Die elektronische Archivierung hat sich inzwischen als probates Mittel etabliert, große Mengen von Informationen langfristig und sicher aufzubewahren und zu verwalten. Die Archivierungstechnologie hat sich in mehreren Schüben vom Scannen von Papierdokumenten über die Speicherung von Office-Dokumenten, die Übernahme von Out-put-Dateien bis hin zur Speicherung komplexer Objekte entwickelt. Vom Ansatz her ist es für ein elektronisches Archivsystem unerheblich, welche Arten und Formen von Objekten es speichert. In dem Maße wie die elektronische Flut steigt und zunehmend zum Information Overflow führt, gewinnen elektronische Archivsysteme immer mehr an Bedeutung. Dokumente entstehen in immer größerem Maße nur noch elektronisch und sind nicht mehr für eine physische Repräsentation auf Papier ausgelegt.
Das Internet verändert den Dokument-Begriff
Besonders das Internet trägt derzeit zum exponentiellen Wachstum von Information bei. Neben den traditionellen DV-Systemen hat sich mit Websites, CMS Content-Management-Systemen und Portalen eine eigene Welt entwickelt. In dieser neuen Welt des WCM Web Content Management gelten viele Regeln der Vergangenheit offenbar nicht mehr. Neuartige Formen von Dokumenten, die dynamisch zur Laufzeit in unterschiedlichsten Präsentationsformen für verschiedenste Formen der Nutzung generiert werden, lassen den Begriff eines statischen Dokumentes immer mehr verschwimmen. War ein gescannter Beleg immer noch ein authentisches, bildhaftes, in sich geschlossenes Abbild eines physischen Originals, so wird durch neue Technologien wie XML der Zusammenhang zwischen Inhalt, beschreibenden Daten sowie Struktur, Layout und Format bewusst aufgelöst. Nur so können Inhalte für unterschiedliche Nutzungszwecke verwendet, personalisiert und für verschiedenste Systemlandschaften bereitgestellt werden. Bei einem solchen Dokument ist nur noch sehr schwer festzustellen, welche Repräsentationsform eigentlich das Original ist. Ein Dokument kann heute alles sein – ein elektronisches Fax, ein Worddokument, eine Transaktionsprotokolldatei, eine elektronisch signierte E-Mail, ein dreidimensionales digitales Modell, eine Web-TV-Aufzeichnung, eine Host-Druckdatei, ein JPEG- Photo. eine verlinkte HTML-Seite, usw. Durch die rasante Weiterentwicklung gerade im Webumfeld wurden die Probleme für die elektronische Archivierung, besonders durch dynamisch verknüpfte komplexe Objekte, immer größer.
Das Web – ein schnelllebiges Medium
Die Erwartungshaltung an Webangebote ist einfach zu beschreiben – Websites müssen interessant, immer aktuell und einfach zu bedienen sein. Dabei nimmt man auch in Kauf, das Inhalte einer Webseite überschrieben und verloren gehen. Schon heute sind eine Vielzahl der Links in Suchmaschinen tot. Sie produzieren den bekannten „404 Datei nicht gefunden Fehler“ oder führen auf einen ganz anderen Inhalt. Das Internet verändert sich ständig. Zahlreiche frühe Websites sind heute nicht mehr vorhanden und auch nicht rekonstruierbar. Private Initiativen versuchen schnappschussartig Teile des Webs zu konservieren, scheitern jedoch an der Menge der Websites und der Menge der Information. Hinzu kommt die anschwellende Menge von Plagiaten, Kopien, gestohlenen Inhalten und redundant, nur mit leichten Änderungen vorgehaltener Information im Rahmen der Content Syndication. Eine Suchanfrage über eine Suchmaschine produziert immer mehr Einträge ohne dass man eine Gewähr der Richtigkeit, Vollständigkeit, Originalität und Aktualität der Information hat. Die Betreiber von Websites nehmen hier ihre Verantwortung auch nicht sehr ernst und als Nutzer des Internetangebotes hat man sich an diese Zustände fast schon gewöhnt. Dabei gibt es nicht nur den Anspruch des Historikers an die Dokumentation von Webinhalten, sondern auch handfeste gesetzliche Regelungen, die die Betreiber von Webseiten verpflichten, die Inhalte ihrer Seiten zu nachvollziehbar zu dokumentieren.
Die kaufmännische Perspektive
Über Websites werden zunehmend elektronisch Geschäfte angebahnt oder abgewickelt:
- Jeder der auf seine Webseite für kommerzielle Zwecke Angebote, Preislisten oder andere handels- und steuerrechtlich relevante Informationen stellt, ist verpflichtet diese auch zu dokumentieren. Diese Information ist häufig nur noch elektronisch vorhanden und kann daher auch nur noch elektronisch archiviert werden.
- Besondere Anforderungen kommen hinzu, wenn über die Website oder das Portal direkt elektronisch Geschäfte abgewickelt werden. Der Geschäftsgang dokumentiert sich dann häufig nur noch in einem Datensatz, einer Bestätigungs-E-Mail einer elektronischen Abbuchung und einer elektronischen Auslieferung, sei es durch Übersendung einer Datei oder eines Passwortes. Auch bei der Bestellung eines physischen Objektes, eines Blumenstraußes, eines Buchs oder eines Autos, findet der gesamte Geschäftsprozess bis zur Auslieferung nur noch elektronisch statt.
- Die Behandlung von Vermittlungsgeschäften über elektronische Plattformen führt zu weitverzweigten, nur aufwendig nachvollziehbaren geschäftlichen Verflechtungen mit unterschiedlichen Rechtscharakter. In den USA gibt es bereits über 100.000 Händler, die EBAY als Plattform für ihre Geschäfte nutzen und deren Abwicklung bis zur Lieferung zu 100% elektronisch durchgeführt wird. Bei B2B-Plattformen wird der gesamte Angebots-, Auswahl-, Bestell- und Abrechnungsvorgang zwischen mehreren Beteiligten im Rahmen einer Supply-Chain nur noch digital abgewickelt. Nach dem ersten Einbruch des Dot.Com-Booms zeichnet sich hier die zweite Welle des E-Business ab.
- Digital Rights Management für die Übertragung und Berechung von Nutzungsrechten an elektronischen Inhalten stellt besondere Anforderungen an die Dokumente selbst als auch an den Nachweis, welche Information mit welchen Rechten an wen übertragen wurde.
- Durch den Einsatz elektronischer Signaturen erhalten digitale Geschäfte eine neue rechtliche Qualität, die durch die Signaturgesetzgebung und die damit verbundene Anpassung anderer Gesetze zur Gleichstellung elektronischer und papiergebundener Dokumente führt. Damit werden vollständig elektronisch durchführbare Geschäfte zwischen Geschäftspartnern, die sich nicht kennen, möglich.
Für die Dokumentation dieser Geschäfte reicht die Versionierung, Historisierung und Archivierung der Webseiten nicht aus. Sie muss um Transaktionsarchivierung, elektronische Posteingangs- und Postausgangsbücher, um das Abgreifen der Aktionen des Nutzers einer Webseite und besonders um die vollständige Integration mit den Daten aus den nachgelagerten internen Verarbeitungs- und Verwaltungshandlungen verknüpft werden. Hier beginnt meistens bereits das Problem: Websites haben häufig ein Eigenleben und sind nicht mit der betriebswirtschaftlichen Software eines Unternehmens oder einer Organisation verknüpft.
Die E-Government-Perspektive
Durch den MEDIAKOM-Wettbewerb und die BUNDONLINE2005-Initiative ist in das Thema Webpräsenz in der öffentlichen Verwaltung viel Bewegung gekommen. Kaum eine Kommune oder Behörde, die nicht inzwischen ihre eigene Webseite unterhält. Hierbei sind entsprechend dem Inhalt und der Form der Interaktion unterschiedliche Qualitäten zu unterscheiden:
- Bei amtlichen Veröffentlichungen, die eine gewisse Rechtsverbindlichkeit haben, ist in jedem Fall zu dokumentieren, welche Inhalte in welchem Zeitraum im Web veröffentlicht worden sind. Hierbei ist auch eine Kennzeichnung des rechtlichen Charakters der Veröffentlichung sicherzustellen. Dies ist besonders wichtig, bei Vorabveröffentlichung von Entwürfen, unterschiedlichen Versionen eines Dokumentes und anderen sich verändernden Inhalten. Bezieht sich ein Besucher der Webseite auf ein solches Dokument, muss der Behörde der Nachweis möglich sein, welche Version mit welcher Rechtsqualität im Web angeboten worden ist.
- Bei Amtshandlungen, wie z.B. der Beantragung eines KFZ-Kennzeichens, einer Umzugsmeldung oder einem Passantrag muss die gesamte Transaktion einschließlich der Authentifizierung des Nutzers gewährleistet sein. Werden über das Web eingegebene Informationen in nachgelagerten Systemen weitergeleitet und verarbeitet, ist der Nachweis des kompletten Prozesses notwendig um die Ordnungsmäßigkeit und Nachvollziehbarkeit des Verwaltungshandelns sicherzustellen. Hierzu sind auch elektronische Posteingangsbücher zu realisieren und bei personalisierten Websites mit individualisierter Gestaltung auch die Situation, in der der Bürger diese Dienste genutzt hat, aufzuzeichnen.
- Werden Rechtsgeschäfte mit kaufmännischem Charakter wie z.B. Abrechnung von Dienstleistungen, Ausschreibungen mit elektronischer Abgabe von Angeboten und Zuschlagserteilung oder vergleichbare Transaktionen durchgeführt, müssen diese analog zu den Anforderungen an die freie Wirtschaft elektronisch revisionssicher dokumentiert werden. Hierbei spielen elektronische Signaturen zunehmend eine wichtige Rolle. Da der Gültigkeitszeitraum von personengebundenen qualifizierten Signaturen deutlich unter den Aufbewahrungsfristen für kaufmännisch oder rechtlich bindende Dokumente liegt, stellen sich hier besondere Anforderungen an die elektronische Archivierung.
- Wird ein Portal einer öffentlichen Verwaltung auch als Träger- und Vermittlungsplattform für Dienstleistungen Dritter benutzt, seien es nun städtische Betriebe oder Geschäftsleute auf einer kommunalen B2B-Plattform, sind hier natürlich besondere Dokumentationspflichten in beide Richtungen notwendig- zum nutzenden Bürger oder Unternehmen als auch zum anbietenden Dienstleister. Die öffentliche Verwaltung tritt hier als Kommunikationsdienstleister mit einer ganzen Reihe von Verpflichtungen auf.
In allen diesen Szenarien spielen besondere Verpflichtungen der öffentlichen Verwaltung nach dem BDSG, dem TDSG, dem Signaturgesetz und vielen anderen Verordnungen und Gesetzen eine Rolle. Bei vielen politisch motivierten Projekten wurde häufig nicht über die rechtlichen und technischen Konsequenzen eines Webauftrittes nachgedacht. Bei vielen Webseiten der öffentlichen Hand spielte dies auch häufig keine eine Rolle, da Transaktionen über das Web einfach ausgedruckt und in der Gittermappe auf dem Aktenwägelchen durch die Gänge geschoben, sprich herkömmlich weiterverarbeitet werden. Der Medienbruch zwischen den „aufgemotzten“ Webseiten und den internen Verwaltungsabläufen ist immer noch eines der größten Probleme.
Anforderungen an Archivsysteme für Webseiten
Zu aller erst muss festgehalten werden, dass man keine eigenständige Archivierung von Webinhalten und Webtransaktionen betreiben sollte – die elektronische Archivierung ist als Infrastruktur zu betrachten, die allen Anwendungen eines Unternehmens oder einer Behörde gleichermaßen zur Verfügung stehen muss. Ziel dieses Ansatzes ist, unabhängig von der erzeugenden Anwendung alle Informationen in ihrem Sach- und Nutzungszusammenhang zu verwalten. Elektronische Archive sind die universellen Wissensspeicher, die aktions- und prozessbezogen die benötigten Informationen aktuell, vollständig, authentisch und im Zusammenhang wieder bereitstellen müssen. Für die Archivierung im Webumfeld müssen folgende Funktionen vorhanden sein:
- Datenbankgestützte, kontrollierte Verwaltung und Zugriffsmöglichkeit auf die gespeicherten Informationen. Hierbei sind Metadaten für die sichere und vollständige Identifizierung der gespeicherten Objekten, gegebenenfalls aber auch Suchmöglichkeiten über die Inhalte der Objekte selbst vorzusehen.
- Standardschnittstellen zur Einbindung sowohl in Website-Editions-, Nutzungs- und Verwaltungsprozesse als auch in die internen Anwendungen, die ebenfalls diese Daten und Dokumente nutzen können sollen
- Verwaltung einheitlicher Metadaten zur Beschreibung von Webinhalten, die auch den Zugriff über das Archivsystem ermöglichen, und andere Records Management Funktionen
- Umfangreiche Protokollierungs-, Audit-Trail- und Journalfunktionen um Transaktionsarchivierung, Capturing von Webformularen und elektronische Posteingangsbücher realisieren zu können
- Konverter und Rendition-Management, um aus Webinhalten unabhängige Formate generieren zu können, bei denen auch dynamische Verbindungen „eingefroren“ und dokumentierbar gemacht werden können. Diese Tools sind auch erforderlich, um die Information in unterschiedlichen Umgebungen verfügbar zu machen.
- Versionierung, um Dokumente selbst als auch die Bezüge zwischen Dokumenten verwalten zu können
- Berechtigungssysteme und Berechtigungssystematiken, um unabhängig vom Erzeuger von Inhalten auf die Dokumente unabhängig, vollständig und langfristig zugreifen zu können
- Verwaltung von elektronischen Signaturen, Zertifikaten und den zugehörigen Objekten über den Lebenszyklus von qualifizierten, personengebundenen Signaturen hinaus
- Revisionssicherheit zum Nachweis der Unverändertheit, Vollständigkeit und Authentizität der gespeicherten Informationen mit einem umfangreichen internen Kontrollsystem zum Nachweis von Veränderungen am System
- Migrationswerkzeuge um die kontrollierte, verlustfreie und richtige Überführung von Inhalten auf neue Plattformen und in neue Systeme zu ermöglichen
Viele dieser Funktionen gehören zum Standardrepertoire eines professionellen Archivsystems, einige sind jedoch speziell für die Belange von Webseiten und Portalen sowie für Schnittstellen und Dokumentformate im Internet-Technologie-Umfeld anzupassen.
Die elektronische Archivierung ist das Gedächtnis der Informationsgesellschaft
Dieses Zitat von Erkki Likaanen, EU-Kommissar für die Informationsgesellschaft, zeigt noch eine andere Dimension des Aspektes Archivierung von Webinhalten und Webtransaktionen auf – neben rechtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten sind für Webinhalte auch kulturelle und historische Faktoren zu berücksichtigen. Das Internet ist nicht nur eine weltweite Kommunikations- und E-Business-Plattform, es ist auch ein gigantischer Informations- und Wissensspeicher, dessen Inhalt es gilt für zukünftige Generationen aufzubewahren. In der Vergangenheit war es die Aufgabe von Archivaren, Registraren und Dokumentaren Information für die Nachwelt aufzubereiten, zu bewerten und zu konservieren. Der „staubige Archivjob“ ändert sich vom Berufsbild immer mehr zum Informationsmanager. Bei der Bewahrung elektronischer Information kommt der Archivierung von Webinhalten eine immer größere Bedeutung zu, da immer mehr Dokumente und Daten nur noch für den Zweck einer Webpräsentation entstehen. Bei der Planung von Webseiten und Portalen sollten denn auch Archivare Gehör finden, damit von Anfang an die Belange der elektronischen Archivierung berücksichtigt werden.
Quelle: contentmanager.de, 04/2003 und 08/2003