Der Gelehrtenstreit um die angeblich ältesten Fragmente des Nibelungenliedes, die die Historikerin und Archivarin des Stiftes Zwettl, Charlotte Ziegler, ebendort entdeckt haben will, geht weiter. Der Marburger Altgermanist Joachim Heinzle hat in der jüngsten Ausgabe des \“Marburger UniJournal\“ die Fragmente als \“faulen Nibelungenzauber\“ bezeichnet, der \“rein gar nichts mit den Nibelungen zu tun\“ hätte. Vielmehr handle es sich \“zweifelsfrei\“ um den französischen Roman vom Königssohn Erec und seiner Frau Enite, den Chrestien de Troyes um 1170 verfasste (vgl. auch den Bericht vom 12.4.).
Ziegler beharrt weiterhin darauf, dass auf den Fragmenten neben den Erec-Texten, die sie auch selbst in ihren Forschungen entdeckt habe, weiteres \“Nibelungisches\“ enthalten sei. Dies werde auch durch neue Erkenntnisse gestützt. Ob der Text dem Nibelungenlied oder der danach entstandenen Nibelungenklage zuzuordnen sei, wolle Ziegler (auch mit dem gewählten Terminus \“Nibelungisches\“) \“zur Diskussion stellen\“. Ein Teil der Fragmente nehme jedenfalls Bezug auf den Nibelungentext.
Ziegler bekräftigte ihre umstrittene Datierung der Fragmente um 1200. Bisher habe es vom Nibelungentext nur schriftliche Aufzeichnungen nach dem Jahr 1220 gegeben. Nach Heinzles Darstellung zeige die Schriftform jedoch eindeutig, dass die Dokumente im 13. Jahrhundert entstanden sind.
Quelle: Der Standard, 21.7.2003.