessant sind.“ Wolfgang Form hält die Dokumente selbst dann für praktisch nutzbar, denn „wir brauchen auch eine Negativliste“, einen Kriterienkatalog, nach dem sich die Verfahrensgerechtigkeit oder aber die Staatswillkür bemisst.
In Europa triumphiert der Geist des Disparaten. Am besten erschlossen sind die polnischen Akten; exakt 1817 Deutsche hatten sich vor Gericht zu verantworten. Noch völlig ungeklärt ist die Situation in Belgien, Bulgarien, Dänemark, Griechenland, den Niederlanden, der ehemaligen Tschechoslowakei und Ungarn. Dort fanden zwar Prozesse statt, doch über deren Zahl liegen keine Angaben vor. Zwei Sonderfälle sind Frankreich und Italien. In Paris stoßen die Forscher auf Granit. Man hält sich dort strikt an die gesetzliche Hundert-Jahres-Frist. Erst von 2045 an wäre demnach das Gros der Prozessakten frei zugänglich. Aus anderen Gründen ist die Arbeit in Italien sehr mühsam. Die Archive sind über das ganze Land verstreut, ein zentrales Register existiert nicht, und wer sich von Stadt zu Stadt durchfragen muss, stößt, so Cohen, nicht immer auf auskunftsfreudiges Personal.
Dass die Philipps-Universität den Zuschlag für das Dokumentationszentrum erhielt, dürfte den Erfahrungen im Umgang mit Massenakten geschuldet sein, die man durch ein vergleichbares Projekt gewonnen hat. Während der letzten fünf Jahre wurde im Landgrafenhaus die „politische NS-Strafjustiz in Hessen“ untersucht. „Hochverrat, Landesverrat, Wehrkraftzersetzung“ war der Titel des DFG-Projektes, dessen Abschlussbericht gerade fertiggestellt wurde. Theo Schiller leitete die interdisziplinäre Arbeitsgruppe, und er erhofft sich von der Arbeit im neuen Zentrum ähnlich frappierende Aufschlüsse über den Normenwandel: Sanken von Prozess zu Prozess die Hemmungen, ein Todesurteil auszusprechen? Wie viele dieser Höchststrafen wurden tatsächlich vollstreckt? Gab es, kulturell bedingt, unterschiedliche juristische Strategien?
Letztlich steht hinter dem Forschungs- und Dokumentationszentrum eine große Utopie – die Utopie, dass der Mensch auch in Krisenzeiten seine Mordlust bezwingen und dass dem im besten Sinne menschlichen Handeln vor Gericht dauerhaft Geltung verschafft werden kann. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ist der unmittelbare Ausfluss dieser Utopie. Ihm zuzuarbeiten, ist folgerichtig neben der wissenschaftlichen Forschung der Hauptzweck des Marburger Zentrums. Eine neue, globale Sittlichkeit muss sich daraus nicht unbedingt ergeben; bisher waren, wie Henning Radtke skeptisch anmerkt, die Grundsätze der Menschlichkeit von Land zu Land, von Epoche zu Epoche sehr verschieden. Vielleicht bilden ja alle drei Millionen Seiten, die in wenigen Jahren komplett zusammengetragen sein sollen, die eine große Negativliste: ein Monument des Verwirkten, das immer wieder neu begriffen werden muss, um seiner Unheilsspur zu entkommen.
Quelle: Süddeutsche Zeitung, 6.9.2003
Ascherslebener Archivar im Gefängnis
Hans-Peter Nielitz ist ein rechtschaffener Mann. Dennoch scheint es ihm bestimmt, einen Teil seines Lebens im Knast zu verbringen. Kaum ist der Archivar dem ehemaligen Stadtgefängnis am Ascherslebener Grauen Hof entronnen, richtet er sich im ehemaligen Polizeigefängnis häuslich ein.
„Umzug von einem Knast in den anderen“ hieß es, als die Pläne, das ehemalige Untersuchungsgefängnis von 1894 umzubauen, öffentlich wurden. Nun, etwa anderthalb Jahre später, hat sich das jahrelang leer stehende Gebäude dank architektonischer Raffinessen und einer gründlichen Verjüngungskur zu einem schönen, aber schnörkellos funktionalen Haus gewandelt. Der neue Hausherr weiß hier vor allem das Plus an Platz zu schätzen. „Unsere Besucher wird es freuen“, weiß Nielitz, wenn er an die Vergangenheit denkt.
Denn im alten, engen Gebäude im Grauen Hof konnte stets nur einer in alten Unterlagen stöbern. Im neuen stehen gleich mehrere Plätze zum Arbeiten bereit. Das ist auch gut so, denn „die 1250-Jahr-Feier hat einen regelrechten Boom ausgelöst, dies oder das aus der Stadtgeschichte nachzugrasen“, erzählt der Mann, der selbst über sein Heimatforscher-Hobby zum Beruf fand. Ein weiterer Vorteil: War die umfangreiche Materialsammlung zuvor an mehreren Stellen in der Stadt verteilt, befindet sich jetzt alles unter einem Dach.
Bis sich der Archivar so richtig heimisch fühlt, wird es wohl noch eine Weile dauern. Noch finden die Schlüssel nicht wie von allein die richtige Tür, noch stoßen sich Knie oder Ellbogen an Geländer oder Tischkante. „Es ist einfach alles noch zu neu und ungewohnt“, so der Mann, der eigentlich schon seit März mit dem Umziehen befasst ist. 800 Umzugskartons warteten darauf, gefüllt zu werden. Mit tonnenschwerem Material – in der Summe betrachtet. Ein Kraftaufwand, der den Besuch in der Muckibude überflüssig machte. In den Kartons wohlverwahrt schlummern nun Urkunden, Plakate, Zeugnisse, Lohnunterlagen, Patientenkarteien, Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, Bauunterlagen und Karten, Gesetzessammlungen, Fotos und vieles mehr. Das Goldene Buch der Stadt ist auch darunter, oder das Gästebuch der Junkerswerke, in dem sich beinahe alle Flugzeugkonstrukteure von Rang verewigt haben. Karton reiht sich an Karton, ein Bruchteil der insgesamt 4.000 Archivgutkartons stapelt sich schon ordentlich in den Regalen. Ein für den Laien schier unüberschaubarer Wust, durch den sich Hans-Peter Nielitz mit der Sicherheit eines Schlafwandlers manövriert.
All das Papier wartet nun darauf – nach vorsichtigem Transport mit speziell ausgerüsteten Fahrzeugen – einen endgültigen, sicheren Platz im neuen Heim zu finden. Die wertvollsten Urkunden – die älteste stammt immerhin aus dem Jahre 1211 – und die Fotosammlung werden in einem klimatisierten Raum gehütet wie in einem Gral. Denn: Temperaturschwankungen sind der ärgste Feind jeglichen Papiers. Ein halbes Jahr, so schätzt der Fachmann, wird es noch dauern, bis alles seinen rechten Platz gefunden hat. Ein großer Teil der Regale muss noch geliefert werden, in den nächsten Tagen sollen sie kommen. Das Zeitungsarchiv, das oft und gern genutzt wird, ist schon so gut wie komplett. Stolz stößt Nielitz die Tür einer ehemaligen Zelle auf. Hier liegen sie in Reih' und Glied – all die Bände mit abertausenden Seiten, die das Wohl und Wehe der Stadt seit 1819 begleiten.
Während Hans-Peter Nielitz stolz berichtet, dass das Archiv trotz der Umzieherei nicht einen Tag geschlossen war, hocken ABM-Frau Ilona Fanslau und Renate Etzel – sie arbeitet hier ehrenamtlich – vor dem Computer. Die Post ist wegen des Umzugs etwas ins Hintertreffen geraten. Anfragen müssen beantwortet, Termine vergeben werden. Die Mitarbeiter bitten um Verständnis, dass es in diesen Tagen ein wenig länger dauert als üblich. Das Telefon klingelt, Frau Etzel geht ran. Dann die Frage an den Chef: „Haben wir die Abschlusszeugnisse der 8. Oberschule?“ „Klar. Haben wir.“
Kontakt:
Stadtarchiv Aschersleben
Am Grauen Hof
06449 Aschersleben
Tel: 0 34 73/ 9 58-4 13
archiv@aschersleben.de
Quelle: Mitteldeutsche Zeitung, 6.9.2003
Nachlass der Dohnanyis ausgewertet
Seit Anfang der dreißiger Jahre spielte die geistige und politische Opposition gegen den Nationalsozialismus im Umfeld der Familien Dohnanyi und Bonhoeffer eine zentrale Rolle. Besonders der aus einer angesehenen ungarischen Familie stammende Hans von Dohnanyi hatte als Jurist in herausgehobener Position einen guten Einblick in die Methoden und Ziele der nationalsozialistischen Politik. Die nach der „Machtübernahme“ in Eile erlassenen inhumanen Verordnungen und Gesetze beunruhigten ihn zutiefst. Auch seine Frau, die aus einer christlich fundierten Berliner Professorenfamilie stammte, bedrückte der verhängnisvolle Weg des NS-Regimes. So zählen sie zu den entschiedensten Gegnern Hitlers der ersten Stunde.
Die zum 100. Geburtstag Dohnanyis vorgelegte erste umfassende Biographie über Hans und Christine von Dohnanyi ist in einem nahezu zwei Jahrzehnte umfassenden Forschungszeitraum entstanden. Ein Forscherkreis an der Theologischen Fakultät der Universität Würzburg hatte 1983 damit begonnen, Vorarbeiten zu leisten, auf die Marikje Smid, Pastorin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover, aufbauen konnte. Smid wurde 1992 mit der Erarbeitung der Biographie betraut. Immerhin dauerte es auch dann noch zehn Jahre, bis sie endlich gedruckt werden konnte.
Grundlegend für Smids Dohnanyi-Biographie war der umfangreiche Nachlass, den sie erstmals gründlich aufarbeiten konnte. Hieraus gewann sie auch die Erkenntnis, dass der Einfluss von Christine von Dohnanyi auf die politische Haltung und Entscheidungen ihres Mannes von erheblicher Bedeutung gewesen ist. Faktenreich und einfühlsam breitet die Autorin das Leben der beiden Eheleute vor dem Leser aus, ihre Herkunft, ihre Ausbildung, den beruflichen Aufstieg Hans von Dohnanyis, den Familienalltag, das berufliche Umfeld, die Bemühungen, aus der Opposition heraus Hitler zu beseitigen, und schließlich die Überlebensstrategien in der Haft.
Die Tätigkeit Hans von Dohnanyis im NS-Reichsjustizministerium von 1933 bis 1938 war schwierig und zum großen Teil auch entmutigend, sie glich der Rolle eines Grenzgängers zwischen zwei Wertesystemen. Bei der Bewältigung der täglichen Anforderungen im Ministerium half ihm seine ausgeprägte systemkritische Einstellung, die eigene Identität nicht zu verlieren und moralisch unbeschadet zu überleben. Bemerkenswert war hierbei, dass ein von Hitler eingesetzter Justizminister, der nationalkonservative Franz Gürtner, seine schützende Hand über ihn hielt.
Bei Ausbruch des Krieges wurde Hans von Dohnanyi zum Oberkommando der Wehrmacht, Amt Ausland/Abwehr eingezogen. Die bereits im Justizministerium begonnene Sammlung von Dokumenten über Verbrechen nationalsozialistischer Organisationen führte Dohnanyi an seiner neuen Wirkungsstätte weiter. Diese „Verbrechenskartei“ sollte die Skrupellosigkeit des NS-Systems dokumentieren.
Am 5. April 1943 wurden Hans und Christine von Dohnanyi verhaftet. Während seine Frau nach gut dreiwöchiger qualvoller Haft krank aus dem Gefängnis entlassen wurde, sah Hans von Dohnanyi die Freiheit nie wieder. Christine von Dohnanyi kümmerte sich nach ihrer Freilassung in beeindruckender und selbstloser Weise um ihren Mann, gab ihm durch ihre Zuversicht Kraft und Mut, die seelischen und körperlichen Qualen der Haft durchzustehen, und versuchte, ihm seine selbstquälerischen Schuldgefühle zu nehmen; denn er warf sich vor, durch seine Tätigkeit im Widerstand sie, seine Familie und seinen Schwager Dietrich Bonhoeffer in Gefahr gebracht zu haben. „Du hast mein Leben so reich gemacht, wenn es jetzt auch einmal trübe aussieht, unser Glück kann uns niemand nehmen“, schrieb sie ihm – zu diesem Zeitpunkt noch selbst inhaftiert – in sein trostloses Gefängnis.
Der unmittelbare Grund für die Verhaftung von Hans und Christine von Dohnanyi war ein angebliches Vergehen der Veruntreuung und persönlichen Bereicherung, das ihnen von ihren nationalsozialistischen Gegnern angehängte wurde. Unter dem Sammelbegriff „Depositenkasse“ war versucht worden, vor allem Hans von Dohnanyi zu kriminalisieren. Er hat gegen diese ehrverletzenden Vorwürfe während seiner zweijährigen Inhaftierung massiv angekämpft. Auch in der Nachkriegszeit sind diese verleumderischen Behauptungen der NS-Justiz nicht immer in befriedigender Weise richtig gestellt worden.
Schließlich wurde er vielfach in der Memoirenliteratur für die folgenreiche Aufdeckung von Namen und Handlungen von Mitverschworenen persönlich verantwortlich gemacht, weil er angeblich nicht genügend Sorge getragen habe, die von ihm gesammelten Akten des Widerstandes – die im September 1944 von der Gestapo in einem Panzerschrank in Zossen aufgespürt wurden – rechtzeitig zu vernichten. Die Autorin des Buches arbeitet nun die Tatbestände und Zusammenhänge dieser Anschuldigungen gründlich heraus und kommt dadurch zu einer objektiven Beurteilung dieser Vorgänge. Es ist glaubhaft überliefert, dass Dohnanyi – wie seine Frau versicherte – nach seiner überraschenden Verhaftung „vehement um die Vernichtung des verräterischen Materials“ gerungen hat, denn „jeder der Zettel“ sei, so Dohnanyi, „ein Todesurteil“. Dieses Bemühen scheiterte jedoch am Einspruch von General Beck, der im Mittelpunkt der militärischen Opposition stand und als Staatsoberhaupt vorgesehen war. Beck glaubte, dass die Aufzeichnungen als dokumentarische Belege für eine spätere Geschichtsschreibung unentbehrlich seien, um einer neuen „Dolchstoßlegende“ vorzubeugen.
Nach einer unvorstellbaren Leidensgeschichte zwischen Hoffen und Bangen wurde der in der Haft schwer erkrankte Hans von Dohnanyi am 6. April 1945 im KZ Sachsenhausen von einem SS-Standgericht – nach einer juristisch wie menschlich abscheulichen Scheinverhandlung – zum Tode verurteilt und vermutlich am 9. April ermordet.
Dohnanyis Gestapo-Peiniger, Kriminalkommissar Sonderegger, brachte als Grund für die Hinrichtung vor, er sei das „geistige Haupt des 20. Juli“. Vor einigen Wochen, am 18. Juni 2003, wurde Dohnanyi posthum von der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte mit der Auszeichnung „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. Diese höchste Auszeichnung, die Israel an Nicht-Juden verleiht, ist eine späte Würdigung von Hans von Dohnanyis Einsatz für verfolgte Juden, die besonders in der großartigen Rettungsaktion „Unternehmen Sieben“ sichtbar wird.
Diese Biographie ist ein beeindruckendes Zeugnis vom Kampf gegen die Diktatur des „Dritten Reiches“. Es zeigt den Mut und die Entschlossenheit von Menschen auf, die sich durch ein besonderes Pflichtgefühl dazu berufen fühlten, der „grauenhaften Barbarisierung“ entgegenzuwirken und – ohne Rücksicht auf das eigene Leben – der Welt den Beweis von der Existenz eines „anderen“ Deutschlands zu geben. Marikje Smids verdienstvolles Buch über Hans und Christine von Dohnanyi wird hinfort zu den Standardwerken des deutschen Widerstandes zählen.
- Marikje Smid: Hans von Dohnanyi – Christine Bonhoeffer. Eine Ehe im Widerstand gegen Hitler. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2002, 630 Seiten, 69 €.
Marikje Smid, geboren 1957, Studium der Evangelischen Theologie, ist Gemeindepastorin in Sottrum (Kreis Rotenburg/Wümme); Mitarbeit in der Bonhoeffer-Forschungsstelle, Heidelberg.
Quelle: Frankfurter Rundschau, 5.9.2003
Archivkatalog der Fürstenschüler-Stiftung
Grimma (LVZ). Dieser Tage erschien ein fast 600 Seiten starker Archivkatalog der Fürstenschüler-Stiftung. Der Katalog dürfte für alle, die sich mit Heimat- und Schulgeschichte beschäftigen, von Interesse sein. Er widerspiegelt die überaus umfangreiche Sammlung von Urkunden, Büchern, Abbildungen und Sachzeugen zur Geschichte der sächsischen Fürsten- und Landesschulen St. Augustin zu Grimma und St. Afra zu Meißen, die sich als Archiv der Fürstenschülerstiftung im Gymnasium St. Augustin (http://www.staugustin.de/) befindet.
Nach dem Ende der Archive beider Schulen hatte man in Zusammenhang mit der Neugründung einer Landesschule in Meinerzhagen (Sauerland) im Jahre 1968 mit dem Wiederaufbau eines Archivs begonnen. Immerhin waren die Bestände zehn Jahre später so viel versprechend, dass aus den Reihen des Vereins ehemaliger Fürstenschüler ein ehrenamtlich tätiger Archivpfleger gewonnen werden musste.
Bestände vervielfacht
Mit dem Bekenntnis der Grimmaer Schule zu ihrer Tradition und mit der Auflösung der Landesschule Meinerzhagen im Jahre 1992 waren die Bedingungen für den Umzug des Archivs nach Grimma gegeben. Erfreulichen Zuwachs erhielt es durch jene Sammlung, die Kurt Schwabe, ehemaliger Fürstenschüler (1930 bis 1936) und jetziger Archivar, während der DDR-Zeit in seinem Haus zusammengetragen hatte. Wenn die Bestände des Archivs sich in den zehn zurückliegenden Jahren vervielfachten und wenn dem 1995 erschienenen Katalog jetzt ein neuer, viel umfangreicherer folgen konnte, so ist das dem großen Engagement, dem ungewöhnlichen Fleiß und der wissenschaftlichen Akribie Kurt Schwabes zu danken.
Auch Stadtgeschichte dabei
Zwischen den Stichwörtern „Augustinus“ (Namensgeber der Grimmaer Fürstenschule und des jetzigen Gymnasiums) und „von Zahn“ (bekannter Journalist und Schriftsteller, Absolvent der Meißner Fürstenschule) finden sich im gut gegliederten Katalog vor allem Hinweise auf vielfältiges Material zur Geschichte der Grimmaer und Meißner Fürstenschule sowie ihrer Folgeeinrichtungen, zur sächsischen Geschichte und Schulgeschichte und zum Verein ehemaliger Fürstenschüler (1875-2002). Der Bestand des Archivs wird ständig erweitert durch Geschenke und Nachlässe ehemaliger Schüler, durch Ankauf historischer Darstellungen, durch das Sammeln aller erreichbaren Artikel zur Thematik, auch zur Stadtgeschichte Grimmas.
Quelle: Leipziger Volkszeitung, 4.9.2003
Modernisierung des Staatsarchivs Chemnitz abgeschlossen
Nach umfangreicher Modernisierung öffnet am Montag, den 8. September, das Chemnitzer Staatsarchiv für Wissenschaftler, Studenten, Heimatforscher und Genealogen wieder seine Pforten. Insbesondere stehen nun zwei neue, nach dem modernsten Stand der Technik eingerichtete Lesesäle mit zur Verfügung und bieten dem Benutzer sehr gute Möglichkeiten, historische Unterlagen wie Urkunden, Akten und Filme einzusehen. Außerdem wurden das Foyer und der Aufenthaltsbereich komplett neu gestaltet, so dass das Blättern in alten Akten keine staubige, sondern eine unterhaltsame Angelegenheit sein kann.
Archivleiterin Annegret Wenz-Haubfleisch freute sich noch aus einem anderen Grund: Die Arbeiten wurden pünktlich vor dem 74. Deutschen Archivtag abgeschlossen, der vom 30. September bis zum 3. Oktober in Chemnitz stattfindet. „Wir erwarten nicht nur Fachleute aus Deutschland, sondern auch aus Österreich, Holland, der Schweiz, Tschechien und Polen“, sagte Wenz-Haubfleisch.
Grund für die umfangreiche Neugestaltung sowie für die Erweiterung der Magazinflächen um rund 800 Quadratmeter war die Verlagerung der letzten 1.500 Meter Akten, die zwar in der Region Chemnitz entstanden waren, die aber bisher im Hauptstaatsarchiv Dresden lagerten. Mit dem Umzug der Akten und den Modernisierungen ist nun der Ausbau des Staatsarchives zum Regionalarchiv für Südwestsachsen abgeschlossen“, so die Archiv-Leiterin. Insgesamt lagern im Staatsarchiv Chemnitz rund 24.000 Archivalien aus rund 800 Jahren sächsischer Geschichte.
Kontakt:
Staatsarchiv Chemnitz
Schulstraße 38
09125 Chemnitz
0371/33479-0
0371/33479-22
stac@archive.smi.sachsen.de
Quelle: Freie Presse online, 4.9.2003
AK Dipl.Archivar auf Abi-Messe
Deutschlands Abiturientenmesse EINSTIEG Abi findet am 19. und 20. September in Halle 1 auf dem Messegelände Berlin statt. Über 190 Hochschulen, Unternehmen und private Bildungsträger präsentieren auf der 5. bundesweiten Abiturientenmesse Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufen 11 bis 13 ihre Ausbildungs- und Studiengänge.
Die EINSTIEG Abi ist an beiden Messetagen von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist kostenlos. Ein umfangreiches Begleitprogramm mit rund 60 Informationsveranstaltungen, wie Vorträge und Diskussionsrunden zu Berufsbildern, aktuellen Branchentrends und Berufsperspektiven ergänzen das Info-Angebot der Aussteller. Der Arbeitskreis Diplomarchivarinnen und Diplomarchivare (FH) im VdA ist bei der Messe Einstieg Abi in Berlin in Halle 1, Stand H 8 des Messegeländes vertreten.
Schirmherr ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie das Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg. Kooperationspartner der EINSTIEG Abi sind das Landesarbeitsamt (LAA) Berlin-Brandenburg, die Industrie- und Handelskammer Berlin, sowie die Handwerkskammer Berlin.
Weitere Infos gibt es unter www.einstieg.com, info@einstieg.com oder telefonisch unter 0221/39809-30.
Langzeitarchivierung digitaler Bilder
Die Bundestagsverwaltung hat im März 2003 eine Ausschreibung für das System „Digitaler Bilderdienst / Bildarchiv“ veröffentlicht, welches auch die Langzeitarchivierung digital aufgenommener Bilder gewährleisten soll.
Den Zuschlag für dieses System hat mittlerweile die Digital Collections Verlagsgesellschaft mbH erhalten.
Während des Customizing werden nun im System aufgrund archivischer Anforderungen inhaltliche und formale Qualitätsparameter als Zugangsfilter implementiert sowie der gesamte Workflow vom Import der Bilder über die aktive Phase bis hin zur Aussonderung und Archivierung abgebildet. Die Bilder sind im Dateisystem als XML-Dossiers abgelegt.
Ankündigung:
Angela Ullmann (Berlin): Das Parlament in Pixeln – Digitale Fotos als neue Herausforderung.
Vortrag auf dem 74. Deutschen Archivtag in Chemnitz, Sitzung der Fachgruppe 6 (Donnerstag, 2. Oktober 2003, 8.30-11 Uhr)
siehe auch den Link: http://www.ekd.de/archive/dokumente/Ullmann_Ab.pdf
(Angela Ullmann: Digitale Überlieferungssicherung in der Verwaltung des Deutschen Bundestages, Abstract eines Vortrags vom 7.3.2003)
siehe auch die kurze Nachricht zu Fragen der Digitalisierung
Kontakt:
Angela Ullmann
Deutscher Bundestag
Ref. WD 3 – Parlamentsarchiv
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Tel 030 / 227 35662, Fax 030 / 227 36662
Sammlung Westerholt im Stadtarchiv Bottrop
Die Eröffnungsszene dieser ganz besonderen Buch-Geschichte spielt 1951. Im leicht lädierten Schloss Arenfels bei Hönningen: Drinnen eine Versteigerung. „Alles muss raus“. Mittendrin Dr. Rudolf Schetter, Stadtarchivar von Bottrop und Büchernarr.
Am Ende ist kaum noch einer da, die besten Möbel raus, die Auktionszeit abgelaufen. Aber oben unterm Dach, im Turm, da modert ja noch die Bibliothek, und wer sie kaufe, sagt der Auktionator, der müsse sie „sofort mitnehmen“. In Ruhe durchsehen, das ginge nun auch nicht mehr. Das schreckt auch den vorletzten Bibliophilen. Den letzten schreckt es nicht: Schetter.
Er kauft. Kauft die Bibliothek der Grafen von Westerholt. Zuschlag für 6.500 Bände. Er sieht den Turm. Er besorgt einen Flaschenzug. Er weiß, wieviel Buch auf einen Lkw geht. Er zahlt 1.300 Mark. Und reist zurück nach Bottrop.
Nun holt die Realität die Vorstellungskraft ja selten ein, aber so eine Geschichte, wie diese schreibt auch der solcher Schrägheiten nicht unverdächtige Antiquariatsmarkt selten. Denn bis Bottrop begriff, was für einen Schatz man da gehoben hatte, verging ein halbes Jahrhundert. Ende der 90er erinnerte man sich, sichtete und sah ein, dass das so nicht weiterruhen durfte.
Es sind dann die Stadt Bottrop und die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung gewesen, die aufwändige Konservierung und Erschließung finanziert haben. Das geschah an der Uni- und Landesbibliothek Münster. Und dort musste Oberbibliotheksrat Reinhard Feldmann nur einmal hinschauen, um zu sehen: rar, rarer, Bottrop. Der Großteil der Titel ist kein zweites Mal in NRW vorhanden. „Ein Kapital, das geräuschlos unberechenbare Zinsen spendet“, würdigt Feldmann mit Goethe die Bibliothek, die schöner kaum repräsentieren könnte, was hiesiger Adel (und die Westerholts waren westfälischer Uradel!) im 18. und 19. Jahrhundert zu lesen pflegte.
„Eine Universalbibliothek“, nennt Feldmann das – erweitert um ein pittoreskes und heute sehr seltenes Feld des Antiquariats. Denn die Zerstreuungsliteratur für die Dame, die hatten die großen Bibliotheken ihrer Zeit allzu oft links liegen lassen. Aber die Westerholt zu Gysenbergs, die stellten ins Regal, was Frau Gräfin unter der Romanüberschrift „Gefunden und vereint (früher verriet man den Ausgang hemmungslos im Titel) durch den Lese-Winter brachte: „Was ist aus Amy Wynne und ihrem wackern Knaben, dem seines edlen Vaters durch einen niederträchtigen Meuchelmord in so zarter Jugend beraubten Owen Wynne geworden?“ – fragt im Vorwort eine gewisse Miss Southworth.
Auf dergleichen darf sich nun die Wissenschaft stürzen. Und – was noch schöner ist – der gemeine Leser auch. Nur das gebe Sinn, sagt Reinhold Feldmann. „Sich beschäftigen“ mit dieser Bibliothek, müsse man. Dann sei sie „viel unmittelbarer als ein altes Bauwerk“. Und ihr Wert: groß. „Gut angelegt“, so weit lehnt sich der Experte aus dem Fenster, seien die 1300 Mark ganz zweifellos gewesen.
Vor ein paar Wochen, da ist der Großteil frisch restauriert nach Bottrop zurückgekehrt. Wer an den Buchrücken vorbeigeht, freut sich an königlich-preußischen Staatskalendern. An Büchern zur Staatskunde und Prinzenerziehung. An schöner Literatur. An Historischem zur Juristerei („Ueber die Proceßkosten“). Oder an praktischer Literatur, was sowohl die Landwirtschaft (1797: „Bratung der Kartoffel, beste Benuzzung“) als auch „Eine sehr nützliche und wohl-eingerichtete Land- und Städte-Beschreibung von Asia, Africa, America“ (1708) bedeutete. Dort erfuhr der Westfale von Stand schließlich, was die weite Welt ausmachte. „Die Chinesen haben sehr schöne Betten“ etwa. Nicht ohne als Westerholter Graf zugleich über Nachteile des Alltags in Asien unterrichtet zu werden. „Die chinesischen Weiber lassen sich von niemand sehen, selbst nicht von des Mannes nechsten Freunden, wäre es auch gleich der Schwiegervater“.
Info beim Stadtarchiv Bottrop
Blumenstr. 12-14 / Postfach 101554
D-46215 Bottrop
Telefon: 02041-70-3754
Telefax: 02041-70-3833
Vom 28. November bis 16. Januar wird die Bibliothek in Bottrops Kulturzentrum vorgestellt. Die Titel sind im Verbundkatalog des Hochschul-Bibliotheks-Zen-trums-NRW http://www.hbz-nrw.de per Internet recherchierbar.
Quelle: WAZ, 4.9.2003