Weiter Streit um »Bundeslöschtage«

In der Bewertung der Kanzleramts-Spurensuche von „Sonderermittler“ Burkhard Hirsch (FDP) über die letzten drei Wochen der Ära Kohl stehen sich zwei Lager gegenüber, wie die FAZ vom 15. Mai den Fall noch einmal aufgreift: Die einen glauben der These Hirschs, dass Daten absichtlich und großflächig gelöscht und Akten gezielt vernichtet bzw. verbracht worden seien, um mehr oder weniger kriminelle Machenschaften zu verdecken. Die anderen, so z.B. Unionsfraktionsgeschäftsführer Eckart von Klaeden, sehen in den Vorwürfen ein „gigantisches Täuschungsmanöver“ der Regierung Schröder.

Eckart von Klaeden beschuldigte am 7. Mai laut dpa die rot-grüne Bundesregierung, die angebliche Aktenvernichtung der Vorgängerregierung Kohl selbst getätigt zu haben. Die „Bundeslöschtage“ am 30. September sowie am 6. und 20. Oktober 1998 seien eine Technikpanne gewesen, die für eine Anti-Kohl-Kampagne benutzt wurde. Zuvor war von Seiten der Bonner Staatsanwaltschaft der Vorwurf laut geworden, dass Hirsch als Ermittler der gegenwärtigen Bundesregierung in diesem Fall Zeugen manipuliert haben soll, um belegen können, dass der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) ihm nicht genehme Akten habe vernichten lassen. Laut Staatsanwaltschaft fanden Zeugen Aussagen in der Niederschrift Hirschs, die sie so nicht gemacht hätten. Die Befragung sei suggestiv gewesen.

Die Bonner Staatsanwaltschaft will, wie Mitte April bekannt wurde, die Ermittlungen gegen zwei frühere Spitzenbeamte des Kanzleramts – Ministerialdirektor a.D. Hans-Achim Roll und Ministerialrat Theodor Grewenig – wegen verschwundener Akten und gelöschter Daten zur Amtszeit Helmut Kohls einstellen. Die Staatsanwaltschaft bezweifle, dass im Kanzleramt kurz vor dem Regierungswechsel 1998 zwei Drittel aller Daten zentral und vorsätzlich gelöscht wurden, berichtete DIE ZEIT, und sehe deshalb keinen Tatverdacht gegen die beiden Beamten. Ein Großteil der vorgeblich im Herbst 1998 verschwundenen Unterlagen unter anderem zur Privatisierung der ostdeutschen Leuna-Werke seien gefunden worden, teilte Behördensprecher Friedrich Apostel mit. Die Akten seien zum Teil falsch abgeheftet worden. Damit bestätigte Apostel einen Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Zu angeblich verschwundenen Daten habe ein Gutachten ergeben, dass der Nachweis einer vorsätzlichen Löschung nicht geführt werden könne, sagte der Sprecher.

Für Burkhard Hirsch, der bis Juni 2000 im Auftrag des Leiters des Bundeskanzleramtes im Gesetz vorgesehene disziplinarrechtliche Vorermittlungen durchgeführt, d.h. nach den Akten geforscht hatte und auf Lücken in den Akten gestoßen war, steht – einem Bericht der FAZ vom 19. April zufolge – hingegen fest, dass es sich um „ein Märchen“ handelt, dass Daten und Akten wieder aufgetaucht sein könnten. Rätselhaft ist seinen Aussagen zufolge das Schicksal der verschwundenen Akten. Die in seinem Bericht als verschwunden bezeichneten Akten – sieben Original-Ordner Leuna und sieben Originalvorgänge weiterer wirtschaftlich bedeutsamer Privatisierungsvorgänge – seien bisher nicht wieder aufgetaucht. Die in seinem Bericht nachgewiesenen zum Teil mehrjährigen Lücken in der Leuna-Akte und in anderen untersuchten Vorgängen bestünden unverändert. Es ist nach seiner Ansicht unstreitig, dass in erheblichem Umfange Daten gelöscht wurden. Streitig sei der Umfang der Löschungen, wer sie vorgenommen hat und ob diese Vorgänge strafrechtlich relevant waren.

Die Bundesregierung hatte im Sommer des Jahres 2000 Strafantrag gestellt. – Nun wurde mit Spannung erwartet, wie die Bundesregierung zu den Ermittlungsergebnissen der Bonner Staatsanwaltschaft Stellung nimmt. Das Kanzleramt stellte sich nun, laut FAZ vom 9. Mai, hinter Hirsch und bereitet eine Entgegnung vor (für die sie bis zum 30. Mai Zeit hat). Wie aus dem Amt bekannt wurde, bestehen zwischen den Darlegungen der Staatsanwaltschaft und den Bewertungen des Bundeskanzleramtes Differenzen. Im Kanzleramt wird vermutet, dass Vorwürfe gegen Hirsch, er habe Zeugen manipuliert, von Dritten lanciert wurden; es wird allerdings nicht gesagt, von wem. Nach wie vor laufen die Disziplinarverfahren gegen zwei frühere Mitarbeiter des Kanzleramtes, ruhen allerdings wegen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen.

Zum wiederholten Male widersprach das Kanzleramt der Behauptung, es seien verschwundene Akten zu „Leuna“ oder anderen Privatisierungsverfahren aus der Zeit nach der Wende in der DDR wiederaufgetaucht. Zwar seien Teile von „Leuna“-Akten durch aufgefundene Schriftstücke in anderen Ministerien rekonstruiert worden. Gleichwohl fehlten die Originalakten.

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