Christiane Donath übersetzt: „Unter diesem Stein ist begraben der Herr Mosche, Sohn des Herrn Mosche, der verschied zum Hause seiner Ewigkeit im Jahr 4992.“ Die Zahl 4992 ist das Sterbedatum nach dem jüdischen Kalender. „Auf unseren übertragen, bedeutet es, dass jener Mosche 1232 begraben worden ist.“ Die junge Frau stockt: „Und hier müssten jetzt noch der Sterbemonat und der Segenswunsch stehen.“ Dieser Teil des Steines fehlt jedoch. Egal, die Augen der jungen Frau glänzen angesichts der Grabstele. „Ein tolles Stück, dass Sie hier haben“, sagt sie zum Hausbesitzer auf dem Plossen, bei dem der Stein den Garten ziert. „Ein wirklicher Schatz, denn diese Schriftzeichen hier sind selten.“ Sie deutet auf schwer erkennbare Bögen mit Punkten, Schnörkeln und Linien darunter. „Die Verzierung lässt darauf schließen, dass es sich um eine bedeutende Persönlichkeit der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde von Meißen gehandelt haben muss.“
Christiane Donath ist 25 Jahre alt, Studentin der Theologie, Judaistik und Archivwissenschaft – eine Geschichtskrämerin aus Leidenschaft. Sie schreibt ihre Abschlussarbeit über hebräische Grabinschriften und ihre Bedeutung für die Geschichte der Mark Meißen.
Elf Steine beziehungsweise Reste von Grabsteinen hat sie bereits gefunden, übersetzt und dokumentiert. „Das können aber nicht alle gewesen sein, denn der Friedhof auf dem Jüdenberg war größer.“ Nach dem Progrom um 1349 wurde er zerstört. Die Grabsteine dienten danach als Baumaterial, stecken jetzt in Kellern, in der Stadtmauer oder in Wegen.
Christiane Donath hofft, dass Meißner Bürger auf ihrem Grundstück noch solche Steine finden und sie ihren Bestand damit ergänzen kann. Auf die Idee für ihre Arbeit ist sie gekommen, als einige alte Steine in Meißen ans Tageslicht kamen und Peter Vogel, der Direktor der Evangelischen Akademie, sie bat, die Schriftzeichen zu übersetzen. So machte sich Christiane Donath, die Hebräische, Arabisch, Lateinisch und Griechisch beherrscht, ans Werk, durchforstet Archive, wälzt alte Quellensammlungen. „Allerdings stoße ich an Grenzen. Ich habe zum Beispiel einen Steinzeile gefunden, die kann ich drehen wie ich will, es ergibt immer einen Sinn. Welcher aber richtig ist, muss ich offen lassen.“
Quelle: sz-online, 3.9.2003