Die Papiere von Salamanca

Wieder einmal flammt der mittlerweile 26 Jahre alte Streit zwischen Barcelona und Madrid auf, der im Kleinen das gestörte Verhältnis zwischen Region und Zentralregierung offenlegt. Die Rede ist von den „Papieren von Salamanca“, einer umfangreichen Personendokumentation aus katalanischen Gemeindearchiven, die Francos Truppen bei ihrem Eroberungsfeldzug während des Spanischen Bürgerkrieges konfiszierten und in Salamanca, dem provisorischen Hauptquartier des späteren Diktators, mit weiteren geraubten Dokumenten aus anderen Regionen zusammenführten.

Damit wurden amtliche Unterlagen zur Kriegsbeute und die Kriegsbeute zum unbegrenzt einsetzbaren Belastungsmaterial. Von 1937 an entstand in Salamanca ein Instrument zur Verfolgung von Kommunisten, Gewerkschaftern, Freimaurern und anderen Gegnern des neuen Regimes, eine Behörde, ohne deren furchterregende Gründlichkeit die von Franco veranlasste Repression des politischen Feindes zweifellos weniger gründlich ausgefallen wäre. Rund drei Millionen Karteikarten zeugen vom Erfassungswahn der Nationalisten, die ihren Kampf als politisch-religiösen „Kreuzzug“ verstanden; allein das Archiv zur Freimaurerei, noch immer in den Holzkästen von damals untergebracht, umfasst mehr 120.000 Namen.

Im Kern dreht sich der Streit um die Frage: Sind die geraubten Dokumente, nachdem der Diktator tot und seine Herrschaft seit Langem beendet ist, an die katalanischen Gemeinden zurückzugeben? Oder stellt das „Allgemeine Archiv des Spanischen Bürgerkriegs“, wie die Forschungsstelle in Salamanca seit 1999 offiziell heißt, eine historische Quelle dar, deren Einheit und Vollständigkeit zu wahren sei? Im vergangenen Sommer hatte ein vom spanischen Kulturministerium eingesetztes Patronat des Archivs das Begehren der Katalanen abermals abgelehnt. Dabei wurde ein Gutachten katalanischer Historiker ignoriert.

Je nach Blickwinkel und Lichteinfall schillert der Konflikt in völlig verschiedenen Farben: Die „Zentralisten“ sagen´, das Archiv in seinem gegenwärtigen Zustand stelle nicht nur eine Forschungsquelle für Historiker, sondern gleichsam ein Mahnmal gegen die Diktatur dar, indem es für die Nachwelt ein Abbild der Repression bewahre. Die „Regionalisten“ entgegnen, ebendarin bestehe der Skandal: das Unrecht von damals durch neues Unrecht zu verlängern, gewissermaßen das Spiel Francos zu spielen. Die „Zentralisten“ argumentieren, auch die Stasi-Akten in Deutschland würden zu Forschungszwecken erhalten. Wogegen die „Regionalisten“ einwenden, die katalanischen Unterlagen seien doch nicht mit der Absicht der Bespitzelung angelegt worden! Wäre es da nicht ein Akt der Wiedergutmachung, sie wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung zuzuführen?

So geht es hin und her. Unbeteiligte Außenstehende sind womöglich versucht zu fragen, ob man von den Dokumenten nicht Kopien machen und jeder Partei einen vollständigen Satz Mikrofilme überlassen könne? Beide Seiten beanspruchen allerdings die Originale.

Jetzt erst ist eine Studie erschienen, welche die Umstände des Dokumentenraubs rekonstruiert und daraus die Rechtmäßigkeit des katalanischen Anspruchs abzuleiten versucht:
„Els papers de Salamanca. Léxpoliació del patrimoni documental de Catalunya, 1938-1939“, Edicions 62. Der Autor Josep Cruanyes i Tor ist Jurist und Historiker in Barcelona. Als Anwalt vertritt er das Gesuch mehrerer Gruppen und Privatpersonen an den spanischen Staat, die Unterlagen zurückzugeben.

Nicht als einziger beklagt sich Cruanyes über eine mangelhafte Klassifizierung (also Entwertung) des Materials im Archiv von Salamanca. Doch er ist der erste, der belegen kann, wie rücksichtslos die Diktatur mit den geraubten Gemeindeakten umging, wenn sie nicht für die Verfolgung zu instrumentalisieren waren. Denn von den 160 Tonnen an Dokumenten, die 1939 in Eisenbahnwaggons von Barcelona nach Salamanca reisten, wurde nur etwa ein Zehntel tatsächlich archiviert. Prominente, die dem Regime nahestanden, erhielten die sie betreffenden Unterlagen mühelos zurück. Bei anderen Figuren, großen wie kleinen, wurde geschwiegen, gezaudert oder gelogen. Und rund neunzig Prozent des gesamten Materials, so Josep Cruanyes, wurden zu Papierbrei verarbeitet. Das Faktum dieser bedenkenlosen Zerstörung müsste bei der künftigen Bewertung des Streits eine Rolle spielen. Sollten die jüngsten Rückgabegesuche abgelehnt werden, entscheiden die Gerichte.

Quelle: FAZ, 16.7.2003, Nr. 162 / Seite 40.

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