Fahndungsstelle für NS-Verbrechen in Ludwigsburg gehen Täter aus

Ludwigsburg (dpa). Die weltweit größte Fahndungsstelle für NS-Verbrechen sieht von Jahr zu Jahr immer weniger Chancen, lebende Täter zu ermitteln. „Die Drahtzieher sind schon verurteilt oder tot. Ein großer Fisch wird uns sicherlich nicht mehr an die Angel gehen“, sagt der Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen, Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm, in Ludwigsburg. Mit zunehmenden Zeitabstand zu den Verbrechen des NS-Regimes nimmt auch die Aussicht, die nationalsozialistische Gewaltherrschaft juristisch zu bewältigen, ab. Das kommt aber nicht automatisch einem Aus für die Einrichtung gleich. Das Stuttgarter Justizministerium betont, es habe keine Pläne, die Einrichtung zu schließen.

Nach Schrimms Worten sind die Möglichkeiten längst noch nicht erschöpft. „Wir wollen uns nicht dem Vorwurf aussetzen lassen, möglichen Ermittlungsansätzen nicht oder zumindest nicht rechtzeitig nachgegangen zu sein.“ Der Schwerpunkt der Arbeit der Zentralen Stelle soll künftig neben der Täterermittlung auch bei der Täterforschung liegen. In den 60er Jahren waren in Ludwigsburg 130 Angestellte, Juristen und Hilfskräfte tätig, Ende 2002 waren es nur noch 21, darunter 6 Richter und Staatsanwälte.

„Wir sind dabei, alle Archive, die uns bisher nicht zugänglich waren oder die wir aus anderen Gründen vernachlässigen mussten, systematisch zu durchforschen. Das sind die Archive der italienischen Militärstaatsanwaltschaften und Militärgerichte und vor allem die Archive im Osten, wie in der Ukraine“, sagt Schrimm. Dort liegen überwiegend Akten des ehemaligen sowjetischen Geheimdienstes KGB, von denen man sich Aufschluss über Massenerschießungen oder Massenhinrichtungen erhofft, die dort während des Zweiten Weltkrieges stattgefunden haben.

Im vergangenen Jahr wurden von der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg 2 neue Vorermittlungsverfahren (2001: 8) wegen Mordes oder Beihilfe zum Mord eingeleitet, 5 Verfahren sind noch anhängig. Insgesamt wurden bei der Zentralen Stelle bis Ende Dezember 7257 Vorermittlungsverfahren eingeleitet. 7249 konnten abgeschlossen und an eine Staatsanwaltschaft übergeben werden. Rechtskräftig verurteilt wurden von deutschen Gerichten seit 1950 rund 6500 NS-Täter. „Von den Alliierten wurden vorher vermutlich Zehntausende ins Gefängnis geschickt“, berichtet Schrimm.

Die strafrechtliche Verfolgung von NS-Tätern war von den Siegermächten vor Kriegsende in einer gemeinsamen Erklärung im November 1943 beschlossen worden. Seit dem 8. Mai 1945, dem Tag der Befreiung Deutschlands vom nationalsozialistischen Terrorregime, ermittelten zunächst die Alliierten Besatzungsbehörden, was zu den angefeindeten Nürnberger Prozessen führte. Deutsche Spruchkammern zur „Entnazifizierung“ wurden erst später eingesetzt – mit der Folge, dass viele NS-Verbrecher auf freien Fuß gesetzt wurden.

Erst mit der Gründung der Zentralen Stelle 1958 kam die deutsche Strafverfolgung von NS-Verbrechern in Schwung. Die Stelle nahm auf Grund einer Verwaltungsvereinbarung der Justizminister und -senatoren der Bundesländer ihre Tätigkeit auf. Sie sollte alles erreichbare Material im In- und Ausland sammeln und nach Ort, Zeit und Täterkreis auswerten, größere Tatkomplexe herausarbeiten und entsprechende Verfahren einleiten. Durch ihre Arbeit wurden wesentliche Verfahren zur Verfolgung von Nazi-Verbrechen erst möglich.

Im Jahre 2000 richtete das Bundesarchiv in Ludwigsburg eine Außenstelle ein, um die Unterlagen der Zentralen Stelle für die wissenschaftliche Forschung und interessierte Bürger zugänglich zu machen. Als dritte Säule ist die Universität Stuttgart mit dem Lehrstuhl für Neuere Geschichte von Professor Wolfram Pyta an der historischen Aufarbeitung der Ludwigsburger Aktenbestände beteiligt.

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