Interpol-Experten widersprachen den Angaben des amerikanischen Justizministers John Ashcroft, Plünderungen und Raub von Kulturgütern im Irak seien das Werk von „Verbrecherbanden“ und nicht das von einzelnen Tätern gewesen. „In den meisten Fällen“ seien die geraubten Gegenstände „in den Händen gewöhnlicher Leute, die über keinerlei Verkaufs-Netzwerk verfügen“, sagte Interpol-Spezialagent Jean-Pierre Jouanny einem FAZ-Bericht zufolge. Nun müsse an die Bevölkerung appelliert werden, damit die Räuber die Kunstschätze zurückgäben. Die Unesco wählte bereits Mitglieder einer Expertengruppe für eine Irak-Mission aus. Und bei einer Interpol-Konferenz vereinbarten rund 70 Fachleute von Interpol, Unesco und Internationalem Museumsrat (Icom), die Interpol-Datenbank gestohlener Kulturgüter bedeutend zu erweitern. Die Experten bemühen sich, für Polizei, Zoll und den internationalen Kunsthandel möglichst viele Informationen über die Kulturschätze zusammenzutragen.
Wenngleich es, so aus dem irakischen Nationalarchiv, Hinweise darauf gibt, dass viele Kulturschätze des Irak unversehrt und intakt geblieben sind, liegt noch keine Bestandsaufnahme darüber vor, welche Schäden der Krieg und vor allem die Brandschatzungen und Plünderungen danach angerichtet haben.
Islamische Geschichtsquellen verbrannt
Durch die vollkommene Zerstörung der Bibliothek des Ministeriums für Religiöse Angelegenheiten sind, einem Bericht der FAZ vom 7. Mai zufolge, die wichtigsten Quellen für die islamische Geschichte des Irak verloren. Nur ein unbedeutender Rest der Manuskripte und Bücher konnte vor den Flammen gerettet werden. Hinzu kommt, dass es von diesen Quellen keine Abschriften oder gar Mikrofilme gab. Neben den Gebäudekomplexen des Ministeriums in der Hauptstadt sind aber auch viele Moscheen im Lande von Plünderern und Brandstiftern heimgesucht worden. Auch hier lagerten wertvolle Manuskripte.
Warnungen der UNESCO
Angesichts zahlreicher Zerstörungen am kulturellen Erbe des Irak, warnte am 15. April der Generaldirektor der UNESCO, Koïchiro Matsuura, vor Verwüstungen und Verheerungen der Bibliotheken und Archive im Lande. Dies würde irreparable Folgen für die kulturelle Überlieferung und Identität des Landes nach sich ziehen. „Ich wiederhole meinen dringenden Aufruf, rasche Maßnahmen zum Schutz und zur Bewachung der irakischen Kultureinrichtungen, insbesondere der Bibliotheken und Archive, einzuleiten“, erklärte Matsuura in Paris (Link). „Bibliotheken, Archive und Schriftgut müssen als wesentlichen Bestandteile des reichen Erbes des Irak gesichert werden. Fast zwanzig Jahrhunderte niedergeschriebener Menschheitsgeschichte sind in Gefahr; es muss alles Erdenkliche getan werden, diese Güter vor Plünderung und Zerstörung zu bewahren“, sagte Matsuura. Er fügte hinzu, dass auch Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die behördliche Aktenüberlieferung in den Archiven zu schützen, nicht zuletzt, da sie lebensnotwendig für das Funktionieren der öffentlichen Verwaltung nach dem Kriege sei, sowie für den Nachweis von juristischen, finanziellen und vertraglichen Besitzständen der irakischen Bevölkerung. – Die UNESCO versucht über ihr Programm „Memory of the World“ an führender Stelle auf den Schutz der schriftlichen Überlieferung in gefährdeten Bibliotheken und Archiven hinzuwirken und hat Richtlinien entwickelt, die im Falle bewaffneter Konflikte zum Schutz der Archive greifen sollen. Am 17. April hat die UNESCO in Paris sodann eine Konferenz mit internationalen Experten über den Schutz der irakischen Kulturgüter durchgeführt (vgl. dazu die verschiedenen Informationen der UNESCO zum bedrohten kulturellen Erbe des Irak).
Aufruf des Auswärtigen Amtes
Nach den Plünderungen im Bagdader Nationalmuseum hat auch Bundesaußenminister Joschka Fischer dazu aufgerufen, weitere Verluste und Beschädigungen am irakischen Kulturerbe zu verhindern. Es müsse sicher gestellt werden, dass gestohlene Objekte aus dem Irak keine Käufer finden und dem Nationalmuseum zurückgegeben würden, sagte der Grünen-Politiker laut dpa. Deutschland sei bereit, sich an der Bewahrung der irakischen Kulturgüter zu beteiligen. Besonders das Deutsche Archäologische Institut könne wegen seiner langen Erfahrung im Irak einen wichtigen Beitrag dazu leisten (Auswärtiges Amt-Infos zum Irak).
Museumsbund und ICOM fordern Schutz vor Plünderungen
Die Plünderungen und Zerstörungen im irakischen Nationalmuseum kommen nach Ansicht des Deutschen Museumsbundes einem „kulturellen Supergau“ gleich. In einem von so langer Hand geplanten Krieg hätten die alliierten Truppen eine Plünderung verhindern können und diese Kulturinstitution schützen müssen, betonte der Präsident des Museumsbundes, Martin Roth. „Dieser Krieg hat zwar die Sicherung der Ölvorräte berücksichtigt, aber die kulturelle Wiege der Menschheit nicht einbezogen.“ Der Museumsbund und weitere Verbände wie das Nationalkomitee des Internationalen Museumsrates (ICOM) forderten die Sicherheitskräfte im Irak dazu auf, mit allen Mitteln weitere Plünderungen und Zerstörungen oder Verschleppungen von Kulturgut zu verhindern. Ein Verkauf der wertvollen Objekte über den internationalen Kunsthandel hätte katastrophale Folgen. Die Verbände warnen Museums- Verantwortliche, Händler und Sammler vor dem Erwerb von Kunstschätzen aus dem Irak. „Diebstahl, Raub und illegaler Handel mit irakischem Kulturgut sind Vergehen an bedeutendem und unersetzlichem Weltkulturerbe“, betonte Hans-Martin Hinz, Präsident von ICOM-Deutschland (vgl. auch die Pressemitteilung des Deutschen Museumsbundes und ICOM-Deutschland vom 15.4., hier als pdf-Datei).
Siehe zum Thema auch weitere ARCHIV.Net-Nachrichten vom 14. April sowie vom 18. April.