Mindestens fünf Millionen Bücher in Berliner Bibliotheken sind in ihrem Bestand bedroht. Der Grund: Säurefraß zersetzt das Papier, im schlimmsten Fall zerbröseln die Seiten. Allein in der Staatsbibliothek mit rund zehn Millionen Büchern ist ein Fünftel des Bestandes so kaputt, dass die Seiten nur noch verfilmt werden können. „Damit sind wenigstens die Daten gesichert“, sagt Andreas Mälck, Leiter der Abteilung für Bestandspflege. Weitere zwei Millionen Bände müssten dringend entsäuert werden. Auch in den Regalen der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) frisst sich die Säure durch die Seiten.
Das Problem Säurefraß entstand Mitte des 19. Jahrhunderts mit der industriellen Herstellung von Papier. Bei der maschinellen Produktion entsteht Säure, die Zellulose angreift. Durchschnittlich 80 Jahre hält säurehaltiges Papier. Mit der so genannten „Entsäuerung“, einem Verfahren, das den PH-Wert neutralisiert, kann der Verfall verlangsamt werden. Kosten: etwa 30 Euro pro Kilogramm.
Die Zeitbombe tickt nicht nur in den Bibliotheken der Hauptstadt. Schätzungen zufolge sind bundesweit rund 60 Millionen Bücher betroffen. Die von zwölf Bibliotheken und Archiven gegründete „Allianz zur Erhaltung des schriftlichen Kulturgutes“ erarbeitet zurzeit eine bundesweite Strategie zur Rettung des Bestandes. Hermann Leskien, Direktor der Bayerischen Staatsbibliothek München und Leiter des Projektes, fordert die Länder zur verstärkten Zusammenarbeit und Absprache auf, damit beispielsweise nicht an zwei Orten das gleiche Buch erhalten wird. Leskien: „Es wird eine Aufteilung nach regionaler Literatur, nach Jahrhunderten und nach Fachgebieten geben.“ Berlin sei bekannt für die Spezialgebiete Ostasien und ausländisches Recht. Eine Geschäftsstelle konnte die Allianz noch nicht aufbauen, es fehlt das Geld.
Quelle: Die WELT, 28. Juli 2003.