Als Pablo Picasso im April 1940 seinen Antrag auf die französische Staatsbürgerschaft stellte, war es, wohlgemerkt, nicht das Regime von Vichy, sondern die Französische Republik, die Picasso die französische Staatsbürgerschaft verweigerte bzw. auf seinen Antrag einfach nicht antwortete.
Bisher wusste man nicht einmal, dass der Künstler überhaupt je darum ersucht hatte, Franzose werden zu dürfen. Das war nicht etwa während seiner Bohème-Zeit, in der er, wie ein Rapport der Polizei festhält, 25 Francs am Tag verdiente und in einer billigen Absteige am Montmartre wohnte. 1940, als er den Antrag auf Einbürgerung stellte, lebte Picasso seit 36 Jahren in Paris und hatte im Vorjahr immerhin die hübsche Summe von umgerechnet etwa 250.000 Euro an Steuern entrichtet. Ein gnädiges Dunkel deckte bisher die Blamage der französischen Verwaltung zu, die in unvergleichlicher Spießigkeit das Malergenie nicht für würdig befunden hatte, Franzose zu werden: Die Vorkriegs-Archive der französischen Polizei befanden sich bis vor wenigen Jahren noch in der Sowjetunion, wohin die deutschen Besatzer sie während des Zweiten Weltkriegs aus obskuren Gründen verschleppt hatten. Nun sind sie wieder in Paris, und die Archivare können sich die kleinlichen Spitzeleien in all ihrer Pracht zu Gemüte führen.
Was über Picasso gesammelt wurde, ist im Dossier 74664 festgehalten. „Überaus verdächtig vom nationalen Standpunkt aus betrachtet“, urteilt ein unbekannter Polizist 1940 über Picasso. Der Mann, „ein so genannter moderner Maler“, habe sein sämtliches, in Frankreich verdientes Geld im Ausland angelegt und hege extremistische politische Gedanken. Er habe sich im Café Flore gar positiv über die Sowjetunion geäußert. Und – der Gipfel – Picasso (damals wie bis zu seinem Tod spanischer Staatsbürger) habe 1914 „unserem Land keinen Dienst erwiesen“.
Picasso blieb bis zu seinem Tod 1973 Staatsbürger eines Landes, in dem jahrzehntelang der verhasste Franco regierte. Er erneuerte seinen Antrag nie wieder.
Quelle:
Stuttgarter Zeitung vom 4.6.2003