Harry S. Truman, von 1945 bis 1953 dreiunddreißigster Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika war kein großer Tagebuchautor. Er war zwar durchaus willig, schrieb oft und eifrig lose Seiten mit seinen Erfahrungen und Betrachtungen voll, schaffte es aber nicht, sich zu einer konsequenten Tagebuchführung zu bringen.
Einige Lücken zumindest können nun gefüllt werden. In der Truman Library, dem ihm und seinem Nachlaß gewidmeten Gedenktempel in Independence in seinem Heimatstaat Missouri, wurde ein Tagebuch entdeckt, das in zweiundvierzig meist ausgesprochen schön geschriebenen Einträgen das Jahr 1947 durchmißt. Blau eingebunden, stand das Büchlein achtunddreißig Jahre lang unbeachtet auf dem Regal, weil es mit seinem Titel „The Real Estate Board of New York, Inc., Diary and Manual“ auf eine Immobilienlobby verweist, die das Diarium dem Präsidenten zum Geschenk gemacht hatte. Auf den ersten hundertundsechzig Seiten gibt es neben viel Werbung nur über die Organisation und deren Mitglieder Auskunft. Erst danach fangen die Tagebuchseiten an, auf die ein Bibliothekar beim Umräumen stieß.
Obwohl 1947 als Schlüsseljahr der Regierung Truman gilt, werden Historiker nur mit Maßen auf ihre Kosten kommen. Weder erfahren sie etwas über die Entstehung der Truman-Doktrin, die eine Ausdehnung des kommunistischen Machtbereichs zu verhindern trachtete, noch über den mit ihr verknüpften Marshallplan für den Wiederaufbau Westeuropas. Statt dessen ist nachzulesen, wie Truman sein Herzasthma geheimhielt, wie er mit dem Tod seiner Mutter zurechtkam und wie er sich bei Lady Astor unbeliebt machte. Allerdings wird nun ein Verdacht bestätigt, den Truman immer auszuräumen suchte. Offenbar sagte Dwight D. Eisenhower doch die Wahrheit, als er behauptete, Truman habe ihn seinerzeit ermuntert, die Präsidentschaft anzustreben, um damit der potentiellen Kandidatur eines anderen Kriegshelden, des den Republikanern nahestehenden Generals Douglas MacArthur, zu begegnen. Truman selbst wollte dem Weißen Haus, in dem er sich wie in einem „großen weißen Gefängnis“ fühlte, den Rücken kehren, seinem Freund Ike jedoch als Vizepräsident zur Verfügung stehen.
Der widerwillige Präsident, der nach dem Tode Franklin D. Roosevelts 1945 vom Amt des Vizepräsidenten nachrücken mußte, war es leid, unter wenig Zuspruch der Bevölkerung gegen einen republikanischen Kongreß anzukämpfen. Von General MacArthur aber, der ihm nach seinen pazifischen Siegen einen „Überlegenheitskomplex“ zu haben schien, wollte er sich nicht verdrängen lassen. Alles überflüssige Sorgen. Eisenhower lehnte ab, und auch MacArthur mochte nicht für die Gegenseite antreten. Truman hielt noch einmal vier Jahre durch, bis Eisenhower ihn 1953, diesmal aber als Republikaner, aus dem Gefängnis an der Pennsylvania Avenue befreite. Zuvor gelang es Truman noch, MacArthur den Laufpaß zu geben und ihn von all seinen militärischen Pflichten im Korea-Krieg zu entbinden.
Viel brisanter jedoch ist eine zweite Passage, so schockierend, daß sie in ersten Berichten der „Associated Press“ und „New York Times“ gar nicht erwähnt wurde. Nach einem Gespräch mit Henry Morgenthau, dem Finanzminister a.D. und Anwalt für eine gestrenge Behandlung Nachkriegsdeutschlands, schrieb Truman unter dem Datum des 21. Juli 1947: „Die Juden, finde ich, sind sehr, sehr selbstsüchtig. Sie bewegt es nicht, wie viele Esten, Letten, Finnen, Polen, Jugoslawen oder Griechen ermordet oder als DP (Displaced Persons) mißhandelt werden, wenn sie nur als Juden ihre besondere Behandlung bekommen. Wenn sie aber Macht besitzen, ob physischer, finanzieller oder politischer Art, haben ihnen weder Hitler noch Stalin an Grausamkeit oder schlechter Behandlung des Underdogs etwas voraus. Kommt ein Underdog nach oben, spielt es keine Rolle, ob er den Namen eines Russen, Juden, Negers, Unternehmers, Arbeitnehmers, Mormonen, Baptisten trägt – er dreht durch. Ich habe sehr, sehr wenige gefunden, die sich, wenn der Wohlstand kommt, ihrer früheren Verhältnisse erinnern.“
Trumans Tirade gegen die Juden hat Befremden hervorgerufen, galt er doch bisher als einer ihrer großen Fürsprecher. Immerhin hatte er die Anerkennung des Staates Israel gefördert, als sein Außenministerium sich noch dagegen aussprach. Das hat ihn zumindest in den ersten Augenblicken nach der Entdeckung des Tagebuchs davor geschützt, als Antisemit gebrandmarkt zu werden. Eher werden seine Äußerungen einer Geisteshaltung zugeschrieben, die damals noch keine allzu ausgeprägten Empfindlichkeiten einkalkulieren mußte, um mit ihren Vorurteilen gesellschaftlich akzeptabel zu bleiben. Jeder amerikanische Präsident muß damit rechnen, daß keine Zeile von ihm verlorengeht. Auch das würde die Annahme bestätigen, Truman habe sich nicht privat demaskiert, sondern verbreiteten, damals noch nicht tabuierten Ressentiments Ausdruck verliehen. Heute wird die Debatte wohl kaum zu vermeiden sein.
Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.07.2003, Nr. 162 / Seite 33.
Nürnberger Stadtbibliothek sucht frühere Besitzer der Judaica-Sammlung Julius Streichers
Nürnberg (APA/dpa). Eine schwierige Hinterlassenschaft der Nazi-Zeit ruht in den Regalen der Nürnberger Stadtbibliothek: eine Sammlung von mehreren tausend Büchern, die sich mit dem Judentum beschäftigen oder früher Juden gehörten. Zusammengetragen haben sie paradoxerweise die Nationalsozialisten selbst, nämlich der berüchtigte „Frankenführer“ Julius Streicher und sein antisemitisches Hetzblatt „Der Stürmer“. Im Internet suchen die Verantwortlichen der Stadtbibliothek jetzt nach den früheren Eigentümern der Bücher, die heute als „Raubgut“ gelten.
Knapp 9.000 Bände umfasst die bizarre Sammlung, berichtet Christine Sauer von der Abteilung Handschriften und Alte Drucke der Nürnberger Stadtbibliothek. Neben einem Komplex von mehr als 4.000 Schriften zum Judentum „im weitesten Sinne“ sowie zur Freimaurerei enthält sie 4.500 Titel an Schöner Literatur in zahlreichen Sprachen.
Bewegte Geschichte
Soweit sich die seltsame Geschichte dieser Sammlung rekonstruieren lässt, waren die Bücher nach Kriegsende 1945 in den Redaktionsräumen des „Stürmer“ gefunden worden. Hinzu kamen Bücher aus dem Privatgut Pleikershof von Julius Streicher, der 1946 als Kriegsverbrecher hingerichtet wurde. Die amerikanische Militärregierung übergab die Bücher dem damaligen Bibliotheksdirektor.
Erst 1993 identifizierte sich die israelitische Kultusgemeinde (IKG) Nürnberg als Eigentümer und berief sich auf eine mündliche Vereinbarung aus dem Jahr 1945. In diesem Jahr schließlich wurden diese Besitzverhältnisse schriftlich fixiert.
„Geistige Rüstkammer“
Die Sammelschwerpunkte entsprechen nach Sauers Angaben den im „Stürmer“ behandelten Themen: Hetze gegen Juden, Freimaurer, „Bolschewisten“ und die Kirche. „Hinweise nähren die Vermutung, dass die Büchersammlung als geistige Rüstkammer und Nachschlagebestand für die Kampagnen des „Stürmer“ benutzt wurden“, erklärt die Bibliothekarin.
Der größte Teil der „Sammlung IKG„, wie sie heute genannt wird, wurde nach 1957 katalogisiert. Mitte 1997 begann Leibl Rosenberg, ein Kenner des Judentums, mit der Katalogisierung der noch unerschlossenen 1200 Exemplare. In akribischer Kleinarbeit versuchte Rosenberg, Spuren von Vorbesitzern zu finden: Er forschte nach handschriftlichen Besitzeinträgen, Widmungen, Stempeln und Exlibris.
Öffentlich zugänglich
Die identifizierten Besitzeinträge werden nun im Internet weltweit zugänglich gemacht. Mit mehr als 800 Meldungen ist die Nürnberger Stadtbibliothek nach eigenen Angaben der größte Zuträger zur „Lost Art Internet Database“ von Bund und Ländern. Diese seit 2001 existierende Datenbank soll der Dokumentation und Recherche von Kulturgütern dienen, die während der Nazi-Zeit verloren gingen.
Daneben bietet die Bibliothek seit kurzem die Möglichkeit, sämtliche Besitzvermerke in einem für das Internet freigeschalteten Katalog zu recherchieren. „Hier können auch die nicht an Lost Art gemeldeten Bücher gefunden werden“, erklärt Sauer. „Wir versuchen, möglichst viele Bücher an die Eigentümer zurückzugeben.“
Kontakt:
Stadtbibliothek
Sammlung IKG
Egidienplatz 23
90403 Nürnberg
Tel.: (0911) 231 – 27 21
Fax: (0911) 231 – 54 76
E-Mail: Leibl_Rosenberg@stb.stadt.nuernberg.de
http://www.stadtbibliothek.nuernberg.de/
Lost Art Internet Database: http://www.lostart.de/
Quelle: Der Standard, 14.7.2003
Die Archivarin
Brigitte Streich ist die Hüterin der Wiesbadener Vergangenheit. Herrin über 1.280 laufende Meter verzeichneter Akten und Amtsbücher, über zirka 60 Nachlässe, etwa 40 Archive von Vereinen und Verbänden, über Karten und Pläne, Plakate, Bilder und zirka 23.000 Microfiches.
Nach zwei abgeschlossenen Ausbildungen kam der heute 49-jährigen die Idee zu studieren. Die Fachhochschulreife hat sie nachgeholt und entscheidet sich 1977 für Romanistik und Geschichte. Und auch für den Assistenten ihres Professors, bei dem sie über den Hof der Kurfürsten von Sachsen im späten Mittelalter promoviert. Der Assistent wird geheiratet, der Professor, selbst Archivar, gibt den Anstoß für die endgültige berufliche Richtung. Brigitte Streich studiert am Institut für Archivwissenschaften in Marburg. Nach ihrem Abschluss arbeitet sie zwei Jahre als Archivrätin in Magdeburg, leitet sieben Jahre das Stadtarchiv in Celle und ist vor zwei Jahren nach Wiesbaden gezogen, um Archivdirektorin zu werden.
Bei Archivaren denken viele Leute an verstaubte Sonderlinge, meint die FR in ihrem Porträt der Archivarin. „Das Vorurteil begegnet einem überall. O.k., zu den Akten werden wir in Keller oder Dachböden geführt, da ist es schon staubig.“ Die Aufgabe ist aber eher das Gegenteil von Staub: „Wir haben dafür zu sorgen, dass etwas bleibt, zu erkennen, was in 50 Jahren mal wichtig sein könnte, es aufzubereiten und für die Öffentlichkeit nutzbar zu machen. Wir forschen selbst und halten Vorträge.“
Brigitte Streich mag besonders die Wiesbadener Wirtschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Ihr „Herzblut“ aber hängt an der frühen Neuzeit. „Zum Beispiel sind da die Briefe eines Fürsten aus dem frühen 16. Jahrhundert, die sind so drastisch, der nahm kein Blatt vor den Mund.“ Die Quellen würden ärmer, je moderner sie seien. Geschichte sei zudem nie langweilig. „Wenn man sich lange mit ihr beschäftigt, fängt sie an zu leben.“
Kürzlich wurde Brigitte Streich zur Landesvorsitzenden der Archivare gewählt. „Der hessische ist der erste Landesverband in den alten Bundesländern, da kommt erstmal viel Schreibkram auf mich zu.“
Sie ärgert die Lage des Wiesbadener Stadtarchivs. „Hier Im Rad wirken wir gar nicht als Teil der Stadtverwaltung. Und es kommt auch nicht so schnell mal jemand vorbei.“ Ihr Wunsch und ihr Ziel ist es aber, das Stadtarchiv „zu einer Institution für alle“ zu machen. Denn die 1.280 laufenden Meter Akten und mehr sind für jeden zugänglich.
Kontakt:
Stadtarchiv Wiesbaden
Im Rad 20
65197 Wiesbaden
Telefon: 0611 / 31-3329, 31-3747, 31-5429
Fax: 0611 / 31-3977
stadtarchiv@wiesbaden.de
geöffnet montags bis freitags: 8 bis 12 Uhr, mittwochs: 8 bis 18 Uhr.
Quelle: FR vom 16.7.2003
Genealogie in den Ravensberger Blättern
Der Historische Verein für die Grafschaft Ravensberg stellte dieser Tage sein erstes Schwerpunktheft zum Thema Genealogie vor. Die neue Ausgabe der Ravensberger Blätter sei eine Handreichung für Familienforschung, dafür, wie man sie betreibe und an wen man sich wende, sagte Bärbel Sunderbrink vom Stadtarchiv Bielefeld als Redakteurin der „Blätter“ gegenüber der Neuen Westfälischen.
Wichtigste Quelle für Genealogen sind die Kirchenbücher. Für das historische Westfalen (als preußische Provinz) sind alle Kirchenbücher im Landeskirchlichen Archiv Bielefeld auf Mikrofilm einzusehen. Die Daten katholischer Familien sind in den Bistumsarchiven Paderborn und Münster aufgehoben.
„Viele Menschen lernen über die Genealogie erst Archive kennen und schätzen, beschäftigen sich dann auch mit anderen Aspekten von geschichte“, sagt Sunderbrink. Sie rät Interessenten, alle Hemmungen vor Archiven abzulegen und „munter drauflos zu forschen“.
Die Ravensberger Blätter sind beim Stadtarchiv Bielefeld bzw. beim Historischen Verein zum Preis von 4 Euro zu erhalten (Telefon: 0521/51-2469).
Ravensberger Blätter –
Organ des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg e.V. 2003, Heft 1
Inhalt:
- S. 1-3
Uwe Standera: Familienforschung in Ravensberg - S. 3-9
Wolfgang Günther: Das Landeskirchliche Archiv der Evangelischen Kirche von Westfalen – ein
Zentrum für die Familienforschung - S. 9-13
Otto-Wilhelm Bertelsmann: Die Anfänge der Geschichte der Familie Bertelsmann [v.a. 16./17. Jh.] - S. 14-32
Uwe Standera: Der Hof Rottmann zu Elverdissen Nr. 14. Geschichte einer bäuerlichen Familie vom 17. bis zum 19. Jahrhundert - S. 33-49
Georg-Friedrich Schaaf: Drei Pastorentöchter und der genealogische Zusammenhang zwischen den Ravensberger Pastorenfamilien Sandhagen, Dreckmann, Löning und der nach Ostfriesland gegangenen Pastorenfamilie Schaaf im 17. und 18. Jahrhundert - S. 50-70
Buchbesprechungen - S. 71
Nachruf für Werner Fischer 1910-2003 - S. 71-72
Namen, Notizen, Termine
Quelle: Westfalen-Blatt, 15.7.2003; Neue Westfälische, 15.7.2003.
Zeitungs-Ausschnittarchiv
Im Unternehmensarchiv der Axel Springer AG wurde jüngst ein Bestand besonderer Art erschlossen, wie man auf H-Soz-u-Kult erfahren konnte: Vom Haus Broschek, dem Verlag des „Hamburger Fremdenblattes“, hat das Verlagshaus Anfang der 1950er Jahre das Zeitungsausschnittsarchiv (sog. Textarchiv) übernommen. Darunter sind große Mengen biografischer Artikelsammlungen aus den Jahren 1908-1954. Die mit Quellenangabe aufgeklebten biografischen Zeitungsartikel von A-Z stammen überwiegend aus deutschen, aber auch aus internationalen Zeitungen.
Von besonderer Bedeutung erscheinen die umfangreichen Artikelsammlungen zu prominenten Politikern, Unternehmern, Künstlern und Personen der Zeitgeschichte. Beispielsweise sind zu Adolf Hitler 6 Archivkartons mit Artikeln aus der Presse bis 1954 vorhanden. Bei Joseph Goebbels (von 1933-1954) und Hermann Göring (1932-1954) liegen ebenso umfangreiche Artikelmappen vor. Zu Goebbels und Göring fertigte eine Praktikantin detaillierte Verzeichnisse der Artikel an (vgl. Anhang unten). Daneben gibt es auch große Mengen von Zeitungsartikeln über nicht-prominente Personen, zu denen biografische Recherchen heute schwierig sein können.
Diese biografische Artikelsammlung („Broschek-Archiv“) steht zur wissenschaftlichen Auswertung zur Verfügung. Interessenten können sich beim Unternehmensarchiv der Axel Springer AG (unternehmensarchiv@axelspringer.de) in Hamburg melden. Interessenten müssen allerdings vor Ort Einblick in die Sammlung nehmen (können dabei aber auch kopieren). Seitens des Unternehmensarchivs werden keine Kopien angefertigt und verschickt.
Anhang:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/daten/2002/goebbels_1933-54.pdf
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/daten/2002/goering_1932-54.pdf
Kontakt:
Dr. Erik Lindner
Axel Springer AG
Unternehmensarchiv
Telefon: +49 (0) 40/3 47-2 57 49
Telefax: +49 (0) 40/3 47-2 64 73
erik.lindner@axelspringer.de
Homepage <http://www.axelspringer.de>
Theunissens Blick entgeht kein Riss
Skalpell, Fimo, Bienenwachs und Knetgummi gehören genauso zu seinem Handwerkszeug wie feinstes Japanpapier und gutes Leder. Alles nicht nur gut erreichbar, sondern äußerst sorgfältig bereit gelegt, denn zu Ferdinand Theunissens Arbeit gehört Genauigkeit und feine Abstimmung unbedingt dazu.
Der 64-Jährige ist Restaurator im Stadtarchiv Neuss. Über einen Mangel an Arbeit kann sich der gebürtige Mönchengladbacher, der als Kunstbuchbinder angefangen hat und seit 1983 in Neuss arbeitet, nicht beklagen. Allein von den 120 laufenden Metern des Preußenbestandes (der bis 1945 datiert wird) sind 50 Prozent so stark beschädigt, dass sie unbedingt restauriert werden müssen.
„Alles, was den Archivaren in die Hand fällt“ – beim Durchforsten des Bestandes – landet letzten Endes in der mustergültig aufgeräumten Werkstatt im hinteren Teil des historischen Gebäudes. Dort sind wegen der empfindlichen alten Akten und Bücher Luftfeuchtigkeit und Temperatur genauestens geregelt – und schaffen zudem mit 50 Prozent und 20 Grad ein angenehmes Arbeitsklima -; dort liegen Bücher und Urkunden manchmal für Wochen, bis sie endlich wieder einen Zustand erreicht haben, der die Lagerung für die „nächsten hundert Jahre“ möglich macht.
Denn für seine Arbeit muss Theunissen nicht nur mit dem Skalpell umgehen können, wenn er zum Beispiel Lücken eines uralten Papierbogens mit feinem Japanpapier schließt, sondern seinen „Patienten“ auch Zeit geben. Ein Buch zu restaurieren zum Beispiel, braucht viele Wochen, weil der Prozess durch ständiges Reinigen, Wässern und Glättern sich in die Länge zieht: „Vor jedem nächsten Schritt muss es vollständig getrocknet sein.“ Doch wenn etwa das fertig restaurierte „Missa Coloniense“, eines der ersten Gutenberg-Drucke, vor einem liegt, lässt sich ermessen, wie wunderbar haptisch ein Arbeitserfolg sein kann.
Wenn er Akten hervorholt wie jene von 1816 – „Auswanderungen betreffend“ -, deren Seiten sich einrollen und Deckel eingerissen sind, ist sein Griff fest und behutsam zugleich. Dass der Restaurator seinen Beruf liebt, ist indes nicht nur seinen ebenso kompetenten wie verständlichen Erklärungen anzumerken, sondern vermittelt sich auch durch sein Engagement für den Nachwuchs: Seit Jahren sitzt Theunissen im Prüfungsausschuss der Handwerkskammer und leitet im Stadtarchiv Praktikanten der Fachhochschule Köln an. – Fimo, Knetgummi und Bienenwachs braucht der Restaurator übrigens, um Siegel nachzuarbeiten.
Kontakt:
Stadtarchiv Neuss
Oberstr. 15
41460 Neuss
Tel.:02131-90-4257
Fax.:02131-90-2433
Quelle: ngz-online, Neuss-Grevenbroicher Zeitung, 4.7.2003 (mit Foto).
Ausstellung zur rheinischen Form des NS-Widerstands
Der 60. Jahrestag des Attentats auf Adolf Hitler steht erst am 20. Juli 2004 an. Doch bereits jetzt bereitet der Meerbuscher Stadtarchivar Michael Regenbrecht mit Hilfe von Material der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin im Stadtarchiv in Büderich eine Ausstellung zum Thema „Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ vor.
Die Ausstellung soll am Freitag, 18. Juli, um 12 Uhr eröffnet werden. Eindrucksvoll dokumentieren die Reichstagswahl-Resultate von 1928 bis 1933 den rasanten Machtgewinn der Nationalsozialisten. „Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass die Nazis im Rheinland zwar die Mehrheit, nie aber eine alles überwältigende Übermacht wie in anderen Regionen erringen konnten. Die Zentrumspartei hat hier ihre starke Stellung behaupten können“, heißt es.
Darin zeige sich auch die starke Stellung der katholischen Kirche im rheinischen Raum, deren Klerus sich zudem in Veröffentlichungen vehement gegen die große Gefahr der nationalsozialistischen Bewegung gewandt habe. So spielen Widerstandsströmungen aus den christlichen Lagern in Regenbrechts Ausstellung logischerweise eine Rolle. Beleuchtet werden aber auch die Bestrebungen von Sozialdemokraten, Kommunisten, Liberalen, Konservativen, des politischen Katholizismus, Gewerkschaften und Jugendlichen, das Hitler-Regime zu bekämpfen.
Die Ausstellung hat auch Meerbusch-Bezug. Denn man habe es hier mit einer ganz besonderen, „rheinischen Form des Widerstandes im Kleinen“ zu tun, einer Art bewusster Nonkormität und zivilen Ungehorsams. Beispiel: Den Pfarrgemeinden sei durch die NSDAP-Schikaneure nicht nur die Benutzung der historischen Prozessionswege an Fronleichnam untersagt, sondern auch jeglicher Straßenschmuck verboten worden. Die Gläubigen mussten andere Wege ziehen. Sehr zum Ärger der Nationalsozialisten seien aber selbst die „Umleitungs“-Straßen beflaggt und geschmückt worden.
Kontakt:
Stadtarchiv Meerbusch (Büderich)
Karl-Borromäus-Straße 2a
40667 Meerbusch (Büderich)
Postfach 1664
Tel.: 02132/7696-80
archiv@meerbusch.de
www.meerbusch.de
Vgl. Archiv.Net-Meldung vom 6.5.2003
Quelle: ngz-online, Neuss-Grevenbroicher Zeitung, 2.7.2003
Spionierte Zarah Leander für den KGB?
Wenn es stimmt, was der russische Publizist Arkadij Waxberg im Stockholmer„Svenska Dagbladet“ enthüllte, dann hätte ausgerechnet Zarah Leander (1902-1981), die große Diva des Dritten Reiches, die nach 1945 wegen Kollaboration publizistisch angegriffen wurde, für den russischen Geheimdienst spioniert; ihr Deckname war „Rose-Marie“. Waxberg stützt sich auf erst jetzt zugängliche Dokumente russischer Geheimdienst-Archive und Tonbandaufnahmen mit Erinnerungen des ehemaligen sowjetischen Geheimdienstchefs Pavel Sudoplatov. Die sollen beweisen, dass Zarah Leander schon vor dem Krieg als Agentin angeworben wurde. Dass ihr Name in keinem Agentenverzeichnis stehe, beweise nur, wie bedeutsam sie gewesen sei. Das glaubt der Historiker Göran Elgemyr nicht, der sich jahrelang mit der Diva beschäftigte und ihre Akten des schwedischen Geheimdienstes Säpo kennt. „Sie war politisch völlig naiv. Natürlich kann sie etwas aufgeschnappt haben, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Russen sie als Spionin benutzten.“ Zarah Leander selbst hatte immer betont, sich „nicht für Politik“ zu interessieren.
In Zarah Leanders schwedischer Heimat wird die Enthüllung nicht recht ernst genommen. Zwar sei tatsächlich in sowjetischen Code-Telegrammen, die in den USA entschlüsselt wurden, von einer Agentin namens „Roz-Mari“ die Rede, berichtet der Sicherheitsforscher Wilhelm Agrell. Doch sei fraglich, ob dies Zarah Leander war. Seltsam auch, dass die 1981 verstorbene Leander in ihren freizügigen Erinnerungen kein Wort über ihre angeblichen Agentendienste berichtete. Hier hätte Zarah Leander ja, die in Schweden nach Kriegsende wegen ihrer Nazi-Kontakte auf der Schwarzen Liste stand, andeuten können, dass sie die Nazis sogar bekämpfte …
Quelle: Der Tagesspiegel, 10.7.2003; FR, 10.7.2003.
Pfungstadts Goldenes Buch im Archiv
Königsblauer Ledereinband, handgeschöpftes Büttenpapier. Edel sieht das neue Goldene Buch der Stadt Pfungstadt aus. Wie schon sein braunlederner Vorgänger ist es ein Geschenk des Heimatvereins. Das bisherige Goldene Buch hatte der Verein der Stadt am 13. April 1959 geschenkt.
Bereits am 22. April 1959 erfolgte der erste Eintrag, als eine Arbeitsgemeinschaft des Hessischen Städtebundes in Pfungstadt tagte. Als letzter trug sich der damalige Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig 2001 nach einem Ortstermin am Baugelände der Umgehungsstraße ein. Dazwischen liegen Eintragungen, die die Stadtgeschichte widerspiegeln mit sportlichen Höhepunkten, etwa als die schon legendären sechs „Atus“ der Freien Turngemeinde (FTG) die deutsche Meisterschaft errangen, mit Zeugnissen für die Pfungstädter Weltoffenheit, wenn etwa Gäste aus den Partnerstädten oder gar aus dem fernen Japan nach Pfungstadt kamen. Neben den Unterschriften der Beteiligten ergänzen Fotos und Zeitungsausschnitte die Eintragungen.
Das alles illustriert zwar die einzelnen Begebenheiten, ist aber nicht ohne Auswirkungen auf die Ansehnlichkeit des Buches geblieben. Hässliche Kleberspuren auf den betroffenen Seiten und Rückseiten sind die Überbleibsel dieser Behandlung. Günter Krämer wünscht sich, dass das Büttenpapierseiten künftig unbefleckt bleibt. „Man kann ja Fotos und Zeitungsausschnitte zu einzelnen Anlässen in einem separaten Buch führen“, so sein Vorschlag.
Das alte Buch kommt nach vierundvierzigjährigem Gebrauch nun ins Stadtarchiv.
Kontakt:
Stadtarchiv Pfungstadt
Stadtverwaltung
Hillgasse 8
64319 Pfungstadt
Tel.: 06157/911952
Quelle: Echo Online, 1.7.2003.
Erinnerungskultur im deutschen Sport
Auf der Tagung „Wider das Vergessen – Erinnerungskultur im deutschen Sport“, die am 27. und 28. Juni 2003 vom Deutschen Olympischen Institut in Berlin durchgeführt wurde (Tagungsbericht), präsentierte der Potsdamer Sporthistoriker Hans-Joachim Teichler ein Dokument, dass Zweifel daran aufkommen lässt, dass die Erziehungsziele des Sportfunktionärs Professor Dr. Hermann Altrock (1887-1980) wirklich „stets an seinem Bild von einer harmonischen Menschenbildung geprägt“ waren, wie es in seiner Biographie heißt.
Teichler zitierte aus einer Akte von 1943, in der Altrock als Sturmbannführer der SA bezeichnet und folgendermaßen zitiert wird: „Eine neue Weltanschauung muß von innen her aufgebaut werden, zunächst immer den Menschen aufgezwungen werden. Der SA ist damit auch die Aufgabe gestellt, den deutschen Mann vom Leib aus zu erziehen und neu zu formen. Diese Erziehung gipfelt in dem Bild der hohen kämpferischen Rasse nordischer Prägung.“
Das Zitat stammt aus einem Protokoll von „Wehrkampftagen“ der SA in Leipzig, wo Altrock Professor war. Teichler hält die Diktion für authentisch. Er schlug vor, dass der Deutsche Sportbund (DSB) sein Altrock-Stipendium für Dissertationen demnächst für das Thema Hermann Altrock ausschreibe. Auch Andreas Klages vom DSB sagte, es bestehe Handlungsbedarf. 1976 hatte der Verband Altrock als „besonders verdiente Persönlichkeit“ mit der Carl-Diem-Plakette ausgezeichnet.
Quelle: FAZ, 1.7.2003.