Über den Nutzen der Geschichtswerkstätten

„Schock und Chance“ – die Journalistin Frauke Hamann brachte die aktuelle Lage der Geschichtswerkstätten auf den Punkt. Als Moderatorin eines Podiumsgesprächs in der Patriotischen Gesellschaft hatte sie die acht Teilnehmer nach Nutzen und Wert der Stadtteilarchive befragt. Drängender Anlass war die angekündigte Reduzierung der jährlichen Zuwendung an die 14 Hamburger Geschichtswerkstätten von 539.000 auf 133.000 Euro im Kulturhaushalt 2004.

Tatsächlich scheinen die bedrohten Archive in dieser Krise zu wachsen. So viel öffentliches Lob haben sie noch nie erfahren. „Sie leisten sehr gute Arbeit im Stillen und hatten bislang nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen“, stellte Jürgen Mantell, Bezirksamtsleiter in Eimsbüttel, auf dem Podium fest. Die Historikerin Beate Meyer bezeichnete die Stadtteilarchive, die in Hamburg seit den 80er-Jahren nach dem Vorbild der „Oral History“-Bewegung die Geschichte(n) kleiner Leute sammeln, als „kollektives Gedächtnis der Stadt“. Edgar Mebus, bis 2002 Leiter des Gymnasiums Kaiser-Friedrich-Ufer, lobte, dass die lokalen Archive das entdeckende Lernen in der Schule gefördert und dafür gesorgt hätten, dass der Fokus im Unterricht auch auf die besonders anschauliche Alltagsgeschichte im Nahbereich gerichtet worden sei.

Auch die Profis hätten gelernt, die Arbeit der „Barfußhistoriker“ zu schätzen, bekannten Hans-Dieter Loose, langjähriger Leiter des Staatsarchivs Hamburg, und Geschichtsprofessor Franklin Kopitzsch. „Sie haben zum Nutzen der Wissenschaft früh Themen wie Verfolgung oder Zwangsarbeit im NS-Staat entdeckt“, sagte Kopitzsch. „Außerdem haben sie viele Menschen für das Thema Geschichte begeistert – anders, als wir es vermögen.“ Maria Luise Werner, die als Ehrenamtliche im Stadtteilarchiv Eppendorf mitarbeitet, sprach aus eigener Erfahrung: „Diese Arbeit hat mir geholfen, über meine Geschichte nachzudenken und jungen Menschen davon Zeugnis zu geben.“

Bei so viel Harmonie reizte es Körber-Stiftungs-Vorstandsmitglied Wolf Schmidt, ketzerische Fragen zu stellen: Ob es nicht legitim sei, dass die Politik nach dem Nutzen der Geschichtswerkstätten frage, und ob sich der „soziokulturelle Breitensport“ nicht allzu sehr auf die alleinige Zuwendung des Staates verlassen habe? Schmidt räumte jedoch ein, dass es so kurzfristig keine Alternative zur staatlichen Alimentierung gebe, der „heilsame Schock“ und die aktuelle Popularität sollten jedoch für die Suche nach anderen Geldgebern genutzt werden.

Einig waren sich alle darüber, dass die Archive erhalten werden müssen – ohne Kürzungen. Jürgen Mantell: „Wenn man mit so wenig Geld so viel erreicht, sollte man da nicht sparen.“ Ein passendes Schlusswort fand Edgar Mebus: „Eine geschichtslose Gesellschaft hat keine Zukunft.“

Quelle: Hamburger Abendblatt, 27.8.2003

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