Fein säuberlich gestapelt, wartet auf einem Tisch im Stadtarchiv Wiesbaden eine kleine Auswahl von Illustrationen, Zeichnungen und Gegenständen aus dem Nachlass von Regina May (1923-1996). Nur ein Teil jener etwa 130 Ausstellungsstücke, die vor genau einem Jahr unter dem Titel „Illustration und Mode. Spiegel der Zeit“ im Museum Wiesbaden zu sehen waren und zuvor auch in der Frankfurter Stadtbücherei und in der Berliner Kunstbibliothek.
Ehemann und Nachlasshüter Achim Koch hat diese Arbeiten seiner Frau als Dauerleihgabe dem Stadtmuseum überlassen. In Wiesbaden lebte Regina May seit ihrer Jugend. Hier soll auch die Sammlung bleiben. Das geplante Stadtmuseum bewahrt sie vorerst in den Räumen des Stadtarchivs auf.
Regina May selbst wäre nie auf die Idee gekommen, ihre Arbeiten auszustellen, bemerkte Achim Koch. „Aber es wäre schade, wenn das Oeuvre meiner Frau bei mir im Keller verstauben würde.“ Schubläden und Schränke seien voll mit noch nicht geordneten Sachen.
Der Name Regina May mag zunächst nur wenigen etwas sagen. Obwohl eines ihrer frühen Werke – ohne Übertreibung – Millionen Bundesbürgern bekannt sein dürfte: der Titelkopf der FAZ. Im Jahre 1949 als frisch gebackene Gebrauchsgrafikerin und Absolventin der Städelschule, „pinselte“ sie in zehn Tagen, wie damals der „Spiegel“ berichtete, den schwierigen Zeitungskopf „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Erst nach mehreren Anläufen fanden die Herausgeber was sie wollten. Der schließlich genehmigte Zweizeiler aus Fraktur und Antiqua blieb seither unverändert. Gerahmt und unter Glas liegen Ur- und Endfassung auf einem Tisch im Stadtarchiv. Daneben Zeichnungen aus den späten 40er Jahren: Illustrationen für Wiesbadener Verlage und die Mainzer „Allgemeine Zeitung“.
In der Mainzer Verlagsanstalt hatte Regina May ihre Druckerlehre absolviert und später als Schriftenzeichnerin gearbeitet. Bekannt geworden aber ist sie durch einen unverwechselbar eigenen Strich in Sachen Mode. Mit dem brachte sie zwischen 1950 und 1975 Schwung auf die FAZ-Seite „Für die Frau“ und ins „Constanze-Modeheft“ ebenso. Die Modezeichnungen der 50er Jahre hätten sie wahnsinnig geärgert, weil sie so altmodisch gewesen seien, meinte sie. Dabei herrschte in der Modewelt gerade Christian Diors aufregender New Look mit den schwingenden Ballerinaröcken, den Riesenhüten und armlangen Handschuhen.
Als FAZ-Korrespondentin getarnt, zeichnete Regina May zunächst nur heimlich auf den großen Galas der Couture in Paris, Florenz oder Mailand. Aus Furcht vor Nachahmern war das „Mitzeichnen“ untersagt. Neben ihren schnellen und trotzdem präzisen Skizzen liest man die berühmten Namen Patóu, Dior, Balmain, Givenchy, Cardin und St. Laurent.
Nicht eine Modezeichnerin wie alle anderen wollte sie sein, sondern eine „Modeinterpretin“. Ihre Linien sind klar und erfassen bis hin zur Überzeichnung durch Reduktion immer das auf den Punkt gebrachte Wesentliche. Karikaturen nannte sie ihre Figuren gern. Und hat recht damit, wenn sie die Begabung meinte, genau zu beobachten und ein typisches Merkmal treffsicher zu betonen. Hellwach erkannte sie, was hinter den Kleidern steckt: ein sich wandelnder Zeitgeschmack und ein sich mit ihm wandelndes Frauenbild. „Sie müssen vor allem anderen lernen zu sehen“, hieß ihr „Lehrsatz“ an der Fachhochschule Wiesbaden, wo sie zehn Jahre lang als Dozentin arbeitete.
Ein bewundernswert sicheres Gespür für Entwicklungen und neue Trends habe sie gehabt, so Achim Koch. Bis zu ihrem Tod war sie deshalb bei namhaften Textil- und Accessoires-Firmen als Modeberaterin höchst willkommen. Aus der Beraterzeit stammt ein „Objekt“, das etwas unscheinbar den Stapel mit Zeichnungen krönt. Klein und viereckig glänzt es in schwarzem Lackleder, trägt lange schmale Henkel und einen silbernen Sichelverschluss: Eine Mustertasche für die Collection Nouvelle Couture von Gold-Pfeil. An das Unternehmen hatte Regina May vor Jahren auch ihre einstige Volontärin Jil Sander vermittelt. Die Mode sei ein gefährliches Pflaster für seine Frau gewesen, meinte Achim Koch lächelnd. „Sie hat viel Geld dafür ausgegeben.“ Manchmal sogar ein Paar Schuhe doppelt gekauft, damit im Notfall Ersatz vorhanden war.
Quelle: Wiesbadener Tagblatt, 13.09.2003