„Die Leute werden Abertausende von alten Wertpapieren kaufen und sie in der Hoffnung behalten, dass sie in ihren Händen zu Gold werden“, orakelte Wallstreet-Broker Ronald M. Smythe bereits im Jahre 1929. Auch wenn Smythe Recht behielt, werden historische Wertpapiere erst ab den 1970er Jahren systematisch gesammelt. Die Motive, die hinter der Sammelleidenschaft stehen, sind oft ganz verschieden. Für die einen verkörpern Nonvaleurs, wie die antiken Stücke in Fachkreisen genannt werden, schlicht eine Wertanlage. Andere schätzen sie als attraktive Wanddekoration oder kaufen sie, um sie später zu verschenken.
Ganz unterschiedliche Interessen trafen somit aufeinander, als am 28. Juni in Berlin die wohl größte Wertpapierauktion aller Zeiten über die Bühne geht. Zwölf Millionen Papiere aus der Zeit vor 1945 kamen unter den Hammer. Die Stücke stammen sämtlich aus den Tresoren der ehemaligen Reichsbank. Durch eine Verordnung wurde es den Banken 1939 ermöglicht, ihre Wertpapiere zentral in der Reichsbank in Berlin zu verwahren. Das Institut hatte eine Funktion als Wertpapiersammelbank. Damit befanden sich viele Aktien und Anleihen, die vor dem 8. Mai 1945 begeben wurden, in der Reichsbank. Ende April 1945 gerieten die Banken im Berliner Stadtzentrum unter sowjetische Besatzung. Die Finanzgeschäfte mussten sofort eingestellt werden, alle Safes wurden versiegelt.
In dieser ersten Auktion wurden Aktien und Schuldverschreibungen versteigert, von denen mehr als 1.000 Stück pro Sorte vorhanden sind. Der Andrang war riesig. Mehr als 300 Interessenten haben sich zur Auktion angekündigt. Daher musste der Veranstalter, das Frankfurter Münzhaus Dr. Busso Peus Nachf., kurzfristig einen größeren Raum organisieren. Ursprünglich war nur für 200 Besucher geplant worden.
Die Meinungen darüber, wie der Sammlermarkt diese Mengen Papier aufnimmt, sind geteilt. Ein Szenario ist, dass der Markt zusammenbricht, das heißt von den Massen an Papier erdrückt wird. Echte Raritäten und Massenware würden dann in einen Topf geschmissen. „Diese Gefahr ist nur gegeben, wenn die Käufer der Großposten zu kurzsichtig agieren und den Markt damit überfluten“, schätzt der Düsseldorfer Gutachter Klaus Schiefer. Dem Risiko steht eine ungleich größere Chance gegenüber: „Der Markt wird breiter werden“, so der Berliner Händler Stefan Adam. „Die günstigen Preise werden neue Sammler anlocken.“
Bisher waren zahlreiche Wertpapiere sehr knapp und entsprechend teuer. Das Hobby war daher meist nur etwas für betuchte Sammler. Ähnlich wie Stefan Adam denkt auch Reinhild Tschöpe. Die Düsseldorfer Auktionatorin zieht zum Vergleich die Versteigerung der Penn-Central-Archive in den USA heran. Damals wurden Millionen von amerikanischen Eisenbahn-Wertpapieren auf den Markt gebracht. „Bei betroffenen Eisenbahn-Papieren kam es zwar vorübergehend zu einer Preisdelle, aber mittelfristig hat diese Versteigerung den amerikanischen Markt deutlich belebt.“
Voraussetzung für eine vergleichbare Hausse von historischen Wertpapieren aus Deutschland ist, dass die Stücke im Anschluss an die Auktion breit gestreut werden. Die Chancen dafür stehen gut. Denn neben den Wertpapier-Spezialisten werden zahlreiche Käufer aus den Bereichen Münzen, Briefmarken und Geldscheine erwartet. „Das eröffnet unserem relativ kleinen Sammlermarkt völlig neue Tore“, sagt Stefan Adam. Neue Sammler bedeuten aber auch eine erhöhte Nachfrage nach Papieren.
Das könnte bei Titeln, die nicht im Tresor liegen, zu stabilen bis steigenden Preisen führen. Denn von der Mehrheit der im Sammlermarkt angebotenen Stücke sind weniger als 20 bekannt. Da die meisten Sammler sich auf Zertifikate aus einer speziellen Branche oder Region spezialisieren, gibt es heute in Deutschland für viele Papiere weniger als 20 Interessenten. Die Folge: Das Angebot ist größer als die Nachfrage. Der Preis stagniert. Durch die Versteigerung des Reichsbankschatzes werden nun sukzessive neue Interessenten hinzukommen. Sobald für ein Papier mehr als 20 Interessenten vorhanden sind, fängt der Preis an zu steigen, denn wer möchte schon Lücken in seiner Sammlung haben.
Doch erst einmal steht die Reichsbank-Auktion im Vordergrund. „Das Interesse der Käufer wird sich bei dieser ersten Versteigerung vor allem auf hochdekorative Stücke sowie auf Papiere von Firmen mit großen Namen konzentrieren“, vermutet Michael Weingarten, Vorstand der AG für Historische Wertpapiere. „Leider ist viel Masse und wenig Klasse dabei. Die Masse kann zwar genutzt werden, um neue Sammler zu gewinnen.“ Weingarten warnt jedoch, bei den jetzt zur Versteigerung angebotenen Stücken auf Wertsteigerungen zu spekulieren.
„Bei derart großer Verfügbarkeit geht das meist nicht gut.“ Ähnlich sieht Händlerkollege Stefan Adam die Situation: „Käufer brauchen nicht nur Kapital, sondern viel wichtiger sind Zeit und Know-how. Wer sich aus der Reichsbankware den schnellen Euro verspricht, wird schnell bitter enttäuscht sein.“
Wer allerdings die nötige Fantasie für die angebotenen Großposten mitbringt, kann auch Spaß an den riesigen Mengen haben. Denn die Spanne zwischen den Preisen im Großposten und den bisher im Einzelhandel erzielten ist enorm. Zudem wird unter Sammlern und Händlern spekuliert, ob einige Firmen wie BMW oder DaimlerChrysler eventuell ihre eigenen Papiere kaufen.
Heiß hergehen wird es bei Papieren, die alt und schön sind. So werden die 9350 Stücke der Actien-Brauerei Neustadt-Magdeburg wohl kaum zum Ausrufpreis von 3200 Euro zu haben sein. Bisher waren nur wenige Hundert dieser Prachtstücke bekannt. Der Preis lag entsprechend bei 250 bis 400 Euro.
Quelle: Financial Times Deutschland, 27.6.2003.